16.03.2023

Deutsch-französisches Projektteam erforscht die Rolle von Sport-Arenen im „langen“ 20. Jahrhundert

Portrait von Dietmar Hüser
© Thorsten MohrProf. Dr. Dietmar Hüser

Sport ist sehr viel mehr als körperliche Ertüchtigung und Wettkampf. Er ist eng verwoben mit Politik, hat kulturelle Aspekte, und Sport ist ohne Zweifel ein wichtiger Wirtschaftszweig. Vor diesem Hintergrund sind auch Sport-Arenen viel mehr als reine Wettkampfschauplätze. Den vielfältigen Rollen von Sport-Arenen widmet sich nun ein deutsch-französisches Forschungsprojekt der Universität des Saarlandes und der Université de Franche-Comté in Besançon gemeinsam mit weiteren Partnern.

Offizieller Startschuss des Projekts wird ein öffentlicher Vortrag des renommierten Berliner Sportsoziologen Gunter Gebauer über „Sport-Arenen und die Macht der Massen“ sein, der am 21. März 2023 um 18 Uhr im Graduate Centre der Universität des Saarlandes stattfinden wird.

Stadien sind Schauplätze für erstaunliche menschliche Leistungen. Hier sprinten Menschen in weniger als zehn Sekunden über eine Strecke von 100 Metern, sie springen über 8 Meter weit oder über 6 Meter hoch. Milliarden Menschen auf der ganzen Welt bewundern und bejubeln Fußballstars in den Arenen, sie feuern „ihre“ Athleten bei Olympischen Spielen an und fiebern mit bei Weltmeisterschaften.

Stadien sind darüber hinaus, ebenso wie auch andere Sportstätten, auch Arenen der Politik und Macht, der Kultur und Ökonomie. Denkt man an historische Momente in Stadien und Sportstätten außerhalb ihrer eigentlichen Bedeutung, fallen einem ikonische Bilder aus der Geschichte ein: Die Aufnahmen aus dem Berliner Olympiastadion 1936, das als Kulisse für die Zurschaustellung nationalsozialistischer Überlegenheit dienen sollte; aus derselben unseligen Epoche die „Sportpalast-Rede“ von Reichspropagandaminister Joseph Goebbels und der berühmten Frage „Wollt ihr den totalen Krieg?“.

Stadien und Sport-Arenen sind auch heute noch eine bedeutende Bühne für Politik. Politiker – seien es demokratische oder autoritäre – nutzen Stadien als Schauplatz politischer Inszenierung; der Umgang mit den Arbeitern in Katar, die beim Bau der Stadien für die vergangene Fußball-Weltmeisterschaft ums Leben gekommen sind, sorgte politisch und gesellschaftlich für Wirbel. Stadien sind Räume der Inszenierung, sie sind Repräsentationsbauten für Staaten und Potentaten, sie sind Stätten der Zusammengehörigkeit und der Abgrenzung für Fans, legendäre Stadien sind „Pilgerstätten“, Stadien sind aber auch Kerker und Hinrichtungsstätten.

„Die Rolle von Stadien wird weithin unterschätzt“, sagt Dietmar Hüser. „Denn wenn man genauer hinschaut, sind Stadien viel mehr als irgendein Ort, an dem man mit dem Auto vorbeifährt“, so der Professor für Europäische Zeitgeschichte an der Universität des Saarlandes. Diese Erkenntnis war einer der Gründe, warum er in Kooperation mit dem hiesigen Frankreichzentrum ein Forschungsprojekt angeregt und dann gemeinsam mit seinem Kollegen Paul Dietschy von der Université de Franche-Comté in Besançon ins Leben gerufen hat, das die vielfältigen Rollen von Sport-Arenen dies- und jenseits der deutsch-französischen Grenzen untersuchen möchte. In den kommenden vier Jahren fördern die Deutsche Forschungsgemeinschaft und ihr Pendant in Frankreich, die Agence nationale de recherche, das Vorhaben, dessen vollständiger Titel „Arènes du sport – Scènes et fabrique(s) de l'événement sportif / Sport-Arenen – Szenen und (Werk)Stätten des Sport-Events“ (ARENES) lautet, mit 1,1 Millionen Euro; sechs Doktoranden und Post-Docs werden dabei Teilaskepte der Sport-Arenen-Thematik systematisch durchleuchten, zum Beispiel die Rolle von Frauen in Stadien und deren Wandel im Laufe des 20. Jahrhunderts.

„Über all das, was in Stadien und anderen Sport-Arenen geschieht, werden Geschichten erzählt“, sagt Philipp Didion, der als wissenschaftlicher Mitarbeiter von Dietmar Hüser an dem Projekt beteiligt ist. Es gibt mündliche Erzählungen über das Geschehen im Stadion, andere Dinge, wie etwa die propagandistische Nutzung der Arenen zur Zeit der Nationalsozialisten, werden wissenschaftlich aufgearbeitet, wieder andere werden literarisch oder in Museen verarbeitet. Diese Geschichten sind Forschungsgegenstand des Projektes ebenso wie zum Beispiel auch handfeste städtebauliche Fragen, die Sport-Arenen aufwerfen.

Erstmals wird mit ARENES übrigens ein beiderseits der Grenzen gefördertes Projekt sowohl geschichtswissenschaftlich wie auch literaturwissenschaftlich auf ein Thema blicken. „Die Sport-Arenen-Thematik eignet sich dafür vorzüglich“, sagt Philipp Didion. „Denn einerseits wohnt dem modernen Sport eine ästhetische Dimension inne, und zum anderen war er schon immer ein mediales Phänomen“, so der Historiker.

Über solche und noch viele weitere Fragestellungen werden die beteiligten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in sechs Teilprojekten forschen. Partner neben der Universität des Saarlandes und der Université de Franche-Comté als federführende Antragsteller sind außerdem die Universitäten Limoges, Rouen-Normandie, Freiburg und Paris-Sorbonne.

Weitere Informationen:
Prof. Dr. Dietmar Hüser
Tel.: (0681) 3023313
E-Mail: dietmar.hueser(at)uni-saarland.de