Meine Community, also alle, die mir folgen, hat mich besser gemacht. Das hört sich nach einem soften Pinterest-Spruch an, war aber häufig auch ein schmerzhafter Prozess. Denn Verbesserung stellt sich über ständige Kritik und Hinterfragen ein.
Ich habe vor den Augen Vieler Dinge gesagt, die ich nicht so meinte, und noch schlimmer, ich habe ebenfalls vor den Augen Vieler Dinge gesagt, die ich ganz genau so meinte. Dass ich dabei internalisierte Verhaltensweisen in Richtung Misogynie oder Fatphobia an den Tag gelegt habe und mitunter blind war für Marginalisierungen aller Art, habe ich lernen müssen. Auch die Illusion, dass »jede und jeder wirklich alles schaffen kann«, habe ich inzwischen als solche erkannt. Und ich musste lernen, dass die Deutungshoheit über all das natürlich immer bei den Betroffenen liegt
Ich habe ewig an mir gearbeitet, und auch wenn ich sicher noch Dinge mit mir rumtrage, die ungelöst sind, kann ich von mir behaupten, darauf zu achten, Fehler nicht zu wiederholen.
Aber von welchen Fehlern rede ich hier überhaupt? Und ab wann wird etwas unentschuldbar? Man könnte meinen, ich müsste eine Art Expertin für diese Fragen sein, habe ich doch das Buch »Sorry, aber ... Eine Verzichtserklärung an das ständige Entschuldigen« geschrieben. Und doch: Die Frage, ob es Dinge gibt, für die man sich nicht entschuldigen kann, fällt mir schwer zu beantworten.
Kann ein Vergewaltiger ein sportliches Vorbild sein?
Kurz nach der Buchpremiere hatte ich ein kurioses Erlebnis bei einem Interview. Gleich zu Beginn wurde mir die Frage gestellt: »Wenn Ihre Tochter ermordet wird und der Täter sich aber entschuldigt, ist dann alles vergessen, wenn die Entschuldigung ehrlich ist?« Das Interview habe ich danach abgebrochen, weil ich das Gefühl hatte, dass man mir eine Falle stellen wollte. Natürlich gibt es Dinge, die man nicht entschuldigen kann. Aber welche? Darüber lohnt es, zu diskutieren. Aber dann bitte ernsthaft.
Zum Beispiel über den Fall von Steven van de Velde. Er soll die Niederlande im Juli und August in Paris bei den Olympischen Spielen im Beachvolleyball vertreten. Seine Aufgabe wird es damit, sein Land mit Stolz zu erfüllen. Er soll damit auch ein Vorbild sein.
Was in den Medien über den Fall bekannt ist: Van de Velde lernte laut BBC-Bericht als 19-Jähriger eine Frau über Social Media kennen. Er flog zu ihr nach England, und als er allein mit dem 12-jährigen Mädchen zu Hause gewesen sein soll, habe er sie dreimal vergewaltigt. Andere Medien berichten, dass er ihr zuvor Alkohol verabreicht habe.
Dafür wurde er in Großbritannien verurteilt und durfte 2017 in sein Heimatland zurückkehren. Er verbüßte ein Jahr seiner Haftstrafe. Der niederländische Volleyballverband veröffentlichte ein Statement des Spielers. Er sagt darin: »Ich kann das Geschehene nicht rückgängig machen und muss die Konsequenzen dafür tragen. Es war der größte Fehler meines Lebens.«
Danach wurden Stimmen laut: »Sie habe sich damals als 16-Jährige ausgegeben.«
Das mag so sein. Doch er wusste, bevor er in das Flugzeug stieg (ja, er ist von den Niederlanden nach England geflogen, um sie zu treffen), dass sie 12 war. Er hätte sich umentscheiden können. Hat er nicht.
Manche sagen vielleicht: »Sie wollte es doch auch.« Nein, sie war 12. Es kann in diesem Fall keinen Konsens gegeben haben.
Es gibt womöglich auch Kommentatoren, die finden: »Er hat sich danach nichts zuschulden kommen lassen und gesagt, dass er es bereut!« Auch das Olympische Komitee der Niederlande erklärte: »Nach seiner Freilassung suchte und erhielt van de Velde professionelle Beratung. Er zeigte in seinem Umfeld – privat und beruflich – Selbsterkenntnis und Selbstreflexion.«
Ja. Und nun? Ab wann gilt etwas als vergeben? Und was ist aus dem Sprichwort »vergeben, aber nicht vergessen« geworden?
Ich finde, wenn man etwas vergibt, dann sollte man auch vergessen, sonst kann man nicht heilen. Aber wie soll man jemals von so etwas heilen können? Andererseits: Wie übergriffig ist es, zu behaupten, dass Betroffene solcher Übergriffe nie heilen können? Sie sollen heilen, sie dürfen heilen.