Kollaboratives Komponieren. Spuren, Strategien und Probleme in Opernmanuskripten des Seicento

Nastasia Heckendorff (Universität Jena)

Marco Marazzoli (1602/1608–1662) komponierte elf Bühnenwerke für Auftraggeber in Rom, Ferrara und Venedig. Während eine seiner Oper zu Lebzeiten im Druck erschien, existieren die Manuskripte sieben weiterer in der Vatikanischen Bibliothek. Diese wurden teilweise von Witzenmann (1969) und teilweise von Lindgren und Murata (2018) untersucht. Bekannt ist daher, dass Marazzoli die Musik zweier Opern gemeinsam mit einem weiteren Komponisten verfasste – Chi soffre speri (1637/1639) gemeinsam mit Virgilio Mazzocchi und Dal male il bene (1654/56) gemeinsam mit Antonio Maria Abbatini.
Jedoch existieren auch in anderen Manuskripten neben Marazzolis Hand weitere, bisher unbekannte Hände, wie eine erneute Untersuchung der Quellen kürzlich gezeigt hat. Diese philologischen Entdeckungen werfen wichtige Fragen im Hinblick auf das Phänomen der kollaborativen Autorschaft in der Frühen Neuzeit auf: Obwohl die arbeitsteilige Zusammenarbeit in Werkstätten von Bildhauern und Malern wie etwa derjenigen Paolo Veroneses sehr wohl bekannt ist, gilt das kollaborative Komponieren weitestgehend alt terra incognita.
Mein Vortrag zielt darauf ab, anhand der Quellenuntersuchungen die Spuren kollaborativer Verfahren in den Opern Marazzolis zu diskutieren. Dabei sollen die verschiedenen Strategien identifiziert werden, die Komponisten bei der Aufteilung der Arbeitsschritte anwandten: Wer war verantwortlich für was und warum? An diese Frage schließt eine kritische Reflexion über die Grenzen des philologischen Zugangs an: Wie lassen sich simultane und sukzessive Schreibprozesse sowie Verfahren des Komponierens und Kopierens unterscheiden? Diese Fragen zielen schließlich darauf ab, ein Nachdenken über die prinzipielle Kategorie der Autorschaft in der Frühen Neuzeit anzuregen.

 

Studium der historischen Musikwissenschaft und Psychologie in Weimar, Jena und Paris. Seit 2018 Doktorandin an der Hochschule für Musik Franz Liszt Weimar mit einem Projekt zu den Opern Marco Marazzolis. Forschungsaufenthalte am DHI in Rom, am DHI in Paris sowie am Deutsches Studienzentrum in Venedig. Weitere Fellowships und Stipendien u.a. von der McGill University Montreal, dem DAAD und der Studienstiftung des deutschen Volkes. Seit 2022 Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Musikwissenschaft Weimar-Jena (der Professur für Musik des Mittelalters und der Renaissance zugeeignet). Zuletzt erschien eine gemeinsam mit Michael Klaper herausgegebene Notenedition der Kantaten auf Texte Francesco Butis (A-R-Editions).