Raum
Zum Begriff
Bereits im Titel des Romans wird der Begriff des Raums in den Mittelpunkt gestellt und auch die Autorin schreibt dem Konzept innerhalb der Handlung eine zentrale Rolle zu, wie sie in der Lesung im Rahmen der Europa-Konferenz erwähnt. Dort führt sie die Problematik der Übersetzung des Titels in andere Sprachen aus, wobei sie die englische Übersetzung Ada’s space als besonders gelungen ansieht. Die Übersetzung mit dem englischen Wort "space" zeigt hier, dass es Otoo nicht nur um eine räumliche Eingrenzung von einem Ort geht, sondern um die Konnotation, die "Raum" auch mit dem Begriff "Zeit" mit sich bringt. Die Figur Ada wird in distinktiven Räumen wie auch Zeiten angetroffen, welche innerhalb ihres Lebens nach einem Bruch stark eingeschränkt sind. Die erste Ada wird ihrem Heimatdorf entrissen und bleibt den Rest ihres Lebens in der Dorfgemeinschaft, die sie nach ihrer Verschleppung aufnimmt. Die Mathematikerin Ada verlässt das Elternhaus mit ihrer Mutter und verbringt den Rest Ihres Lebens in London. Ada in Zeiten des Zweiten Weltkriegs wird nach ihrer Denunziation aus ihrem polnischen Dorf in ein Arbeitslager geschickt und die gegenwärtige Ada zieht von Ghana nach Berlin und versucht, dort Fuß zu fassen. Hier soll die Bedeutung, die der jeweilige Raum für "seine" Ada hat, untersucht werden.
Die erste Schleife 1459
Die erste Ada, die die Lesenden kennen lernen, lebt in Otope mit ihren Müttern und ihrer Freundin auf einem kleinen Grundstück mit drei Häusern (S. 32). Für Ada ist dies ein Rückzugsort, ein Ort der Familie, aber auch des Leidens, da sie dort zwei Kinder bereits im Säuglingsalter verliert. Für den Portugiesen Guilherme Fernandes Zarco verspricht die Küste Westafrikas Gold und damit eine Möglichkeit, sich aus seinen Schulden zu befreien (S. 80f.). Um einen Moment bei dem Raumverständnis der portugiesischen „Eroberer“ jener Zeit zu bleiben: Sie sehen sich im Recht auf jeden Flecken Land, den sie sehen, egal ob bewohnt oder unbewohnt, einen Besitzanspruch zu nehmen und vor allem die Inseln nach Heiligen zu benennen.
In dieser Schleife wird das Konzept eines zweiten Raums neben dem der Erde kurz angerissen. Ada nennt diesen Raum "Asamando", während Naa Lamiley ihn als "Gbohiiajen" kennt. Dabei handelt es sich um den Raum, in dem sich die Seelen aufhalten, die nicht auf der Erde in einem Körper leben. Der Glaube ist, dass die Seelen dort verweilen, bis sie geboren werden, und nach ihrem Tod wieder dorthin zurückkehren (S. 104f.).
Ada sieht die räumliche Unterscheidung zwischen hier und dort als eine Erfindung der Europäer, auch wenn sie zu diesem Zeitpunkt der Geschichte noch nicht weiß, was mit "Europäer" gemeint ist. Sie bringt die Unterscheidung der Wörter mit dem Bedürfnis nach Distanz in Verbindung. Für sie ist nur „hier“ relevant, was zunächst keinerlei Distanz zu anderen Orten zeigt und nach einiger Zeit für sie "am Leben" bedeutet (S. 111). Sie sieht den Wunsch der Europäer Land und damit Raum zu kaufen, als unmöglich an, da Raum wie Sonnenstrahlen "nicht gefangen, getötet, gehäutet und auf dem Markt verkauft" werden kann (S. 131).
