DFG/FNR-Forschungsgruppe "Popkult60"
DFG-FNR-Forschungsgruppe 2475 "Populärkultur transnational - Europa in den langen 1960er-Jahren"
Eine Geschichte der Populärkultur hat in vielen Ländern lange einen schweren akademischen Stand gehabt. Anders als in den Vereinigten Staaten oder in Großbritannien machte gerade in Deutschland und Frankreich das Gros der Forschenden über viele Jahre hinweg einen weiten Bogen um alles Massenhafte und Populäre. Dies mag sich zuletzt ein wenig gewandelt haben, gleichwohl bleiben die gesellschaftlichen und politischen Bedeutungsgehalte populärkultureller Phänomene, Produkte und Praktiken vielfach verkannt; weiterhin liegen zahlreiche relevante Arbeitsfelder der Populärkultur brach, nicht zuletzt unter transnationalen Gesichtspunkten.
Vor diesem Hintergrund haben sich Mitte der 2010er Jahre deutsche und luxemburgische Historiker:innen zusammengetan, das Problem diskutiert, Tagungen veranstaltet und Bücher publiziert, um zeitnah bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft und dem Fonds National de la Recherchedas Einrichten einer bi-nationalen Forschungsgruppe "Populärkultur transnational - Europa in den langen 1960er Jahren" zu beantragen. Das Ende 2017 bewilligte Vorhaben umfasste in Förderphase I (2018-2021/22) zunächst sieben, mit Beginn der Förderphase II (2021/22-2025/26) dann zehn weitere Doktand:innen- bzw. Post-Doc-Projekte, die sich mit grenzüberschreitenden Transfers populärer Kulturformen zwischen mehreren westeuropäischen Gesellschaften beschäftigen.
Das Themenspektrum reicht von deutsch-französisch-europäischen Musikverflechtungen und kommerziellen Radioformaten, über TV-Kinderserien, Unterhaltungsshows, Comicliteratur, postkoloniale Popkulturen und populäre Tourismusdiskurse bis hin zum Bewerben von Radios, Fernsehern und Plattenspielern; weitere Studien behandeln Kulturpraktiken in europäischen Jugendkulturen, in Landkommunen, im Rahmen von Gesellschaftsspielen und Amateurfilmclubs, von Jahrmärkten, Tanzbällen und Fußball-Fankulturen. Die innere Einheit des Gesamtvorhabens gewährleisten die räumliche (Westeuropa) und zeitliche (die langen 1960er Jahre) Rahmung sowie die eng verwobenen Forschungsdesigns der 17 Teilprojekte, die mit denselben, zumindest mit ähnlichen Leitfragen operieren. Darüber hinaus stehen zehn Spannungsfelder im Zentrum des Gesamtprojekts: "Amerikanisches & Europäisches", "Kulturelles & Politisches", "Generation & Generationalität", "Soziale Diversität & Transversalität", "Mainstream & Avantgarde", "Orte, Räume, Lokalität", "Dispositiv, Medialität, Medienensemble", "Event & Serialität", "Populärkulturelles & Kulturökonomisches", "Zwischenräume & Transregionalität". Damit wird Upber spezifische Erkenntnisgewinne der Fallstudien hinaus erstmals ein thematisch breites, konzeptionell innovatives und empirisch fundiertes Panorama grenzüberschreitender europäischer Populärkultur für die langen 1960er Jahre zur Debatte gestellt.
Nähere Informationen finden Sie auf der Homepage der Forschungsgruppe:
www.popkult60.eu
Am Lehrstuhl für Europäische Zeitgeschichte angesiedelte Projekte der Forschungsgruppe:
Bisherige Workshops der Forschungsgruppe:
Anlässlich des 15. Workshop der Forschungsgruppe “Populärkultur transnational - Europa in den langen 1960er-Jahren”, der an der Universität Luxemburg stattfand und sich dem Schwerpunktthema “Vergleich & Transfer” widmete, hielt der Historiker Matthias Middell (Universität Leipzig) am 15. November 2023 einen Vortrag zum Thema “Vergleich und Kulturtransfer – eine in die Jahre gekommene Debatte?”.
Hier finden Sie den Flyer des Workshops.
Gastvortrag von Matthias Middell (Universität Leipzig)
Vergleich und Kulturtransfer – eine in die Jahre gekommene Debatte?
