Albtraum Instrumentalunterricht? Vorbereitende Überlegungen zu einem wenig erschlossenen Feld
Prof. Dr. Wiebke Rademacher (Musik und Kunst Privatuniversität der Stadt Wien)
Aktuelle Forschungen im Feld der Musikpädagogik und Musikvermittlung fokussieren in der Regel das positive, ermächtigende Potenzial musik- bzw. instrumentalpädagogischer Angebote: Instrumentalunterricht hebt den IQ, hilft Geflüchteten in einer neuen Umgebung anzukommen, unterstützt Demenzpatient:innen mit ihrer Krankheit umzugehen und wirkt sich positiv auf die kommunikativen und sozialen Fähigkeiten von Kindern aus. Die Studien liefern zahlreiche Evidenzen dafür, dass Musik(pädagogik) individuell und kollektiv positive Wirkungen entfalten kann. Politisch ist gut nachvollziehbar, dass es eine Tendenz zur empirischen Untermauerung der positiven Kraft musikpädagogischer Arbeit gibt, ist sie doch tendenziell von Sparmaßnahmen betroffen bzw. steht im Abgrenzungs- und Rechtfertigungsdruck gegenüber prestigeträchtigeren Abteilungen innerhalb von Hochschulen und Veranstaltungsinstitutionen. Wenn man sich informell im Freundes- oder Bekanntenkreis über die Erinnerungen an den Instrumentalunterricht austauscht, zeichnet sich jedoch ein deutlich anderes Bild als im Forschungsdiskurs. Viele Menschen haben ausgesprochen unangenehme, wenn nicht gar traumatisierende Erfahrungen in ihrem Instrumentalunterricht gemacht, die häufig noch sehr präsent sind, selbst wenn sie bereits Jahrzehnte zurückliegen. Sie erinnern präzise die harsche Stimme der Klavierlehrerin, erröten noch heute, wenn sie an das Vorsingen für den Kinderchor denken oder schaudern allein beim Anblick des Geigenkastens. Im freien Referat sollen diese Diskrepanz in den Blick genommen und erste Überlegungen zu einem größer angelegten, empirischen Forschungsprojekt zur Diskussion gestellt werden.
Wiebke Rademacher (geb. 1990) ist Professorin für Kunst- und Kulturvermittlung (MAE) und Instrumental- und Gesangspädagogik (BA) an der MUK. Sie studierte Musikwissenschaft und Geschichte an den Universitäten Köln und Basel (B.A/M.A.), Musikvermittlung und Musikmanagement an der Hochschule für Musik Detmold (M.Mus.) sowie klassische Gitarre am Conservatorium Maastricht (B.Mus.). 2020 wurde sie an der Universität zu Köln mit einem Dissertationsprojekt zu Aufführungskontexten von klassischer Musik für breite Bevölkerungsschichten in Berlin um 1900 promoviert (Dr. phil. summa cum laude). Ihr Dissertationsprojekt wurde von der Studienstiftung des deutschen Volkes und der a.r.t.e.s. Graduate School for the Humanities Cologne gefördert, während ihres grundständigen Studiums war sie Stipendiatin des Ev. Studienwerk Villigst. Ihre Masterarbeit an der Hochschule für Musik Detmold, die den Zusammenhang von Körperlichkeit und Musikrezeption aus interdisziplinärer Perspektive beleuchtete, wurde mit einem Förderstipendium der Rektorenkonferenz deutscher Musikhochschulen ausgezeichnet. Aktuelle Forschungen präsentiert sie regelmäßig auf Konferenzen im In- und Ausland. Lehraufträge führten sie an die Hochschule für Musik und Tanz Köln, die Robert-Schumann-Hochschule Düsseldorf sowie an die Universität zu Köln, wo sie 2016/17 zudem als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für historische Musikwissenschaft tätig war.
Neben ihrer wissenschaftlichen Tätigkeit ist sie als Dramaturgin, Musikvermittlerin, Beraterin und Musikerin aktiv. Von 2014–2021 leitete Sie die Education-Abteilung von PODIUM Esslingen und initiierte dort zahlreiche innovative Vermittlungsprojekte. Das von ihr entwickelte partizipative Vermittlungsformat VISION wurde aufgrund seines Modellcharakters für den Preis für Kulturelle Bildung vom Bundesministerium für Kultur und Medien Deutschland nominiert. Szenische Kammermusikformate, die unter ihrer Projektleitung entstanden, wurden zu Gastspielen in die Schweiz, nach Österreich und Luxemburg eingeladen. Als Dramaturgin und Kuratorin wirkt sie regelmäßig bei der Entwicklung interdisziplinärer Konzertinszenierungen mit, insbesondere in Zusammenarbeit mit Iñigo Gíner Miranda (DieOrdnungDerDinge). Als freiberufliche Musikvermittlerin war sie für zahlreiche Akteure im Kulturbetrieb tätig, u.a. für den Heidelberger Frühling, das Klang!Festival Bielefeld und die Deutsche Kammerakademie Neuss. Die Internationalen Beethovenfeste Bonn beriet sie 2021 künstlerisch-wissenschaftlich bei der Entwicklung einer innovativen digitalen Gesamtstrategie. Als Mitglied des Satori-Quartetts führten sie Konzertreisen u.a. nach Brasilien, Georgien, Armenien und Rumänien.