Neue Musik kommunizieren: Alban Berg als Vortragender und Dialogpartner

Prof. Dr. Kordula Knaus (Universität Bayreuth)

Mit den neuen Ästhetiken und Kompositionstechniken einer musikalischen Moderne um und nach 1900 driften die Erwartungshaltungen eines Konzert- und Opernpublikums und die tatsächliche Musikproduktion einer musikalischen Avantgarde zunehmend auseinander. „Skandalkonzerte“ mehren sich und heftige Debatten werden im Feuilleton ausgetragen. Auf diesen Diskurs reagieren Musikerinnen und Musiker nicht nur dadurch, dass eigene Interessensgemeinschaften und Präsentationsplattformen für die Neue Musik etabliert werden. Es ist auch ein gesteigerter Anspruch Musikschaffender zu erkennen, ihre Musik so an ein Publikum zu kommunizieren, dass sie „verstanden“ wird. Einführungsvorträge, Aufsätze, Interviews, Programmvermerke und Gespräche begleiten in zunehmendem Maße Aufführungen oder Neuerscheinungen Neuer Musik. Diese Äußerungen Musikschaffender wurden von der Musikforschung bisher weitgehend als Selbstaussagen der Komponistinnen und Komponisten zu ihren jeweiligen Werken herangezogen. Kaum reflektiert hingegen wurde die Tatsache, dass sie 1. kommunikative Akte sind, die ein reales oder imaginiertes Publikum voraussetzen, und 2. in einen diskursiven Rahmen eingebettet sind, auf den sie direkt oder indirekt reagieren.
Im Vortrag werden diese zwei Aspekte anhand von Beispielen des Komponisten Alban Berg diskutiert. Zunächst wird dabei sein Wozzeck-Vortrag in den Blick genommen, den er 1929 erstmals zur Oldenburger Erstaufführung des Werkes hielt. Im Vortrag rekurriert Berg mit über fünfzig Klangbeispielen am Klavier vor allem auf wiederkehrende Akkorde und Zusammenklänge. Deutlich ist hier die performative Strategie zu erkennen, dem Publikum eine spezifische Klanglichkeit nicht tonal gebundener Akkordverbindungen durch konkrete, sinnliche Höreindrücke zu vermitteln. Berg betont darüber hinaus die kompositorischen Gesetzmäßigkeiten im Wozzeck, was als Reaktion auf den wiederholten Vorwurf der Presse, die moderne Musik würde eben keinen Gesetzmäßigkeiten folgen, zu lesen ist. Ähnliche Überlegungen sind im Radiodialog „Was ist atonal?“ präsent, der am 23. April 1930 in Radio Wien ausgestrahlt wurde. Anhand dieses Dialogs wird abschließend diskutiert, wie Protagonistinnen und Protagonisten der Neuen Musik in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts das neue Medium Radio nutzten.

 

Kordula Knaus ist seit 2015 Professorin für Musikwissenschaft an der Universität Bayreuth. Sie promovierte 2003 über Alban Bergs Lulu und war bis 2013 an der Universität Graz tätig. 2010 erfolgte die Habilitation mit einer Arbeit über gegengeschlechtliche Besetzungspraxis in der Barockoper. Forschungs- und Lehraufenthalte führten sie nach New York (2007, Visiting Professorship) und Bologna (2013–2015, Forschungsprojekt zu Baldassare Galuppis komischen Opern). 2017–2020 leitete sie das DFG-Projekt „Opera buffa as a European Phenomenon“, seit September 2021 leitet sie das DFG-Projekt „Materialität und ästhetische Transformation. Die festa teatrale L’Huomo auf der Bayreuther Opernbühne“. Derzeit ediert sie den Band Schriften II für die Alban-Berg- Gesamtausgabe und arbeitet an einer Monographie zur Musik des Barock.