Gwenaële Vincent-Böhmer
Romane Europas: Jean-Christophe von Romain Rolland und Das Erbe am Rhein von René Schickele – Leben und Sterben eines Ideals?
Der vorliegende Artikel versteht sich als Beitrag zur Untersuchung der Europaidee in der Literatur vor der Entstehung ‚Europas‘, wie wir es heute kennen. Wie wurde Europa in der Literatur dargestellt, benannt, verteidigt oder zunichte gemacht?
Um diese Frage zu beantworten, beschäftigen wir uns mit zwei Akteuren ersten Ranges: Romain Rolland und der deutschsprachige Elsässer René Schickele. Beide Schriftsteller setzten sich für die deutsch-französische Aussöhnung, für Frieden und die Schaffung Europas ein und beiden brachten ihre Überzeugungen Unverständnis, Schmach und Schande ein. Beide teilten das Schicksal des Exils, sie kannten sich persönlich und gehörten mit Stefan Zweig, Thomas Mann und Hermann Hesse demjenigen Kreis von Schriftstellern an, die in den 1920er- und 1930er-Jahren unermüdlich für ein humanistisches Ideal kämpften.
Beide Autoren haben große europäische Fresken geschaffen: Romain Rolland schrieb Jean-Christophe (1903–1912) und René Schickele Das Erbe am Rhein (1926–1931). Warum wählten sie den Roman und damit das Reich der Fiktion? Kann man Europa nach dem Ersten Weltkrieg literarisch noch genauso schreiben wie vorher? Welche intertextuellen Beziehungen bestehen zwischen den beiden Romanen? Führt Das Erbe am Rhein Rollands Jean-Christophe fort,geht Schickeles Romanzyklus über das Vorbild von Rolland hinaus oder vollendet er es?