Workshop Mai 2023

Vom 10. bis 11. Mai fand in Saarbrücken das elfte Kollegtreffen statt. Die vier Vorträge einte die Auseinandersetzung mit dem thematischen Jahresschwerpunkt des Kollegs „Zeitdiagnosen: Krisen und Aufbrüche“ aus ganz unterschiedlichen Perspektiven.

Der Workshop startete mit dem Beitrag von Odile Planson (Université de Strasbourg) und dem Blick auf die krisenhafte Zeit der Transformation der DDR. Gerade die 1990er Jahre seien für ostdeutsche Lehrerinnen eine Zeit voller Ungewissheit und Ängste gewesen, so Planson. Welche Rolle die Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft (GEW) spielte, verdeutlichte sie mittels Quellen, die während der Gruppenarbeit und während ihres Vortrages diskutiert wurden. Die GEW ließ sich nach der Wiedervereinigung auch im Osten Deutschlands nieder, exportierte ihre eigenen Strukturen und machte es sich zur Aufgabe, die spezifischen Interessen der ostdeutschen Lehrerinnen zu vertreten, wobei die große Herausforderung darin bestand, die Ansprüche der ‚neuen‘ und ‚alten‘ Bundesländer zusammenzuführen, einschließlich der Frage der Ungleichbehandlung von Frauen und Männern.
Fabian Lemmes (Universität des Saarlandes) kommentierte den Vortrag. Er hebt das Narrativ der 'Übernahme' von Ost-durch Westdeutschland hervor und die Frage, ob Frauen – obwohl offenbar strukturell benachteiligt – die Transformation besser meisterten als Männer bzw. inwiefern es in der Folge zu einer Retraditionalisierung der Geschlechterrollen in der DDR kam.

Die Zeit nach der Promotion als Aufbruch in einen neuen Lebens- und Karriereabschnitt – darum drehte sich der Alumni-Table. Ehemalige Kollegteilnehmer:innen, die nun sowohl im universitären als auch außeruniversitären, im öffentlichen wie privaten Wissenschafts- und Bildungsbereich tätig sind, berichteten von ihrem Berufseinstieg. Welche Erfahrungen haben sie in ihrer Bewerbungsphase gemacht, welche Tipps können sie den Doktorand:innen  auf dem Weg zum „Traumjob“ an die Hand geben?

Isabella Dill (Ludwig-Maximilians-Universität München / Sorbonne Université) eröffnete den zweiten Tag des Kollegtreffens und fragte danach, inwiefern der deutsche Jurist Friedrich Grimm (1888–1959) als deutsch-französischer Vermittler interpretiert werden kann. Grimm konnte sich nach den beiden Weltkriegen vor allem als ‚Krisenmanager‘ für deutsche Industrielle profilieren und erlangte Bekanntheit u. a. als Berater verschiedener deutscher Regierungen. Er agierte hierbei in deutsch-französischen Netzwerken und nutzte geschickt französische Rechtskonzepte zur Verteidigung seiner Klienten.
Fritz Taubert (Université de Bourgogne) kommentierte den Vortrag und charakterisierte die Biografie Grimms als exemplarisch für jene Jahre vom Ende des Ersten Weltkrieges bis in die 1950er Jahre. Trotz eigener Interessen habe sich der Jurist aber für die deutsch-französische Verständigung stark gemacht. Innerhalb der anschließenden intensiven Diskussion problematisierten die (Nachwuchs-) Wissenschaftler:innen vor allem den Begriff des (Ver-) Mittlers und die damit zusammenhängenden Konzepte des Transfers und Austauschs sowie der Zirkulation.

Sylvi Siebler (Universität des Saarlandes) sprach anschließend über Landkommunen in Westdeutschland und Frankreich von den späten 1960er bis Mitte der 1980er Jahre. Die Referentin deutete die Landkommunebewegung als europäisches Phänomen, das aus der Auseinandersetzung mit wirtschaftlichen Krisen und dem „Scheitern“ von 1968 hervorging. Das Aufblühen des ökologischen Bewusstseins paarte sich mit dem Wunsch nach gesamtgesellschaftlichen Veränderungen: Die Landkommunard:innen strebten nach neuen Geschlechterverhältnissen, der Überwindung der Kleinfamilie und einem Leben im Einklang mit der Natur.
Kommentiert wurde der Vortrag von Birgit Metzger (Universität des Saarlandes). Metzger lenkte die Diskussion vor allem in Richtung möglicher Kontinuitäten zur Lebensreformbewegung, der Frage nach Transfers zwischen verschiedenen Landkommunen und früheren Bewegungen sowie der Rolle der Landkommunen bei der Durchsetzung eines biologischen Lebensstils wie er uns heute gängig erscheint.

Abschluss des Workshops stellte der öffentliche Abendvortrag von Fabian Lemmes und Birgit Metzger zu Deindustrialisierung als Forschungsaufgabe: Deutschland, Frankreich und Luxemburg dar. Lemmes gab einen Überblick in das kürzlich gestartete Forschungsprojekt Die Deindustrialisierung in Deutschland und Frankreich: Erfahrungen und Emotionen von den 1960er Jahren bis in die Gegenwart. The Unmaking of the Working Class?, das von DFG (Deutsche Forschungsgemeinschaft) und ANR (Agence nationale de recherche) gefördert wird und an der Universität des Saarlandes, der Ruhr-Universität Bochum und der Université de Strasbourg beheimatet ist. Um das Projekt greifbarer zu machen, gab Metzger Einsichten in ihr Teilprojekt, bei dem sie sich mit den Erfahrungen der Deindustrialisierung in der transnationalen Grenzregion – Völklingen, Creutzwald, Esch-sur-Alzette – auseinandersetzt. Der gutbesuchte Vortrag diente als gelungene Klammer des Jahresschwerpunktthemas „Zeitdiagnosen - Krisen und Aufbrüche“, trug der trinationalen Ausrichtung des Kollegs Rechnung und gab den Doktorand:innen darüber hinaus Einblicke in aktuelle Forschungsfragen.

Die Broschüre zur Veranstaltung finden Sie hier.

Impressionen