Im Übergangsstadium: Das Studio für Elektronische Musik des WDR auf dem Weg zur Musik-Reliquie

Dr. Elfi Vomberg (Hochschule für Musik und Theater Rostock)

Das berühmte „Studio für Elektronische Musik des WDR“, das ab 1951 für Eklats, Neubeginn und Aufbruch in der Musikwelt gesorgt hat, teilt sich inzwischen ein Dach mit einer Fitnessstudio-Kette. Im Untergeschoss eines Industriegebäudes in Köln-Ossendorf stehen Magnetophone und Generatoren, mit deren Hilfe einst Komponistengrößen wie Stockhausen, Pousseur, Ligeti, Krenek und Xenakis Musikgeschichte geschrieben haben.

Mehrere Studioausstattungen aus verschiedenen Dekaden der Einrichtung sind hier abgestellt, eingelagert oder angeschlossen – viele bedeutende Werke der Musikgeschichte mit der Objektgeschichte verflochten. Betrachtet man die Einrichtung im Sinne Michel Foucaults "Archäologie des Wissens" als Aussagesystem, kann ein komplexes Beziehungsgeflecht sichtbar gemacht werden: Tonbänder, Digitalisate, Gerätschaften treffen auf Realisationspartituren, Schaltpläne und Notentext. Alle Komponenten bilden ein fluides Aussagesystem, dem gewisse Rahmenbedingungen zugrunde liegen (Sperrfristen, Ordnungssysteme von Signaturen, Gesetzmäßigkeiten der Institution, Rechtefragen zum Aufführungsmaterial). Die Fluidität dieses Geflechts vollzieht sich u.a. auch an der Transformation zur Digitalisierung der Bestände – und bildet das Studio derzeit in einem Übergangszustand zwischen Archivierungsprozess und musealen Zukunftsszenarien ab.

Der medienarchäologische Beitrag gestaltet sich als bildreiche Schatzsuche und spürt im Zusammenhang mit dem Studio verschiedene „Orte des Vergessens“ auf: Der Kellerraum, in dem das „Studio für elektronische Musik“ ,abgestellt‘ ist; ein Dachboden, auf dem 144 Kisten mit „Überresten“ lagern; das Unternehmensarchiv, das Schallarchiv sowie das digitale Archiv.

Anhand des „Studios für Elektronische Musik des WDR“ lässt sich zeigen, dass Gedächtnisfunktionen von Objekten mit der Digitalisierung immer lückenhafter werden. Eng verbunden mit gesellschaftlichen Entwicklungen weist die materielle Kultur von Objekten gleichsam auf ihre Position als Schwellenfiguration hin: Zwischen Kulturen, zwischen Zeitlinien, zwischen Materialitäten und zwischen Netzwerken – es sind fluide Räumlichkeiten, Zeitlichkeiten und Aggregatzustände mit denen materielle Gedächtnisträger konfrontiert sind. Das freie Referat fragt, welches Wissen in kulturell geschaffenen Objekten (Musikwerken) verankert ist. Welcher Korpus an Wissen ist den Gegenständen des kulturellen Erbes eingeschrieben und welche Halbwertszeit ist mit diesen Materialitäten verbunden?

 

Dr. Elfi Vomberg vertritt im Sommersemester 2023 die Professur für historische Musikwissenschaft an der Hochschule für Musik und Theater Rostock. Als Lecturer forscht und lehrt sie ansonsten am Institut für Medien- und Kulturwissenschaft der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. Nach dem Studium der Musikwissenschaft, Literaturwissenschaft und Soziologie an der Universität zu Köln promovierte sie im interdisziplinären Studiengang „Musik und Performance“ am Forschungsinstitut für Musiktheater der Universität Bayreuth mit der Arbeit „Wagner-Vereine und Wagnerianer heute“. Aktuell beschäftigt sie sich in ihrer Forschung mit Kanonisierungsprozessen in der Neuen Musik.