Es ist eine Geschichte, die idealtypisch als Beispiel für gelungene praktische Wissenschaft stehen könnte, deren Basis der direkte Kontakt und der persönliche Austausch sind: Die Zusammenarbeit zwischen Dr. Michael Kohlstedt, Mitarbeiter am Lehrstuhl für Systembiotechnologie von Professor Christoph Wittmann, und Dr. Katharina Duran von der Universität Wageningen in den Niederlanden, sowie weiterer Kolleginnen und Kollegen hat mit einer Konferenzbegegnung begonnen und endet nun in einer aufsehenerregenden Entdeckung.
„Im vergangenen Jahr habe ich gemeinsam mit einer Kollegin den Förderpreis der Hans-und-Ruth-Giessen-Stiftung gewonnen. Von dem Preisgeld sind wir auf eine Konferenz gefahren, wo wir dann irgendwann mit den Kollegen aus Wageningen ins Gespräch gekommen sind“, erinnert sich Michael Kohlstedt. Katharina Duran, Pilz-Expertin der Universität Wageningen, und die Saarbrücker Wissenschaftler sprachen über ihre Arbeit. Ein klassischer Smalltalk à la „Und was machst du so?“. „Im Laufe des Gesprächs stellte sich heraus, dass die Niederländer auf der Suche nach Wissenschaftlern waren, die experimentell beweisen konnten, dass höhere Pilze Lignin verstoffwechseln können“, so Michael Kohlstedt. Und damit nahm die Geschichte ihren Anfang.
An dieser Stelle muss man ein bisschen ausholen: Lignin ist einer der Hauptbestandteile von Holz. Ein großer Teil der Holz-Biomasse besteht aus Lignin, das von Pilzen abgebaut wird, wenn Bäume und andere Holzpflanzen sterben. Außerdem fällt Lignin in gigantischen Mengen als bisher ungenutzter Abfallstoff in der Papierindustrie an. „Bislang dachten aber alle, dass Lignin von den Pilzen lediglich abgebaut wird. Wir konnten nun aber weltweit erstmalig nachweisen, dass höhere Pilze tatsächlich auch den Kohlenstoff aus dem Lignin metabolisch verwerten und in ihre eigene Biomasse einbauen“, fasst Michael Kohlstedt die aufsehenerregende Entdeckung der Wageninger Gruppe um Katharina Duran und den Saarbrücker Biotechnologen zusammen.
Kohlstedt und seine Kolleginnen und Kollegen an Christoph Wittmanns Lehrstuhl sind Fachleute für Lignin. Seit Jahren forscht die Arbeitsgruppe an Wegen und Möglichkeiten, den Stoff nutzbar zu machen und so den Abfall der einen Industrie als wertvollen Rohstoff der anderen Industrie zu etablieren. „Wenn man weiß, was ein Pilz in seinen Zellen mit dem Lignin macht, kann man ihn dazu bringen, quasi jedes erdenkliche Produkt für die chemische Industrie daraus zu machen, zum Beispiel als Ersatz für Erdöl“, so der Biotechnologe.
Die Saarbrücker Biotechnologen haben das technische Know-how, um die These der Wageninger Kollegen – Pilze gewinnen Kohlenstoff und Energie aus Lignin – zu testen. „Das können nur wenige spezialisierte Arbeitsgruppen auf der Welt“, weiß Michael Kohlstedt. Mittels Massenspektrometern in Saarbrücken konnten sie winzigste Mengen von präpariertem Lignin, das mit einem so genannten „Tracer“, der eine Art Leuchtspur im Pilz hinterlässt, in allen Pilzbestandteilen nachweisen. „Man darf sich das allerdings nicht so vorstellen, dass wir nun munter Champignons in Scheiben geschnitten haben, die wir dann unterm Mikroskop angeschaut haben“, veranschaulicht Michael Kohlstedt.
In Wirklichkeit schickten die Wageninger Pilzexperten um Katharina Duran winzige Mengen von Pilzmyzel, dem Geflecht der Pilze, in kleinen Probenröhrchen nach Saarbrücken. Diese Pilze wurden auf Lignin herangezogen, das mit Kohlenstoff-13 versetzt war, einem sehr seltenen Kohlenstoff-Isotop im Gegensatz zu dem in der Natur fast ausschließlich vorkommenden Kohlenstoff-12. „Dieser Kohlenstoff-13 kann im Massenspektrometer sehr gut nachverfolgt werden, aber die Anzucht des Pilzes ist sehr teuer und aufwändig, um bereits solch geringe Mengen zu produzieren, wie wir sie letztendlich untersucht hatten“, umreißt Michael Kohlstedt eine der Herausforderungen.
Aber die Mühe hat sich gelohnt. „Wir konnten in allen Bestandteilen des Pilzes Kohlenstoff-13 nachweisen und damit auch die Tatsache, dass das Lignin nicht nur vom Pilz zersetzt wird, sondern dem Pilz auch als Kohlenstoffquelle zum Wachsen dient“, sagt der Biotechnologe über die Essenz des Experiments, das nun aufgrund seiner Bedeutung in der hochrangigen Wissenschaftszeitschrift „Science Advances“ veröffentlicht wurde.
Diese Entdeckung könnte Grundlage für vielerlei Anwendungsszenarien sein, die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nun testen können. „Lignin macht schätzungsweise 30 bis 40 Prozent der Abfallstoffe der Papierindustrie aus. Das liegt bisher gänzlich ungenutzt herum“, so Michael Kohlstedt. Aus dieser gigantischen Menge ließen sich beispielsweise ganz direkt zum Beispiel Speisepilze züchten. Das Substrat wäre quasi konstenlos in unbegrenzten Mengen sofort verfügbar.
Mit biotechnologischem Wissen ließen sich Pilze aber auch dazu bringen, mit Lignin als Ausgangsstoff beliebige Stoffe zu erzeugen, die zum Beispiel in der chemischen Industrie als nachhaltige Basischemikalien zum Einsatz kommen könnten. Solche und viele weitere Szenarien sind denkbar.
Und all das wurde nur möglich, weil Michael Kohlstedt und Katharina Duran im vergangenen Jahr zufällig auf einer Konferenz am selben Tisch Smalltalk gemacht haben.
Original-Publikation:
Katharina Duran et al., From 13C-lignin to 13C-mycelium: Agaricus bisporus uses polymeric lignin as a carbon source. Sci. Adv. 10, eadl3419(2024). DOI:10.1126/sciadv.adl3419
www.science.org/doi/10.1126/sciadv.adl3419
Weitere Informationen:
Dr. Michael Kohlstedt
Tel.: (0681) 30271974
E-Mail: michael.kohlstedt(at)uni-saarland.de