Teilprojekt 6 (Tadié / N.N.)

Kulturen und Ästhetiken von Sport-Arenen

Verantwortlicher: Alexis Tadié
Doktorand:in: N.N.

Durch eine Studie über den Stellenwert von Sport-Arenen in verschiedenen Kulturen ergänzt das Teilprojekt die historischen Überlegungen, indem es zum Nachdenken über die Vielfalt der durch sie mobilisierten Kulturen einlädt. Es konzentriert sich dabei auf die postkolonialen, transkulturellen und transmedialen Dimensionen der Stadien, die unser Verständnis von Sport verändern. Literatur, Film und Malerei ermöglichen es, sich mit diesen Aspekten zu beschäftigen.

Stadien als transkulturelle Räume: Das Vorhaben untersucht Sport-Arenen aus dem Blickwinkel der Kulturen, die sie durchdringen. Stadien sind Knotenpunkte in kulturellen, oftmals globalisierten Netzwerken, die es näher zu betrachten gilt. Sie sind in das Stadtgefüge eingebettet (oder auch nicht), nach modulierten architektonischen Prinzipien organisiert, die sich weiterentwickeln, und bewegen sich auf einer Skala, die vom Lokalen bis zum Globalen reicht. Über den Kern des deutsch-französischen Vergleichs und die europäischen Zirkulationen - besonders die englischsprachigen, da der Sport in dieser kulturellen Sphäre eine besondere Rolle spielt - hinaus wird sich das Projekt den postkolonialen Räumen öffnen - beispielsweise dem Bau des Gelora Bung Karno Stadiums in Jakarta für die Asienspiele 1962 oder dem Stadion in Ahmedabad, das vom indischen Architekten Charles Correa gebaut wurde - und andere politische Formen der Einschreibung von Stadien in die Sportgeschichte aufzeigen.

Literatur und Film, gelegentlich auch die Malerei, artikulieren diese räumlichen Zirkulationen, wobei die Maßstäbe variieren: von den "intimen" Stadien (Montherlant 1924) zu den Massen in den globalisierten Stadien (Mauvinier 2006), vom sozialen Rahmen der Tennisspiele in Newport (Bellows 1919) zu den leeren Tribünen von Roland-Garros im Corona-Jahr 2021 (Claracq 2021), von den auf die Philippinen ausgewanderten Cricketspielern, die The Match eröffnen, zum Testspiel zwischen Indien und Sri Lanka in London, das am Ende der Novelle steht (Gunesekera 2006). Die Musik (Vangélis für Hudson 1981 fungierte auch als Hymne für die Olympischen Winterspiele 1984; das Lied Tour de France der deutschen Band Kraftwerk liegt in zwei Versionen vor, einer französischen und einer deutschen) bildet einen Teil dieser Zirkulationen und enthüllt die Plastizität des Stadions als Projektionsfläche für Sportarten und als Ort, an dem die Gesellschaft hinterfragt wird. Auf diese Weise werden die kulturellen Formen analysiert, die das Stadion definieren, wobei das Stadion wiederum den physischen Raum des Theaters und seiner Bühne einnehmen - beispielsweise mit der Frauenfußballmannschaft (Bureau 2019) - oder ihn umwandeln kann - z.B. mit den Fans des Racing Club de Lens (El Khatib 2019).

Sport-Arenen als Bühne: Seit dem 18. Jahrhundert, als die Jeux de paume zu Theatern wurden, bieten Stadien neben oder anstelle von Sport auch Schaubühnen. Aber die Sport-Arenen machen die Sportveranstaltung zu einem eigenständigen Spektakel (bei Tomlinson/Young 2006 nur hinsichtlich der Medien analysiert), das seine Inspiration im Theater, Musical oder in der Oper finden kann (die Konzeption der Olympischen Spiele durch Pierre de Coubertin nach dem Vorbild des Wagner‘schen Gesamtkunstwerks). Es ist diese umfassende Dimension, die hier untersucht werden soll. Die Integration von Musik und die Organisation eines Kunstwettbewerbs fanden 1936 in Berlin einen ersten Höhepunkt; der Event-Charakter endet jedoch nicht bei den Olympischen Spielen. Der gesamte moderne Sport ist von diesem Gedanken des "Spektakulären" durchdrungen - mit allem, was er an Mediatisierung und Uniformierung mit sich bringt. Die Stadien sind die ultimative Verkörperung der "Gesellschaft des Spektakels" (Debord 1967).

Repräsentation und Ästhetik von Stadien: Die Herausforderungen der Repräsentation von Stadien bedingen für das Kino eine spezifische Ästhetik, mit der sich Regisseurinnen und Regisseure seit Leni Riefenstahl (1936) auseinandersetzen. Jenseits nationaler Räume haben sich andere Filmemacherinnen und -macher die Arenen angeeignet (Marker 1952; Ichikawa 1965), die sportliche Leistung zugunsten einer Komödie des Stadions sowie seiner Akteurinnen und Akteure ausgeklammert (Tati 1978) und sind manchmal bis zur Abstraktion gegangen (Gordon/Parreno 2006, wo das Stadion nur noch im Soundtrack vorkommt). Filmregisseure und -regisseurinnen eignen sich von der Komödie bis zum Drama (Hudson 1981), vom Actionfilm (Huston 1981) bis zum film noir den Raum des Stadions ebenfalls an. Dieser schreibt dem Kino im Gegenzug besondere Formen der Spektralität vor und definiert so den Platz des (Fernseh-)Zuschauenden. Die Literatur gestaltet das Stadion neu: als dramatischen Ort (Mauvinier 2006), als Raum der Gemeinschaft und der sozialen Konfrontation (King 1997-1998), als Einblick in ein Land anhand dessen "kleiner Mannschaften" (Esterhàzy 2006), auch als Ort des Verbrechens (Gribble 1937). Hier sollen die Wechselwirkungen zwischen einer architektonischen bzw. sportlichen Form und ihrer ästhetischen wie kulturellen Wahrnehmung untersucht werden. Diese ästhetische bzw. kulturelle Herangehensweise erlaubt es im Gegenzug, die transkulturelle und transnationale Dimension von Stadien zu erfassen.