Workshop Oktober 2022

Unter dem Schwerpunktthema „Gesellschaftsdiagnosen – Diversität und Transversalität“ kamen vom 26. bis 28. Oktober die Teilnehmenden des trinationalen Doktorandenkollegs in Luxemburg zusammen. Die Maison Schuman, das Wohnhaus des Politikers Robert Schuman, mit dem angrenzenden Presbytère bot für das herbstliche Workshop-Treffen eine einzigartige Kulisse.

Das inhaltliche Programm begann nach einigen einführenden Worten durch das Leitungsteam am Mittwochnachmittag. Den Anfang machte Philipp Didion (Universität des Saarlandes / Université de Bourgogne Franche-Comté), der mit dem Vortrag „Fußballstadien in kleineren Großstädten zwischen Re- und De-Provinzialisierung – Eine moderne Sportgeschichte in französisch-westdeutscher Perspektive“ einen Teilaspekt seines Dissertationsprojekts vorstellte. Der Doktorand lud die Teilnehmenden zu einem gedanklichen ‚Stadionbesuch‘ in die 1960er-Jahre ein. Untermalt durch Stadionklänge der jeweiligen Vereine konnten die Teilnehmenden einen Eindruck von der Atmosphäre im Stadion, als Ort der Soziabilität gewinnen. Am Beispiel des Betzenberg-Stadions in Kaiserslautern illustrierte Didion, wie „gesellschaftliche Spiegelungen in der Provinz durch das Brennglas Stadion“ sichtbar werden. Im Fokus stand dabei besonders das Inszenierungspotenzial des Begriffs ‚Provinz‘ sowie die Bedeutung des provinziellen Umfeldes für das Stadion und den jeweiligen Verein.

Als nächstes referierte Manon Baudrier (Sorbonne Université), die digital aus Frankreich zugeschaltet war. In ihrer Arbeit „Ce que fait la presse aux corps féminins. Approche comparée franco-allemande du traitement médiatique du plaisir féminin dans la presse généraliste et circulation des approches et vocabulaires issus du féminisme (2007-2022)“ untersucht die Doktorandin das mediale Verhandeln eines „plaisir féminin“ in der deutschen und der französischen Presselandschaft. In ihrem Beitrag konnte die Doktorandin ihre Untersuchung an aktuelle Diskurse rund um gesellschaftliche und genderspezifische Machtverhältnisse und das Thema Intersektionalität rückbinden. Dabei stellte sich besonders die Frage der „Messbarkeit des Intimen“ in den untersuchten Medienformaten.

Der erste Workshop-Tag endete mit einem Gastvortrag von Stefan Krebs (Université du Luxembourg), der den Kolleg-Teilnehmenden die virtuelle Ausstellung www.minett-stories.lu präsentierte. Gefördert von der europäischen Kulturhauptstadt Esch2022 erarbeitete ein Team von zwölf Historiker:innen und Designer:innen ein multimediales Ausstellungsformat zur Geschichte und Idenitität des Minetts, einer ehemaligen Bergbau- und Industrieregion im Süden Luxembourgs. Ziel des Projekts war es, mit verschiedenen Kanälen der Geschichtsvermittlung zu experimentieren, Mediengattungen zu kombinieren und auf diese Weise einen spielerischen Zugang zu einer fiktionalisierten Form Geschichtsschreibung zu wagen. Dahinter stand die Idee, für breite Rezipierendenkreise semi-fiktionale Geschichten zu erzählen und so Geschichte jenseits traditioneller akademischer Formate erfahrbar zu machen.

Am Donnerstag stand zuallererst eine Stadtführung mit Rainer Hudemann (Universität des Saarlandes / Sorbonne Université) auf dem Programm. Dabei ging es zentral um die Frage, inwiefern Luxemburgs Plateau Bourbon als Vernetzungsraum europäischer Urbanisierungskonzepte im 19. und 20. Jahrhundert zu ‚lesen‘ ist. Ganz im Sinne des am Vorabend diskutierten Transmedia storytellings konnten die Teilnehmenden praktisch erkunden, welche Geschichte(n) beispielsweise die Architektur Luxemburgs zu erzählen hat. Mit einigen Höhenmetern in den Beinen kehrten die Teilnehmenden zum Presbytère Maison Schuman zurück.

Nach einem gemeinsamen Mittagessen folgte der Werkstattbericht von Matthias Höfer (Université du Luxembourg), der sich im Zuge seines Dissertationsvorhabens „Konsumgüterwerbung und Popkultur in den „langen“ 1960er Jahren: eine transnationale Perspektive“ mit Werbung in der deutschen, französischen und luxemburgischen Jugendpresse beschäftigt. Höfer nutzte die Gruppenarbeitsphase, um anhand einiger konkreter Beispiele von Werbeanzeigen in den Zeitschriften Bravound Salut les copains, die Doktorand:innen auf Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen den Ländern aufmerksam zu machen. Es zeigte sich, dass die jeweiligen Werbetreibenden länderübergreifend in Tonalität und Bildsprache der Werbeanzeigen gezielt Elemente der Jugendkultur adaptierten. Innerhalb des Vortrages konnte Höfer dann verdeutlichen, dass sich für die Werbelandschaft Luxemburgs eine Überlagerung deutscher und französischer Einflüsse feststellen lässt und sich ‚Jugend‘ als eigene soziale Gruppe etablierte.

Um der besonderen Lokalität Rechnung zu tragen, war für den späten Nachmittag eine Besichtigung der Maison Schuman anberaumt. Geführt durch Victoria Mouton (Université du Luxembourg) hatten die Teilnehmenden die Möglichkeit, auf den Spuren namhafter Politiker:innen zu wandeln. Mit seiner historischen Fassade und der in Teilen gut erhaltenen Innenausstattung war das im 18. Jahrhundert errichtete und 1990 in ein europäisches Kulturzentrum umgewandelte Gebäude definitiv einen Besuch wert.

Einen gelungen Abschluss des zweiten Workshop-Tages bildete der Abendvortrag von Louis Chauvel  (Université du Luxembourg): „Les classes moyennes entre le peuple et les élites en  Europe continentale: Les inégalités macrosociales entre tendances et ruptures“. Dieser wagte einen Parforceritt durch die Sozialgeschichtsforschung der letzten Jahrzehnte und skizzierte davon ausgehend das Herausbilden eines neuen Mittelstandes parallel zum Entstehen der Erwerbsgesellschaft. Chauvel verwies auf einen Zusammenhang zwischen Globalisierungsschüben und einem „avènement d’inégalités sociales“ in Zeiten intergenerationeller Wandlungsdynamiken. Abschließend gelang dem Professor für Soziologie nochmals der Brückenschlag hin zu Robert Schuman, dem Europäischen Einigungsprojekt und dem Erbe der ‚Gründerväter-Generation‘ sowie der Frage, welche Aussagen sich aus der Vergangenheit für das Heute ableiten lassen.

Den letzte Workshop-Tag nutzten die Teilnehmenden, um nochmal Bilanz zu ziehen und einige Schlaglichter in Richtung der kommenden Veranstaltungen zu werfen. So wird es im Mai 2023 wieder heißen: Willkommen in Saarbrücken!

Die Broschüre zur Veranstaltung finden Sie hier.

Impressionen