25. November 2023, 16:00 Uhr
Vor inzwischen fast 40 Jahren wurde mit dem Vorschlag, sich der Erforschung kultureller Transfers zu widmen, eine Debatte eröffnet, die das Methodenspektrum der Geschichtswissenschaft erheblich erweitert hat und auch das Verhältnis zu einem klassischen Verständnis von Vergleich berührt hat. Im Laufe der letzten Jahrzehnte traf diese Debatte auf eine ganze Reihe weiterer Vorschläge aus der transnationalen und Globalgeschichte, aus der Kultur- und Sozialgeschichte, aus den Diskussionen um Postkolonialismus und reciprocal comparisons. Trotzdem oder gerade deswegen ist regelmäßig wiederkehrend die Frage aufgeworfen worden, ob es sich nun um ein etabliertes Verfahren oder um einen noch immer umstrittenen und fragilen Vorschlag handele. Der Vortrag situierte diese Debatte in der Forschungsgeschichte und schlug eine pragmatische Kombination von Vergleich und Transfer vor.
Matthias Middell ist Professor für Kulturgeschichte, Sprecher des SFB 1199 und des Leipzig Research Centre Global Dynamics. Er gibt die Zeitschrift Comparativ. Journal of Global History heraus. Er ist Vorstandsmitglied des Comité International des Sciences Historiques und des Conseil International de la Philosophie et des Sciences Humaines, wo er die Global History of Humankind verantwortet.
Im Rahmen des 14. Workshops der Forschungsgruppe, der an der Friedrich-Schiller-Universität in Jena stattfand, hielt die Kulturwissenschaftlerin Natascha Ueckmann (Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg) am 20. Juni 2023 einen Vortrag mit dem Titel "Von Vordenkern der Dekolonisierung bis zum dekolonialen Feminismus".
Hier finden Sie den Flyer des Workshops.
Gastvortrag von Natascha Ueckmann (Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg)
Von Vordenkern der Dekolonisierung bis zum dekolonialen Feminismus
20. Juni 2023, 15:30 Uhr
Der Vortrag lenkte den Blick auf die internationale, sprich englisch,- französisch- und spanischsprachige Forschung, die sich mit post- / dekolonialen Herausforderungen beschäftigt. Es gingum eine kritische Prüfung der westlichen Moderne; rassistische Unterdrückung und Gewalt als deren ‚dunkle Seite‘ (Walter Mignolo) zu verstehen. Schon 1955 verwies Aimé Césaire im Discours sur le colonialisme auf die ‚Entmenschlichung des Anderen‘ als Kontinuum westlichen Hegemonialstrebens. Hier ließen sich weitere anti- bzw. postkoloniale Kritiker wie Fanon, Memmi oder Baldwin anführen. In der lateinamerikanischen Theoriebildung wird die Verflechtung von Modernidad und Colonialidad sowie Möglichkeiten zur Dekolonialisierung des Wissens intensiv diskutiert. Diese Diskussion zielt auf die Revision der europäischen Moderne, verbunden mit Kolonialismus und Rassismus – was letztlich auf eine Stärkung eines Multidirectional Memory (Michael Rothberg 2009, dt. 2021)
hinausläuft. Da der Schwerpunkt auf dem französischsprachigen Raum lag, begann der Vortrag mit der Négritude der 1930er Jahre und schlug einen Bogen bis zu Françoise Vergès‘ Essay Un féminisme décolonial (2019), in dem sie Feminismus ‚von der Kolonie aus‘ neu denkt. Sie fordert, dass ein dekolonialer Feminismus auf weit mehr zielen müsse als auf Assimilierung an eine neo-liberale Ordnung, in der sich die Bestrebungen der Frauen auf die Forderung reduziere, die Privilegien, die die weiße Vorherrschaft den Männern gewährt, 50/50 mit ihnen zu teilen.
Natascha Ueckmann ist Professorin im Institut für Romanistik / Kulturwissenschaft an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. 2000 promovierte sie an der Universität Osnabrück zum Thema Frauen und Orientalismus: Reisetexte französischsprachiger Autorinnen des 19. und 20. Jahrhunderts (Stuttgart: Metzler 2001). 2011 schloss sie ihre Habilitation zur karibischen Literatur ab: Ästhetik des Chaos in der Karibik. Créolisation und Neobarroco in franko- und hispanophonen Literaturen (2014). Sie war von 2007 bis 2017 eine der Sprecherinnen des Instituts für postkoloniale und transkulturelle Studien an der Universität Bremen. Ihre Lehr- und Forschungsschwerpunkte sind: Karibik- und Diasporaforschung, Post- / Dekoloniale Literatur- und Kulturtheorien, Transkulturelles Gegenwartstheater, Gender Studies / Intersektionalitätsforschung, Autobiographik / Life-Writing. Aktuell organisiert sie das Projekt „Eine Uni – ein Buch“ an der Universität Halle.
