Clemens Klünemann
Der Intellektuelle im Widerspruch. Romain Rolland und die Macht der Stereotypen – zur Aktualität seiner Kritik des kulturellen Gegensatzes
Romain Rolland hat keine Theorie des Intellektuellen im Sinne dessen, was seit Zolas „J’accuse“mit diesem Begriff assoziiert wird, formuliert. Vielmehr stand er der Abstraktion dieses Begriffs skeptisch gegenüber. Höhepunkt und damit gleichzeitig Prüfstein seines intellektuellen Engagements war sein Eintreten gegen den Ersten Weltkrieg und seine Position „au-dessus de la mêlée“.
Die Analyse seiner unter diesem Motto publizierten Schriften zeigt, dass der intellektuelle Widerspruch gegen die Verirrungen der Politik seiner Zeit selbst nicht frei war von Widersprüchen, die sich u. a. in stereotypen Äußerungen Romain Rollands über Frankreich und Deutschland spiegeln. Hinsichtlich des östlichen Nachbarlandes werden insbesondere Thomas Mann und – in mehrfacher Brechung – Friedrich Nietzsche zu Antipoden seines Denkens. Entscheidend jedoch für die heutige Bewertung der Kritik Romain Rollands an der kulturellen und politischen Gemengelage der Kriegsjahre ist, dass er der Versuchung des Unpolitischen widerstand: Sein intellektuelles Engagement verstand sich als die Einmischung des citoyen in die Belange der cité, und diese cité definierte er nicht national oder gar – wie manche seiner Zeitgenossen – ethnisch, sondern universal und kosmopolitisch.
Die Analyse des intellektuellen Engagements Romain Rollands in den Jahren des Ersten Weltkrieges führt somit unweigerlich zu der Frage, worin die Aktualität seiner intellektuellen Einmischung besteht und worin ihr Erbe für eine Zeit liegt, in der die nationalen Sollbruchstellen trotz des europäischen Einigungsprozesses der letzten Jahrzehnte immer deutlicher hervortreten.