Die Forscher zeigen ihre multifunktionale Technologie auf der Hannover Messe vom 17. bis 21. April in Halle 002, Stand B34.
Die englische Version und Pressefotos finden Sie am Ende der Seite. / English version and press photographs below.
Ob Controller, Tastatur oder Maus: Meist drücken wir heute Knöpfe und Tasten, um dem Computer mitzuteilen, was wir wollen. Das beschränkt unsere Kommunikation in der virtuellen Welt, sie läuft nicht so natürlich ab wie mit einem menschlichen Gegenüber. Man muss die richtigen Knöpfe und Buttons an wie auch immer gearteten Eingabegeräten finden und drücken. Gesten und Fingerzeige erfasst der Rechner nicht, außer man nutzt spezielle zusätzliche Sensoren, Kameras und Techniken.
Ganz ohne zusätzliche Utensilien, Sensoren oder Kameras kommt eine neue Technologie aus: Eine schlichte Kunststofffolie wird dabei zum Sinnesorgan für Computersysteme. Mehr noch: Sie wird zum Medium der spontanen wechselseitigen Kommunikation zwischen Mensch und Maschine. „Mit etwa 50 Mikrometern sind die Elastomere, die wir einsetzen, sehr dünn, und sie sind extrem leicht. Sie bringen aber selbst alles mit für ihren multifunktionalen Einsatz sowohl als vollflächiger und elastisch verformbarer Sensor als auch als Aktor, also als eine Art Mini-Motor“, erklärt Stefan Seelecke, Professor für intelligente Materialsysteme der Universität des Saarlandes, der mit seinem Forschungsteam am Zentrum für Mechatronik und Automatisierungstechnik Zema an den smarten Folien forscht. Das bedeutet konkret: Wird die Folie auf Textilien oder sonstigen Gegenständen aufgebracht, kann sie dem Computer Informationen liefern. Und: Sie kann dem Menschen direkt Rückmeldung geben in Form von haptischen Signalen wie Klopfen, Vibrieren und Druck oder sogar auch durch akustische Signale, also Töne.
Der mögliche Einsatzbereich der durch die Folie smart werdenden Textilien oder Oberflächen ist denkbar weit. So könnte ein Gaming- oder Arbeitshandschuh die Hand als eines der wichtigsten Kommunikationswerkzeuge des Menschen virtuell vernetzen. Die Wissenschaftler Giacomo Morretti und Sebastian Gratz-Kelly aus Seeleckes Team haben mit der Folie einen Arbeitshandschuh ausgekleidet, der das Computersystem wissen lässt, wie der Industriemonteur Hand und Finger bewegt. In einer virtuellen Industrie 4.0-Umgebung könnte der smarte Handschuh den Werker durch Gestenerkennung bei der Wahl des Bauteils oder durch Greifkraftmessung beim Anziehen von Schrauben unterstützen. Mit Warntönen könnte er ihn vor Fehlern bei der Montage bewahren. Auch könnte der Monteur Prozesse einfach durch Bewegungen seiner Hand steuern. Es bedarf nicht viel Fantasie, sich vorzustellen, dass die smarten Handschuhe und Textilien auch in Kombination mit einer VR-Brille virtuelle Spiele und Arbeitswelten viel intuitiver und lebensechter machen würden, als dies bisher mit einem Controller möglich ist.
Ein anderes Anwendungsbeispiel ist ein Kleidungsstück, das Kindern in Quarantänestationen die Körpernähe ihrer Eltern spürbar macht: Wie eine zweite Haut könnte etwa ein Pulli das Streicheln fühlbar übertragen, wenn Mutter oder Vater andernorts über ein zweites smartes Textil streichen, welches dieses Signal überträgt. Hierbei arbeitet das Forschungsteam im Rahmen des EFRE-Projektes „Multi-Immerse“ am Zentrum für Digitale Neurotechnologien zusammen mit dem Team von Professorin Martina Lehser (htwsaar/Zema), Professor Daniel Strauss und Professor Michael Zemlin (Medizinische Fakultät) auf dem Homburger Medizin-Campus der Universität des Saarlandes. „Wir wollen für Kinder in Quarantäne die Möglichkeit schaffen, ihren Eltern in einem virtuellen Raum zu begegnen. Unser Ziel ist, ein realitätsnahes, emotionales Eintauchen in das Erlebnis zu schaffen, das die Sinnesmodalitäten Sehen, Hören und Fühlen einbezieht“, erklärt Martina Lehser.
