Ubuntu, Clazz und 'the masters': Komponieren mit Beethoven in Südafrika

Dr. Jürgen May (Beethoven-Archiv Bonn / Africa Open Institute (Stellenbosch University))

„Komponieren“ findet in Südafrika in einem Spannungsfeld zwischen kolonialen und postkolonialen Bedingungen statt, in dem unterschiedliche Musikkulturen aufeinandertreffen, wie europäische Kirchen- und sogenannte Kunstmusik, afrikanische Musikrichtungen, oder internationaler Pop und Jazz . „Beethoven“ spielt dabei insofern eine besondere Rolle, als seine Musik im 20. Jahrhundert ideologische Aneignungen durch unterschiedliche politische Richtungen erfahren hat, etwa als Propagandainstrument des Apartheid-Regimes auf der einen, oder aber als Emblem einer freien und gleichen Gesellschaft auf der anderen Seite.
Dabei ist weitgehend unerforscht, wie sich südafrikanische Komponist*innen vor diesen politisch-ideologischen Hintergründen zu„Beethoven“ verhalten haben und verhalten. Anhand von Beispielen aus ausgewählten Kompositionen dreier südafrikanischer Komponisten beleuchte ich Aspekte unterschiedlicher Ansätze, sich mit Beethoven auseinanderzusetzen. Die im Vortragstitel verwendeten Begriffe repräsentieren einerseits jeweils die konkreten Kompositionen, andererseits stehen sie für die kulturelle Diversität, in der sich die kompositorische Auseinandersetzung mit „Beethoven“ bewegt: „Ubuntu“, der Titel von Hans Roosenschoons Beitrag zu einem „Human Rights Oratorio“, beschreibt in den Nguni-Sprachen das ideale Verhältnis zwischen Individuum und Gemeinschaft; mit „Clazz“, einem Kofferwort aus Classical [music] und Jazz, bezeichnete Surendran Reddy seinen Kompositionsstil, wie man ihn etwa in seiner „Hammerclazz Sonata“ ausgeprägt findet; und der Untertitel („Hours with the masters“) der Cello-Sonate von Michael Blake spielt auf europäisches Denken von Musikgeschichte als Geschichte „großer Meister“ an.
Die Untersuchung zum Komponieren mit Beethoven in Südafrika ist Teil der Vorbereitungen eines Forschungsprojekts „Beethoven im südlichen Afrika: Aspekte von Rezeption und Wirkung unter kolonialen und postkolonialen Bedingungen“.

 

Jürgen May, seit November 2019 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Beethoven-Archiv Bonn, studierte Musik in Bielefeld und Musikwissenschaft in Bonn. Von 1984 bis 1993 arbeitete er an der Ausgabe der Briefe Beethovens am Beethoven-Archiv mit. Von 1999 bis März 2018 war er wissenschaftlicher Mitarbeiter am Richard-Strauss-Institut Garmisch-Partenkirchen, wo er u.a. die DFG-geförderten Forschungsprojekte “Richard-Strauss-Quellenverzeichnis” und “Richard Strauss: Späte Aufzeichnungen” leitete. May ist Mitglied des Projektausschusses der Kritischen Ausgabe der Werke von Richard Strauss an der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Als Associate Professor Extraordinary am Africa Open Institute for Music, Research and Innovation at Stellenbosch University (Südafrika) leitet er das Digitalisierungs- und Katalogisierungsprojekt “Genadendal Music Archive”. Zu Mays Forschungsschwerpunkten gehören Arbeiten über den Kompositionsprozess, Musik und Politik sowie die Konstruktion biographischer Mythen. Zur Zeit bereitet May ein Forschungsprojekt “Beethoven im südlichen Afrika: Aspekte von Rezeption und Wirkung in kolonialen und postkolonialen Kontexten” vor.