Hochstapler und Künstler haben einiges gemeinsam: Beide erzeugen Illusionen. Beide wollen vom Verkauf dieser Illusionen leben. Beide brauchen ein Publikum, das sich überzeugen und berühren, bezaubern und hinters Licht führen lässt. Thomas Mann war diese Affinität von Hochstapelei und Kunst, von Schwindel und Literatur hochgradig bewusst. Künstlerfiguren in seinem Werk sind Außenseiter und Getriebene, »Bürger auf Irrwegen« wie Tonio Kröger oder sogar mit dem Teufel im Bund wie Adrian Leverkühn im Doktor Faustus. Vollends lässt der Hochstapler Felix Krull die Grenzen zwischen Kriminalität und Künstlertum verschwimmen. Und nicht nur das: Auch scheinbare Gewissheiten wie Moral, Bildung, Individualität, Identität und Geschlecht stellt Thomas Manns letzter Roman zwar spielerisch-ironisch, aber umso gründlicher in Frage. Der Vortrag analysiert das ambivalente Künstler-Bild Thomas Manns und versucht darüber hinaus zu klären, was am Hochstapler Felix Krull und seinen Bekenntnissen bis heute fasziniert.
Hintergrund zur Ringvorlesung: Fake, Lüge, Desinformation. Über die Literatur zwischen Fiktion und Täuschung
Fakes, Lügen und Desinformationen sind Instrumente der hybriden Kriegsführung von totalitären Staaten gegen die freie Welt. Im Inland werden sie von Radikalen und Populisten genutzt, um die freiheitlich-demokratische Grundordnung unseres Gemeinwesens zu untergraben. Eine literaturwissenschaftliche Ringvorlesung wird Aspekte dieses Phänomens im literarischen Feld beleuchten und Brücken zu Debatten und Fragen der Gegenwart schlagen. Sie findet im Sommersemester jeweils montags um 19 Uhr im Saarbrücker Rathaus statt.
Der „Mangel der Übereinstimmung unserer Worte und Geberden mit unsern Gedanken“, wie der Dresdner Lexikograph Johann Christoph Adelung im 18. Jahrhundert in seinem berühmt gewordenen Wörterbuch formuliert, ist seit der Antike ein beliebtes Motiv in der Literatur: Täuschung und Betrug werden als handlungsauslösende Momente eingesetzt, Lügengeschichten, Über- oder Untertreibungen tatsächlicher Begebenheiten sowie der offensichtliche Schwindel zur Unterhaltung und Belehrung des Lesepublikums erzählt. Auch Halb- und Unwahrheiten sind wesentliche Mittel der persuasiven Strategie von Texten.
Die Beschäftigung mit der Literatur und das Verständnis ihrer Mechanismen soll daher auch einen Beitrag zur Verteidigung demokratischer Grundwerte leisten.
Veranstalter dieser 13. Saarbrücker literaturwissenschaftlichen Ringvorlesung sind Privatdozent Hermann Gätje und Professor Sikander Singh von der Universität des Saarlandes in Zusammenarbeit mit der Abteilung für Film und Wissenschaft im Kulturamt der Landeshauptstadt Saarbrücken. Die Vorlesungen dauern in der Regel eine Stunde. Im Anschluss besteht die Möglichkeit, Fragen zu stellen und mit den Vortragenden ins Gespräch zu kommen.
Hier geht es zum gesamten Programm: https://www.uni-saarland.de/aktuell/ringvorlesung-fake-luege-literatur-30843.html