12.10.2022

Forschungsgruppe will die Spielregeln der Energieerzeugung im Innern der Zelle entschlüsseln

Porträtfoto von Prof. van der Laan
© Thorsten MohrProf. Dr. Martin van der Laan

Abläufe innerhalb von Zellen sind so komplex, gleichzeitig sind die Strukturen so winzig, dass es ein extrem schwieriges Unterfangen ist, ihren Regeln auf die Spur zu kommen. Ein Forschungsverbund, an dem Professor Martin van der Laan von der Universität des Saarlandes beteiligt ist, möchte diese Abläufe in bestimmten Zellbestandteilen, den Mitochondrien, näher ergründen.

In dem Verbund vereint sich die Kompetenz verschiedener renommierter Forschungsstandorte, die sich auf dieses spezielle Gebiet konzentrieren.

Stellen wir uns folgende Situation vor: Ein Raumschiff voller außerirdischer Wissenschaftler ohne jegliche Kenntnis der Erde fliegt am Abend des Fußball-WM-Finales über das Stadion. Was sieht die Besatzung? Einen Haufen Wesen und Objekte, die wild durcheinanderlaufen, kollidieren, sich wieder voneinander fortbewegen, dabei ein andersartig geformtes, rundes Objekt verfolgend, und alles umrandet von einer wogenden Masse ähnlicher Teilchen, die eng beieinanderstehend das Geschehen umranden. Was sich die Außerirdischen dabei denken? Schwer zu sagen, vermutlich: „Was passiert da gerade?“ Schließlich kennen sie weder die Wesen und Objekte, die da wogen und wimmeln, geschweige denn die Regeln, nach denen diese Masse sich bewegt und interagiert.
 
Eine Ahnung, was die Aliens denken könnten, bekommt man vielleicht, wenn man sich in die Köpfe von Professor Martin van der Laan und seiner Kolleginnen und Kollegen zu begeben versucht. Der Professor für Medizinische Biochemie an der Universität des Saarlandes schaut sich, vereinfacht ausgedrückt, ein ähnliches Gewimmel an, wenn er auf die Bauteile einer Zelle schaut. Und wie die Außerirdischen beim Blick aufs Fußballspiel hatten seine wissenschaftlichen Vorgänger eine eher diffuse Ahnung davon, was in den Zellen, zum Beispiel zwischen den Schichten von biologischen Membranen, geschieht. „Früher dachte man, diese Membranen bestehen aus zwei flüssigen Lagen, in denen unterschiedliche Teilchen ungeordnet herumschwimmen“, erklärt der Biomediziner. „Heute wissen wir dank viel besserer Mikroskope und zahlreicher detaillierter biochemischer Studien: Die Abläufe in den Zellen und in den Membranen sind ein faszinierend hoch geordnetes molekulares System.“ 

Und ähnlich wie bei den Fußball schauenden Aliens ist es mit den Zellen beobachtenden Wissenschaftlern auf der Erde: Je genauer sie hinschauen und je länger sie das „Spiel“ beobachten, desto besser verstehen sie seine Regeln. Allerdings sind die Spielregeln in den Zellen ungleich komplexer und überdies schwieriger zu beobachten als ein Fußballspiel. Daher schauen sich viele Forscher lediglich einzelne Schlüsselstellen in Zellen an, um sie dann gemeinsam als Ganzes besser zu verstehen. Im Falle von Martin van der Laan sind dies die Mitochondrien der Zelle. Diese „Kraftwerke“ versorgen unseren Körper überall mit Energie, aber auch mit speziellen Baustoffen, wie den Aminosäuren für die Proteinsynthese. „Und je nachdem, ob ich eine Muskelzelle anschaue oder zum Beispiel eine Leberzelle, dann ist die äußere und innere Gestalt der Mitochondrien eine andere.“ Der Grund: In Muskelzellen etwa müssen Mitochondrien vor allem nutzbare Energie in Form des Stoffes Adenosintriphosphat (ATP) herstellen, „bis der Arzt kommt“, also so viel wie möglich, erläutert Martin van der Laan. In einer Leberzelle hingegen sind andere metabolische Aufgaben der Mitochondrien jenseits der Energieversorgung besonders wichtig. Dafür ist eine andere Gestalt notwendig, denn die Gestalt folgt der benötigten Funktion, um diese optimal zu unterstützen.

