Die Studie wurde im Fachjournal Blood Advances veröffentlicht.
Membranproteine, insbesondere Ionenkanäle, spielen eine große Rolle bei der Kommunikation zwischen Zellen. Durch solche Kanäle strömen Botenstoffe wie Calcium und Natrium in die Zellen hinein und beispielsweise Kalium hinaus. Funktionieren sie etwa bei roten Blutzellen nicht richtig oder sind durch einen Gendefekt gar nicht vorhanden, können schwerwiegende Krankheiten aus der Gruppe der anämischen Krankheiten die Folge sein. Menschen, die unter einer Anämie leiden, sind häufig abgeschlagen, die Haut verfärbt sich, und mit einer Anämie erhöht sich auch das Risiko, an einer Herz-Kreislauf-Schwäche vorzeitig zu versterben. Ihr Körper wird nicht mehr richtig mit Sauerstoff versorgt, da bei einer Blutarmut die roten Blutkörperchen, die den Sauerstoff im Körper zu den Zellen transportieren soll, nicht in ausreichender Zahl vorhanden sind.
Könnte es gelingen, solche defekten Kanäle zu reparieren bzw. fehlende überhaupt erst zu ersetzen, könnte damit ein wichtiger Schritt in Richtung einer Therapie der schwer behandelbaren Blutarmut gemacht werden. Ein solcher Schritt ist nun dem Team um Professor Lars Kaestner, Biophysiker und Spezialist für die Biologie und Physik von Blutzellen, gelungen. Er und seine Kolleginnen und Kollegen konnten ein physikalisches Phänomen beobachten, das grundsätzlich wichtig für die Übertragung von Membranproteinen von einer auf die andere Zelle ist.
„Rote Blutzellen können im Gegensatz zu vielen anderen Zellen keine eigenen Proteine herstellen, da sie keinen Zellkern haben, der den ‚Bauplan‘ für die Proteine enthält“, erklärt Lars Kaestner. Das heißt: Entsteht eine Blutzelle aufgrund eines Gendefekts mit veränderten Membrankanälen, hat sie keine Chance, da gegen zu regulieren. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Lars Kaestners Team haben sich nun einen bestimmten Ionenkanal, TRPC6, genauer angeschaut, dessen Funktion bei Menschen zwar nachweisbar ist, der aber genetisch noch nicht nachgewiesen wurde. Bei Mäusen hingegen ist dieser Kanal gut nachweisbar. „Wir haben uns gefragt, ob der Kanal vielleicht von einer Zelle auf die andere übertragbar ist, wenn wir ihn zwar nicht finden können, aber anhand der Ionenkonzentration sehen, dass er beim Menschen da sein muss“, erklärt Lars Kaestner.
Er und seine Kollegen haben in der Folge genetisch „normale“ Mäuse mit Mäusen verglichen, die diesen TRPC6-Kanal nicht haben, so genannte „Knockout-Mäuse“. Das Blut der Knockout-Mäuse haben sie den Wildtyp-Mäusen injiziert, nachdem sie es mit speziellen Farbstoffen markiert haben, um es unterm Mikroskop sichtbar zu machen. „Später haben wir diese Blutzellen wieder den Wildtyp-Mäusen entnommen und untersucht: Die Knockout-Maus-Blutzellen hatten tatsächlich die Funktion der Wildtyp-Blutzellen übernommen“, erläutert Dr. Laura Hertz, die das Blut untersucht hat. Es muss also irgendwie dazu gekommen sein, dass die Knockout-Blutzellen mit dem fehlenden Membranprotein versorgt wurden, so dass diese künftig normal funktionierten.
„Wir haben uns danach angeschaut, wo diese Übertragung stattfinden könnte. Es liegt nahe, dass dies eine Stelle ist, an der sich die Blutzellen dicht aneinander ‚vorbeiquetschen‘ müssen und auch mit anderem Gewebe in Berührung kommen“, sagt Lars Kaestner. Also haben sie, dieses Mal wieder mit menschlichen Blutzellen, ein technisch sehr aufwändiges Experiment gemacht: „Wir haben zwei Blutzellen unter einem Rasterkraftmikroskop ‚aufeinandergedrückt‘ und wieder auseinandergezogen“, erklärt der Physiker Dr. Daniel Flormann, der dieses Experiment durchgeführt hat. Das Ganze geschieht natürlich auf mikroskopischer Ebene und ist extrem diffizil. Eine Blutzelle wird wie mit einer Art winzigem Kranausleger auf eine auf einem Träger liegende Blutzelle gedrückt und vorsichtig wieder abgezogen. Was die Wissenschaftler dabei mit einem 3-D-Mikroskop beobachten konnten, erinnert ein wenig an das Ablösen eines Pflasters. „Die beiden Membranen haben aneinander gehaftet. Wenn man sie voneinander löst, sieht man, dass sie sich schwer voneinander lösen lassen, da die beiden Membranen etwas zusammenkleben“, formuliert es Lars Kaestner umgangssprachlich. „Und genau hierbei passiert vermutlich die Protein-Übertragung“, schussfolgert der Wissenschaftler.
Zwar ist das untersuchte Protein TRPC6 bisher nicht dafür bekannt, Krankheiten wie Anämie auszulösen. „Aber der Mechanismus, wie solche Proteine von einer Blutzelle auf die andere gelangen können, ist bisher nicht bekannt gewesen. Und er bietet einen interessanten Ansatz für neue klinische Forschungen, um fortschrittliche Therapiemöglichkeiten gegen anämische Krankheiten zu entwickeln“, ist sich Lars Kaestner über die Auswirkungen der Entdeckung sicher.
Die Studie Evidence of in vivo exogen protein uptake by red blood cells - a putative therapeutic concept ist im Fachjournal Blood Advances erschienen. https://doi.org/10.1182/bloodadvances.2022008404
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Prof. Dr. Lars Kaestner
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