Erste Ausführungen
Für ein besseres Verständnis der Ausführungen werden für diejenigen, die den Roman noch nicht gelesen haben, einige wiederkehrende Symbole, Figuren und Strukturen kurz erklärt.
Der Roman ist zirkulär aufgebaut. Er ist in vier Teile untergliedert, wobei die längsten beiden die Titel "Die ersten Schleifen" und "Die nächsten Schleifen" tragen. Diese Teile treten spiegelbildlich auf: Der erste Teil beinhaltet die Unterkapitel "Unter den Zahnlosen", "Unter den Betrogenen", "Unter den Glücklichsten" und "Ada", welche im zweiten Teil in umgekehrter Reihenfolge vorkommen. Neben dem Epilog gibt es auch ein Intermezzo, das mit "Zwischen den Schleifen" betitelt ist und einen Einblick in die Strukturen zwischen den Leben der Adas gibt.
Das Glaubenssystem, welches im Roman gezeigt wird, bezieht sich auf die Vorstellung eines Raums, welche bereits in der ersten Schleife erwähnt wird und in dem die Seelen der noch nicht Geborenen und der bereits Verstorbenen verweilen. In diesem Raum befindet sich auch Gott relativ oft und verteilt dort Karteikarten aus Zuckerpapier, die Informationen über das nächste Leben der Menschen beinhalten und sie so auf ihre nächste Schleife vorbereiten sollen. Denn jede Seele durchläuft mehrere Schleifen in verschiedenen Leben; der Roman konzentriert sich eben auf die Seele namens Ada. Doch in jeder Schleife, die Ada durchlebt, gibt es wiederkehrende Motive, manche relevanter in ihrem jeweiligen Leben als andere. Ein in verschiedenen Formen wiederkehrender Begleiter Adas ist eine Kreatur, die nur das "Wesen" genannt wird. Das Wesen ist als Reisigbesen, Türklopfer, Zimmer und schließlich britischer Reisepass in Adas Schleifen vorhanden, in welchen es einen mehr oder minder geringen Einfluss auf die Geschehnisse in Adas Leben hat. Das Wesen tritt bereits in einem anderen Werk Otoos auf, namentlich in der Kurzgeschichte Herr Gröttrup setzt sich hin.
Im Laufe von Adas Raum erkennt man, dass das Wesen eine Seele ist, die noch nie geboren wurde und mit jeder Schleife Adas aufs Neue hofft, endlich als Mensch an Adas Seite stehen zu können. Es kann als Schutzengel oder bloßer Beobachter interpretiert werden, wobei auch seine Sicht und Kommentare den Roman prägen. Weitere wiederkehrende Figuren und Motive sind mindestens eine gute Freundin, die Ada durch ihr Leid zur Seite steht, der frühe Verlust ihrer Mutter und Kinder im Säuglingsalter sowie ein Kratzer auf der Stirn kurz vor dem Tod durch einen Schuss. Ein Armband aus goldenen Perlen, die Fruchtbarkeit unterstützen sollen, tritt ebenfalls in jeder Schleife zum Vorschein, wobei hier zu bemerken ist, dass es sich immer wieder um ein und dasselbe Armband handelt. Die erste Ada erhält es von einer Heilerin in ihrem Heimatdorf, als ihre Blutungen sehr lange nicht starten. In dieser Schleife, die in den Zeiten des Kolonialismus um 1500 angesetzt ist, will sie es mit ihrem verstorbenen zweiten Baby in den Ozean gleiten lassen, doch es wird von dem Portugiesen Guilherme gefunden und in Portugal verkauft. In Europa gelangt es zum Ehemann der zweiten Ada, der es ihr als Hochzeitsgeschenk übergibt, jedoch wieder einfordert, als er von ihrer Affäre erfährt. Ada hatte es zu diesem Zeitpunkt bereits ihrer Zofe Lizzy gegeben, damit diese ihre Wettschulden bezahlt. Lizzy ist sich um den Wert des Armbandes jedoch bewusst und versteckt es unter einem Baum. Sie kann es aber nicht schnell genug zu den streitenden Eheleuten bringen und verkauft das Schmuckstück, nachdem sie sieht, wie Ada versehentlich von ihrem Ehemann erschossen wird. So landet es auf Umwegen bei der Mutter der Ada der dritten Schleife, in welcher es bei der Denunziation der Familie in Reichsbesitz übergeht. Es wird in dem Arbeitslager, in dem Ada landet, gefunden und an ihre Freundin im Nebenzimmer weitergegeben. Da diese es nicht sorgsam versteckt, wird es entdeckt und die beiden Frauen werden abgeführt. Ada nutzt diesen Zeitpunkt, um einen Fluchtversuch zu unternehmen, und wird erschossen. Das Armband wird von einem Soldaten des Arbeitslagers gefunden und für einige Zeit auf einem Dachboden verstaut, bis es von seiner hinterbliebenen Familie an eine Ausstellung über Westafrika in Berlin geliehen wird. Die Ada im Jahr 2019 findet es im Ausstellungskatalog. Das Armband zeigt die Geschichte vieler Schmuckstücke und Kunstwerke, die in der Kolonialzeit von ihrem Ursprungort verschleppt wurden und heutzutage in Museen und Ausstellungen zu finden sind. Es verdeutlicht die Problematik der Besitzansprüche dieser Gegenstände und wirft die Frage auf, wie und an wen genau man sie zurückgeben kann.
Verfasserin: Sina M. Schuffert, Studentin im Master Angewandte Kulturwissenschaften an der Universität des Saarlandes, 2022