„Technisch gesehen ist die Folie ein dielektrisches Elastomer. Sie ermöglicht eine Kombination aus Sensorik, Aktorik und Akustik“, erklärt Professor Paul Motzki, der mit „Smarte Materialsysteme für innovative Produktion“ eine Brückenprofessur zwischen Universität des Saarlandes und Zema innehat und dort als Direktor den Forschungsbereich „Smarte Materialsysteme“ leitet. Die Silikonfolie ist beidseitig mit einer hochdehnbaren Elektrodenschicht bedruckt und funktioniert sehr sparsam mit elektrischen Feldern. Legen die Forscherinnen und Forscher eine elektrische Spannung an, drückt sich die Folie zusammen. „Sie weicht dabei zur Seite aus und vergrößert ihre Fläche. Hierbei ändern sich zugleich die Messwerte der elektrischen Kapazität“, sagt Paul Motzki. „Wir können jeder Stellung der Folie, ganz wie sie sich gerade verformt, exakt einen Messwert der elektrischen Kapazität zuordnen“, beschreibt er. Hierdurch hat die Folie Sensoreigenschaft – ohne, dass weitere Technik erforderlich wäre. Wie Hand und Finger die Folie im smarten Arbeitshandschuh dehnen, ziehen oder stauchen entspricht also einem Ablauf vieler einzelner Messwerte. „Mit Hilfe von Algorithmen können diese Bewegungsabläufe in einer Regelungseinheit berechnet und in einem Computersystem weiterverarbeitet werden“, erläutert Doktorand Sebastian Gratz-Kelly, der im Rahmen seiner Doktorarbeit an den smarten Textilien arbeitet.
Ebenso können die Forscher die Silikonfolie gezielt ansteuern und sie alle erdenklichen Bewegungsabläufe vollführen lassen: „Das reicht vom hochfrequenten Vibrieren bis hin zu stufenlosen Hub- oder Klopfbewegungen oder dem Halten einer bestimmten Position. Die Frequenz und Schwingungen können wir beliebig verändern“, sagt Sebastian Gratz-Kelly. Dadurch kann sich die Folie mit der passenden Ansteuerung fühlbar etwa gegen den Finger ihres Benutzers drücken. Sie könnte mit schnellen Hub-Bewegungen aus dem Nichts heraus den Eindruck von Knopfkanten eines Schiebereglers erwecken und einen leichten Widerstand wie beim Drücken echter Schalter simulieren. Auch Töne kann die Folie erzeugen, sogar mehrere gleichzeitig, indem die Forscher sie so ansteuern, dass sich mehrere Schwingungsfrequenzen überlagern.
Auf der diesjährigen Hannover Messe zeigt das Forschungsteam verschiedene Prototypen seiner smarten Textilien und Displays, darunter auch den smarte Arbeitshandschuh.
Hintergrund:
An dieser Technologie wurde im Rahmen mehrerer Doktorarbeiten geforscht. Sie ist Gegenstand zahlreicher Veröffentlichungen in Fachzeitschriften und wurde im Rahmen mehrerer Forschungsprojekte gefördert: So förderte etwa die MESaar die Forschung im Rahmen eines Promotionskollegs. Außerdem wurde sie von der saarländischen Landesregierung im Rahmen der EFRE-Projekte iSMAT und Multi-Immerse gefördert. Auch die EU förderte die Arbeiten im Rahmen eines Marie-Curie Research Fellowships.
Seeleckes Team arbeitet in zahlreichen Forschungsprojekten und weiteren Doktorarbeiten daran, ihre Folien-Antriebe für verschiedene Anwendungen weiterzuentwickeln und auch zu vernetzen, so dass sie wie ein Schwarm untereinander kommunizieren und kooperieren können. Hierzu wollen sie die Technik weiter miniaturisieren, um Oberflächen mit neuen Fähigkeiten auszustatten.
Die Ergebnisse der anwendungsorientierten Forschung wollen die Forscher in die Industriepraxis bringen. Hierzu haben sie aus dem Lehrstuhl heraus die Firma mateligent GmbH gegründet.
