Thema: Theaterarbeit transnational
Perspektiven der Lehre und Forschung
Das heutige Theater ist durch Transnationalität gekennzeichnet: Im Rahmen multipolarer Kulturbeziehungen gehen Theaterproduktionen, die nicht selten als Koproduktionen entstanden sind, auf Tournee, und Theatergruppen, deren Mitglieder oft aus verschiedenen Ländern stammen, nehmen an internationalen Festivals teil. Migration und Interkulturalität sind sowohl auf Theaterbühnen als auch in theaterwissenschaftlichen und in theaterpolitischen Debatten zum Thema geworden. Das Theater, das – vor allem im 18. und im 19. Jahrhundert – in Ländern wie Deutschland und Frankreich mit der Vorstellung der Nation assoziiert wurde, weist über den nationalen Rahmen hinaus, der im Zuge der zunehmenden Globalisierung als "eine Möglichkeit der Raumordnung unter anderen zu betrachten" (Margrit Pernau 2011) wäre.
Dieser Wandel schlägt sich in der Praxis, in der Ästhetik und im (Selbst-)Verständnis des Theaters nieder. Die Theaterwissenschaftlerin Ulrike Haß stellt in dieser Hinsicht Verbindungslinien zwischen heutigen Globalisierungsprozessen und jüngsten Theaterentwicklungen her: Wenn die Welt "zu einem Raum" wird und wenn "die alteuropäische Weltgewissheit, in einer Welt wie in einem Behälter zu wohnen, [zusammen]bricht", entstehen neue Raumbezüge, u. a. immersive Theaterformen als "Welt ohne Außen" (Ulrike Haß 2018). Es kann die Hypothese aufgestellt werden, dass mit der Globalisierung eine Entgrenzung des Theaters und des Theaterbegriffs einhergeht: Es werden z.B. Gattungsgrenzen sowie Grenzen zwischen Theater und anderen Künsten überschritten. Das sich im globalen Rahmen De- und Reterritorialisierungsprozessen unterziehende Theater ist anders – nicht mehr in festen, abgeschlossenen "Container"-Kategorien – zu denken: In der Theaterwissenschaft fungiert jetzt nicht nur die Aufführung als Hauptforschungsgegenstand, sondern es werden auch die Proben und die theatralischen Institutionen untersucht (Annemarie Matzke 2012), wobei das Theater als interaktive Arbeit und als dynamischer Prozess betrachtet wird.
Im Rahmen der Gastdozentur "Theaterarbeit transnational" wird das zeitgenössische deutsch- und französischsprachige Theater fokussiert, da es schon eine lange und reichhaltige Tradition deutsch-französischen Theatertransfers gibt (Michel Grimberg 1995). Berücksichtigt werden sowohl deutsch-französische Theaterverflechtungen als auch Auswirkungen transnationaler Dimensionen auf die jeweilige Theaterlandschaft in der zweiten Hälfte des 20. und am Anfang des 21. Jahrhunderts. Im Kontrapunkt zu Theorien des Globalen, die sich meistens für die Ökonomie oder für die Kultur im Allgemeinen interessieren, wird der Akzent auf konkrete Beispiele transnationaler Theaterkonstellationen und auf ästhetische Aspekte gelegt: Es soll der Frage nachgegangen werden, inwiefern das Theater als Schlüsselort des Transnationalen betrachtet werden kann, wo neue Wahrnehmungs- und Raum-Regime dar- und hergestellt werden.