„Uns interessiert nun die bisher ungelöste Frage: Welche Signale steuern diese Umbauten?“ In der Fußballer-Metaphorik gesprochen: Wer ist der Trainer und welche Signale gibt er den Spielern, um die Taktik zu ändern?  Das versucht, im Falle der Struktur und Funktion von Mitochondrien, ein Forschungsverbund herauszufinden, an dem Martin van der Laan beteiligt ist. Die von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderte Forschungsgruppe „FOR 2848: Architektur und Heterogenität der inneren mitochondrialen Membran auf der Nanoskala“ blickt sehr genau und mit verschiedensten Methoden auf eine Membran, die innerhalb der Mitochondrien als Sitz der körpereigenen Energieproduktion dient. Diese innere Membran verformt sich, vereinfacht ausgedrückt, je nach dem Ziel, das es gerade zu verfolgen gilt: Muss vorrangig Energie in Form von ATP bereitgestellt werden? Oder benötigt die Zelle eher Bausteine für den Aufbau von Proteinen? „Ständig geschehen solche Umbauten, und dieses komplexe System muss irgendwie gesteuert und im Gleichgewicht gehalten werden“, weiß Martin van der Laan. Er und seine Kollegen wollen wissen, worin diese Prinzipien bestehen.

„Inzwischen kennen wir zumindest einige grundsätzliche Mechanismen und deren ausführende Akteure. Das Paradigma von der ungeordneten Membran, in der Moleküle herumschwimmen und sich eher zufällig begegnen, ist gefallen“, führt er weiter aus. „Wir stellen uns das eher so vor, dass die Moleküle wie Puzzleteilchen zueinander passen. Je nachdem, in welcher Kombination sie aufeinandertreffen und welche Modifikationen sie tragen, ergibt sich ein anderes Bild beziehungsweise wird ein anderer Mechanismus ausgelöst“, vergleicht der Experte. Die zentrale Arbeitshypothese der Forschungsgruppe beschreibt er folgendermaßen: „Mitochondrien können die Energie- und Baustoffversorgung der Zelle sehr schnell und flexibel anpassen, indem sie ihre innere Struktur verändern. Das ist energetisch günstig und schnell umsetzbar.“ 

Innerhalb der Forschungsgruppe schaut sich das Team von Martin van der Laan zurzeit insbesondere eine Struktur genauer an: die so genannten Cristae-Kompartimente. Das sind schlauchförmige Ausstülpungen der inneren Mitochondrien-Membran, innerhalb derer ein ausgeklügelter biochemischer Mechanismus ATP erzeugt. Der Eingang zu diesen Cristae ist flexibel gestaltbar, so dass eine Zelle, ähnlich wie bei einem dehnbaren Gummiring, die Möglichkeit hat, durch die Veränderung des Eingangs-Durchmessers und der eingebauten Filter die Zahl und die Art der Moleküle zu steuern, die in die Cristae hineingelangen können. Sinnvoll sind solche detaillierten Kenntnisse der Abläufe in unseren Zellen unter anderem vor dem Hintergrund, dass wir sowohl seltene erbliche Defekte als auch häufige Volkskrankheiten besser verstehen und – möglicherweise – irgendwann effizienter zu behandeln lernen. Fehlerhafte Abläufe in den Mitochondrien können schwere degenerative und metabolische Krankheiten zur Folge haben und sind zum Beispiel an der Entstehung von Morbus Parkinson, Diabetes mellitus und bestimmten Krebsarten beteiligt. 

Die Expertise auf dem Gebiet der Mitochondrienforschung, die in der Forschungsgruppe gebündelt wird, ist in Deutschland einzigartig. Eine gewichtige Rolle spielt natürlich die federführende Gruppe der Universität Göttingen um Professor Dr. Stefan Jakobs, die Weltspitze auf dem Gebiet der hoch entwickelten Lichtmikroskopie im Nanometerbereich ist. Der Göttinger Physiker Stefan Hell erhielt für seine Forschungsleistungen auf dem Gebiet der Lichtmikroskopie 2014 einen Nobelpreis. Mit diesen Methoden lassen sich nun Zellbestandteile darstellen, die vor zehn Jahren noch gar nicht sichtbar gemacht werden konnten. Weiter sind neben der Arbeitsgruppe von Martin van der Laan Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Freiburg, Berlin, Heidelberg Münster, Bochum, Köln und Frankfurt am Blick auf die Mitochondrien beteiligt. Nach der ersten Förderperiode (2019-2022) wird die DFG die Forschungsgruppe nun auch in den kommenden drei Jahren (2023-2025) fördern. Dabei erhält das neue Teilprojekt von Martin van der Laan gemeinsam mit Dr. Heike Rampelt von der Universität Freiburg etwa eine halbe Million Euro. 

Weitere Informationen: 
Prof. Dr. Martin van der Laan
Tel.: 06841 16-26590
E-Mail: martin.van-der-laan@uks.eu
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