Fragen beantwortet:
Prof. Dr. Stefan Seelecke, Lehrstuhl für intelligente Materialsysteme:
+49 (681) 302-71341; stefan.seelecke@imsl.uni-saarland.de
Prof. Dr. Paul Motzki, Professur Smarte Materialsysteme für innovative Produktion
+49 (681) 85787-545; E-Mail: paul.motzki@uni-saarland.de
Sophie Nalbach, M.Sc., Bereichsleiterin Smarte Materialsysteme, Zema
+49 (681) 85787 – 910; sophie.nalbach@imsl.uni-saarland.de
Weitere Informationen:
https://imsl.de/projekte - Videos zu den Projekten des Lehrstuhls
https://imsl.de - Lehrstuhl für intelligente Materialsysteme
https://mateligent.de - Spin off mateligent GmbH
https://zema.de/ - Am Zentrum für Mechatronik und Automatisierungstechnik (Zema) in Saarbrücken arbeiten Universität des Saarlandes, Hochschule für Technik und Wirtschaft des Saarlandes (htwsaar) und Industriepartner zusammen.
English Version:
Hannover Messe
Getting up close and personal with a computer: Smart textiles aid communication with virtual worlds
Say goodbye to games controllers or keyboards, say hello to highly flexible, ultrathin silicone films. Professor Stefan Seelecke and his team at Saarland University are currently developing a novel type of technology that allows humans and computers to communicate more naturally and more intuitively. When their thin polymer film is integrated into an assembly operator’s glove or deposited onto a display screen, the film functions as an interactive mediator that can tell a computer system what the human operator wants while also providing tactile feedback to the user in the form of pulses, vibrations or taps, or audible feedback in the form of acoustic signals. The research team will be exhibiting their multifunctional technology at this year’s Hannover Messe from 17 April to 21 April (Hall 2, Stand B34).
Whether we're using a controller, a keyboard or a mouse, when we want to communicate with a computer we usually press buttons or keys. That restricts how we communicate in virtual environments and tends to make the interaction less natural than direct communication between two people. When we interact with computers, we focus on finding the right button or key on our data input device. Computers are normally unable to understand our gestures or finger movements unless special sensors, cameras or other motion-tracking tech is added.
But the new technology developed by Stefan Seelecke and his team doesn't need additional tools, sensors or cameras – all it uses is a simple polymer film that effectively provides the computer with a new sense organ. The film essentially acts as a medium for spontaneous interaction and communication between a human user and a machine. 'The films that we use are only about 50 microns thick (1 micron = 1 thousandth of a millimetre), which makes them both very thin and extremely light. The films are essentially ready to use and don't require any additional technology to make them into flexible and elastically deformable sensors and/or actuators – they are, effectively, a kind of micromotor,' explained Stefan Seelecke, Professor of Intelligent Material Systems at Saarland University, who together with his research team is studying these smart polymer films at ZeMA (Center for Mechatronics and Automation Technology) in Saarbrücken. What that means in practice is that if the film is applied to a textile surface or other object, it can begin supplying the computer with information. And it provides feedback to the user in the form of haptic signals (pulses, vibrations or pushing motions) or acoustic signals (sounds).
The range of possible applications of these smart textiles or surfaces is immense. For example, a gaming glove or an industrial glove fitted with the film would enable the wearer to communicate virtually using their hand – one of the most important communication tools used by humans. Giacomo Morretti and Sebastian Gratz-Kelly, two members of Seelecke's research team, have fitted an industrial glove with the film and the glove can now tell the computer system how the operator is moving their hand and fingers. In a virtual 'Industry 4.0' environment, the smart glove could use gesture recognition to assist the wearer when selecting a component to install or could facilitate grip strength measurements that could help the operator when tightening bolts. The glove could also use acoustic signals to warn the wearer if a mistake has been made during the assembly process. The operator would also be able to control different processes simply by gesturing or moving their hand. It doesn't require a lot of fantasy to see that combining smart gloves and textiles with a VR headset would make interacting in virtual games and work environments far more intuitive and lifelike than when using a games controller.
