Roland Marti
„Р. Роллан […] Лев Толстой Франции – Romain Rolland ist der Tolstoï Frankreichs“ (Maksim Gor’kij)
Romain Rolland zeigte schon früh Interesse für die russische Literatur, das sich noch verstärkte, nachdem er einen Brief von Lev Tolstoj erhalten hatte. Er förderte sie, indem er zunächst sein ‚spezielles Verhältnis‘ zu Tolstoj, später seine Kontakte zu Maksim Gor’kij nutzte. Nach der Oktoberrevolution kam zur kulturellen Russophilie noch eine stetig zunehmende Sowjetophilie. Der Beitrag untersucht diesen Beziehungskomplex aus der russisch/sowjetischen Perspektive, wobei zunächst die Konstruktion der bipolaren Konstellation Tolstoj–Rolland und ihre Erweiterung zum Dreieck Tolstoj–Rolland–Gor’kij im Mittelpunkt stehen.
Die Entdeckung von Rolland im russisch/sowjetischen Raum setzt erst nach der Revolution richtig ein und ist stark von der politischen Konjunktur abhängig. Seine große Popularität in der Sowjetunion ist zu gleichen Teilen seiner Kontextualisierung im Umfeld von Tolstoj und Gor’kij, seinen politischen Positionen und der offiziellen Propaganda geschuldet. Im Zeitalter von glasnost’ weicht sie einer zum Teil äußerst negativen Einstellung, die sich hauptsächlich an Rollands kritikloser Übernahme stalinistischer Positionen festmacht (und die oft dem Einfluss seiner zweiten Frau, Marija Kudaševa, zugeschrieben wird). Eine objektive Würdigung von Rollands Wirken und Werk scheint deswegen in Russland zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht möglich zu sein.