Wenn das menschliche Gehirn durch eine schwere Erkrankung oder einen Unfall Schaden nimmt, kann es passieren, dass die betroffene Person nur noch einen Teil des Gesichtsfeldes wahrnimmt. In Deutschland leiden schätzungsweise über neunzigtausend Menschen pro Jahr an Sehstörungen, die durch einen Schlaganfall ausgelöst wurden. Dies wirkt sich auch auf das Lesevermögen aus. „Wir haben 27 Patientinnen und Patienten mit dieser Symptomatik über mehrere Wochen mit einer speziellen Lesetherapie behandelt. Schon nach etwa 18 Therapiestunden konnten alle Betroffenen wieder deutlich schneller und genauer lesen. Sie erinnerten sich zudem wieder besser an die gelesenen Texte, fanden einfacher Fehler im Text und konnten Telefonnummern wieder flüssiger lesen“, erläutert Georg Kerkhoff, Professor für Klinische Neuropsychologie der Universität des Saarlandes. Die Studienteilnehmer nahmen diese Fortschritte auch selbst bewusst wahr, da sie beim Lesen weniger ermüdeten als zuvor und sich im Alltag wieder besser zurechtfanden. Zwei Drittel der Betroffenen konnten nach der Behandlung in ihren früheren Beruf zurückkehren.
„Das Besondere an unserer Lesetherapie ist, dass wir drei verschiedene Methoden miteinander kombinieren. Die Studienteilnehmer haben nicht nur Fließtexte gelesen, sondern bekamen einzelne Wörter als schnelle serielle visuelle Präsentation (RSVP) angezeigt. Zudem wurde die Technik des bewegten Fensters eingesetzt, bei dem die Augen gezwungen werden, einzelnen Wörtern zu folgen“, erklärt Professor Kerkhoff. Die Patientinnen und Patienten wurden für diese Studie in der Neuropsychologischen Hochschulambulanz an der Universität des Saarlandes behandelt. Das benutzte Programm kann aber auch im Home-Training von Betroffenen verwendet werden, die in abgelegenen ländlichen Regionen wohnen oder keinen Behandlungsplatz für diese Therapie bekommen. Für die Therapie zu Hause ist lediglich ein PC mit einem Internetzugang nötig.
„Mit dieser Form der ‚hybriden‘ Therapie könnten in Zukunft noch viel mehr Betroffene behandelt werden, bei denen möglichst zu Beginn eine neuropsychologische Diagnose gestellt wird. Da jährlich mehrere zehntausende Menschen von einem Gesichtsfeld-Ausfall betroffen sind, liegt hier ein enormes Potential, um diesen Menschen eine Rückkehr ins Berufsleben zu ermöglichen“, sagt Georg Kerkhoff.
Die Ergebnisse der Studie hat Georg Kerkhoff, Professor für Neuropsychologie der Universität des Saarlandes, gemeinsam mit Antje Kraft vom Zentrum für Ambulante Neuropsychologie und Verhaltenstherapie in Berlin in der Fachzeitschrift „Brain Sciences“ veröffentlicht.
Originalpublikation (Open Access):
Brain Sciences 2024, 14(3), 259: https://doi.org/10.3390/brainsci14030259
Fragen beantwortet:
Univ.-Prof. Dr. Georg Kerkhoff
Klinische Neuropsychologie / Neuropsychologische Hochschulambulanz
Universität des Saarlandes
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E-Mail: kerkhoff(at)mx.uni-saarland.de
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