Die zweite Schleife 1848
Im 19. Jahrhundert befindet sich Ada als Lady der höheren Gesellschaft in einem schicken Herrenhaus in London. Auch die Straße, in der sich das Haus befindet, wird der feinen Gesellschaft zugeordnet; sie wird von gepflegten Vorgärten und akkurat beschnittenen Hecken geziert und zeigt allgemein ein sehr unschuldiges Bild, obwohl ihr Reichtum und ihre Ruhe auf dem Leid anderer gebaut sind (S.96f.). Eigentlich fühlt sich Ada in diesem Haus sicher und von der Außenwelt geschützt, doch ihr Liebhaber Charles Dickens liest ihr hin und wieder aus seinen neuesten Manuskripten vor und zwingt so "die Realität der Straßen Londons immer wieder in [ihr] Schlafzimmer hinein" (S. 24). Wie der historische Charles Dickens beschreibt auch dieser das Leben der weniger privilegierten Mitglieder der englischen Gesellschaft. Die Raumaufteilung von der Realität der Straße und dem gefühlten Schutz des Schlafzimmers spiegelt die gesellschaftliche Struktur der Zeit wider. Das höfische oder sozial höher gestellte Leben spielt sich größtenteils drinnen ab. Die feine Gesellschaft besitzt elegant eingerichtete Häuser und Anwesen, besucht Teestuben und teure Restaurants, während die ärmeren oder arbeitenden Leute draußen angetroffen werden. Dies wird unter anderem dadurch deutlich, dass Ada in dem Zeitraum, in dem erzählt wird, das Haus bis zu ihrem Tod nicht verlässt. Ihre Zofe Lizzy wurde einige Monate vorher nach draußen geschickt, um Adas Wettschulden zu bezahlen, und wird auch in dieser Episode losgeschickt, damit Ada und Dickens ihre Privatsphäre haben können (S. 26). Lizzy stolpert auf dem Weg zu ihrem Bruder in einen Schornsteinfeger (S. 62f.), trifft Charlie Huckle, den Fischhändler (S. 65), und ist während einem Gespräch mit ihrem Bruder umringt von bettelnden Kindern (S. 70f.). Dies wird weiterhin davon unterstrichen, dass die irischen Flüchtlinge vor der Kartoffelfäule ebenfalls draußen angetroffen werden: "Die Straßen von London waren überlaufen von Kindern, die Orangen verkauften, und Jungen, die Backfisch klauten, und Frauen ohne Geld, die auf öffentlichen Plätzen schliefen, und Männern mit Geld, die vor geschlossenen Kneipen warteten." (S. 61) Der einzige Moment, in dem Ada das Haus verlässt, ist als ihr Ehemann von Gerüchten über ihre Affäre hört und zu ihr fährt, um sie zur Rede zu stellen. Er ahnte bereits zuvor, dass sie einen Liebhaber hatte, aber die Tatsache, dass es zu einem verbreiteten Gerücht wurde, zwingt ihn zum Handeln. Nachdem er sieht, wie Dickens sein Haus verlässt, ist er in seinem Zorn nicht mehr zu bremsen. Ada hat, durch die Offensichtlichkeit ihrer Affäre, ihren Stand in der höheren Gesellschaft in Gefahr gebracht und verlässt im Streit mit ihrem Ehemann das Haus und wird daraufhin unabsichtlich von ihm erschossen (S. 100f.). Dabei fühlt sich Ada selbst in ihrem Zuhause nach einiger Zeit nicht mehr wohl, weil ihr klar wird, dass sie mitsamt dem Haus zu ihrem Ehemann gehört. Ihr großer Wunsch ist, einen eigenen Raum zu haben, den sie nutzen kann, wie sie es für richtig hält. "Ein Zimmer für mich allein." (S. 152) Das Zitat ist eine eindeutige Anspielung auf den gleichnamigen, feministischen Essay von Virginia Woolf, auch wenn dieser erst knapp 100 Jahre nach dieser beschriebenen Ada veröffentlicht wird.
Die dritte Schleife 1945
Die dritte Schleife nimmt nicht nur nahezu direkten Bezug zur Solidarität, sondern erwähnt auch den Titel Adas Raum wörtlich. Das Wesen nimmt in dieser Schleife die Form eines Zimmers in dem Bordellblock des Arbeitslagers an und bietet so durch sein Beiwohnen von Adas Erlebnissen einen Raum der Solidarität. Obwohl die Zimmer jeden Tag aufs Neue zufällig verteilt werden, landet Ada immer wieder in diesem Zimmer, wodurch es nach einiger Zeit nur noch als "Adas Raum" bezeichnet wird (S. 48). Das Zimmer hat dünne Wände, durch die so gut wie jedes Geräusch dringt (S. 51) und ist nur mit dem Nötigsten eingerichtet. Aber der eigentliche Raum dieser Ada ist der "Raum hinter [ihren] Augenlidern", in den sie sich flüchtet, während sie von den Arbeitern misshandelt wird. Dort träumt sie sich in verschiedene Szenarien: weit weg auf den Mond, versteckt in ihren eigenen Haaren oder als Leichtathletin, die schneller ist, als das Licht (S. 28). Auch hier wird ein eigener Raum als Schutz vor der Außenwelt genutzt, auch wenn er nur in der Vorstellung besteht.
Verfasserin: Sina M. Schuffert, Studentin im Master Angewandte Kulturwissenschaften an der Universität des Saarlandes, 2022