Another promising area of application involves incorporating the film into clothing that children in hospital isolation units can wear to experience bodily contact with their parents. A pullover fitted with the smart film could act as a second skin that would transmit hugs and strokes to the child when mum or dad stroke or caress a second smart textile. This latter application is part of the ERDF (European Regional Development Fund) project 'Multi-Immerse' at the Center for Digital Neurotechnologies Saar (CDNS). The project is a collaborative effort involving Seelecke's team and a research group led by Professor Martina Lehser (htwsaar/ZeMA), Professor Daniel Strauss and Professor Michael Zemlin (Faculty of Medicine, Homburg/Saar). 'We want to give children in hospital isolation units and their parents the opportunity to meet and interact in a safe virtual space. 'Our aim is to create a lifelike and emotionally immersive environment in which the child and the parents can interact virtually using vision, hearing and, importantly, touch,' said Martina Lehser.
'From an engineering perspective, the film is a dielectric elastomer that allows us to combine sensor, actuator and acoustic functionalities,' explained Paul Motzki who holds a cross-institutional professorship in smart material systems for innovative production at Saarland University and at ZeMA, where he heads the research area 'Smart Material Systems'. The silicone polymer film is printed on both sides with an electrically conductive material that responds to changing electric fields while also exhibiting extremely low power consumption. If a voltage is applied to the film, the resulting electrostatic attractive forces cause the film to compress. 'When it compresses, the film extends laterally thus increasing its surface area, which in turn alters the electrical capacitance of the film,' explained Motzki. ‘We can assign a precise electrical capacitance value to any particular position of the film.’ This imparts sensor properties to the film without the need for additional technology. As the hand and fingers move inside the glove, the film deforms, getting stretched, pulled or compressed, which generates a large sequence of individual measurement values. 'We have developed intelligent algorithms that allow these motion sequences to be quantified and subsequently processed in a computer,' explained Sebastian Gratz-Kelly, who is currently studying smart textiles as part of his doctoral research project.
The algorithms also allow the research team to precisely control the motion of the silicone film. 'The motions we can create range from high-frequency vibrations down to slow pulsing or flexing motions and we can also hold the film in a specific fixed position. We can control the type and frequency of the vibrations very precisely,' said Sophie Nalbach. The team can therefore control the film so that it deforms and pushes against the user's finger. Rapid film flexing underneath the user’s fingertip can generate the feeling of a tiny, raised slider button or create a slight feeling of pressure such as when someone turns on an actual switch. The film can also generate individual acoustic tones or even multiple tones if several vibrational frequencies are superimposed on one another.
The research team will be at this year’s Hannover Messe where they will be showcasing a number of prototypes of their smart textiles and haptic displays, including the intelligent industrial glove.
Background:
The technology discussed here has been studied and developed in several doctoral research projects. The results have been published as papers in a variety of scientific journals. The research work has also received support from numerous sources. For example, ME Saar (the Association of Metalworking and Electrical Industries in Saarland) has funded a doctoral research college. The Saarland state government has also provided financial support through the ERDF (European Regional Development Fund) projects 'iSMAT' and 'Multi-Immerse'. EU funding was provided through a Marie Curie research fellowship.
Professor Seelecke's team is currently working on a number of different research projects aimed at developing these film-based drive systems for a range of different applications, including ways to interconnect them so that they can communicate and cooperate collectively. To do this the researchers will need to impart new capabilities to surfaces and interfaces, which in turn requires further miniaturization of the technology.
The company ‘mateligent GmbH’ was spun off from Professor Seelecke's department to facilitate the transfer of the results of their applications-driven research to commercial and industrial applications.
Questions can be addressed to:
Prof. Dr. Stefan Seelecke, Intelligent Material Systems Lab, Saarland University:
+49 681 302-71341; stefan.seelecke@imsl.uni-saarland.de
Prof. Dr. Paul Motzki, Smart Material Systems for Innovative Production,
+49 681 85787-545; Email: paul.motzki@uni-saarland.de
Sophie Nalbach, M.Sc., Head of Smart Materials Systems, Zema
+49 681 85787-910; sophie.nalbach@imsl.uni-saarland.de
Further information:
https://imsl.de/projekte - Videos
https://imsl.de – Intelligent Material Systems Lab
https://mateligent.de – mateligent GmbH
https://zema.de/ – Center for Mechatronics and Automation Technology (Zema) in Saarbrücken (a research hub for collaborative projects involving researchers from Saarland University, Saarland University of Applied Sciences (htw saar) and industrial partners.
Press photographs
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