Am 20. Oktober 2022 hielt die Historikerin Marjolaine Boutet (Sorbonne Université Paris Nord) im Rahmen des dreizehnten Workshops der Forschungsgruppe “Popkult60”, der sich dem Thema “Medialität & Medialisierung” widmete, einen Vortrag zu “Hogan’s Heroes / Papa Schultz/ Ein Käfig voller Helden - Itinéraire d’une comédie cathartique”.
Nachdem bisher die Spannungsfelder im Mittelpunkt der einzelnen Workshops standen, liegt der Fokus ab dem dreizehnten Workshop auf thematischen Schlaglichtern zur Populärkultur, die sich aus den Diskussionen der Forschungsgruppe ergeben.
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Gastvortrag von Marjolaine Boutet (Sorbonne Université Paris Nord)
Hogan’s Heroes / Papa Schultz/ Ein Käfig voller Helden - Itinéraire d’une comédie cathartique
20. Oktober 2022, 16 Uhr
Nach dem Erfolg von The Great Escape (Die große Flucht, John Sturges, 1963), der mit seiner internationalen Besetzung und seiner Ode an Freiheit und Solidarität beim Publikum inmitten des Kalten Krieges großen Anklang fand, kamen Mitte der 1960er Jahre Filme, die sich mit dem Thema Flucht auseinandersetzten, in Mode - vor allem auch vor dem Hintergrund des Zweiten Weltkriegs. Die US-amerikanischen Fernsehsender befürchteten, dass ihr Publikum von den Westernfilmen allmählich gelangweilt sein würde und sprangen auf den Zug auf. Von 1965 bis 1971 strahlte CBS die Sitcom Hogan's Heroes aus, die zwischen 1942 und 1944 in Stalag 13, einem Kriegsgefangenenlager irgendwo in Deutschland, spielte.
In jeder Folge führt eine Gruppe von Häftlingsspionen für die Alliierten die verrücktesten Manöver durch, um die Kriegsanstrengungen der Nazis von innen heraus zu sabotieren - und zwar vor den Augen der ebenso feigen wie unfähigen Wärter. Abgesehen von den komischen Elementen ist das Besondere an dieser Sitcom, dass 20 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs alle deutschen Charaktere von jüdischen Flüchtlingen gespielt werden und sogar ein Buchenwald-Überlebender zu den Darstellern gehört. Die Sitcom, die während des Vietnamkriegs ausgestrahlt wurde, ist darüber hinaus ein Spiegelbild der amerikanischen Kulturrevolution. Der Erfolg der Sitcom in Frankreich und Deutschland zeigt auch, wie sich die Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg in Europa nach dem Ende des Kalten Krieges veränderte.
Marjolaine Boutet ist Professorin für Amerikanistik an der Universität Sorbonne Paris Nord und hat sich auf Fernsehserien und audiovisuelle Darstellungen von Geschichte spezialisiert. Sie ist Agrégée d'Histoire und verteidigte 2009 ihre Doktorarbeit im Bereich der US-amerikanischen Geschichte und 2021 ihre Habilitation im Bereich der transnationalen Kulturgeschichte des Kalten Krieges. Sie ist Autorin zahlreicher Artikel und Bücher über Fernsehserien, darunter Les Séries Télé Pour les Nuls (First, 2009), Cold Case: la mélodie du passé (PUF, 2013) und Un Village français: une histoire de l'Occupation (La Martinière, 2017). Das Buch zu ihrer Habilitation, Faire écran: la réécriture de la Seconde Guerre mondiale dans les séries téléviséesoccidentales au temps de la guerre froide, erscheint 2023 bei den Presses du Septentrionen.
Anlässlich des zwölften Workshop der Forschungsgruppe “Popkult60”, der sich dem Spannungsfeld “Transregionalität - Zwischenräume” widmete, hielt der Historiker Christoph Brüll (Université du Luxembourg) am 13. Juli 2022 einen Vortrag zu “Ostbelgien als popkultureller Zwischenraum?”.
Hier finden Sie den Flyer des Workshops.
Gastvortrag von Christoph Brüll (Université du Luxembourg)
Ostbelgien als popkultureller Zwischenraum?
13. Juli 2022, 18:30 Uhr
Seit einigen Jahren hat die ostbelgische Regionalgeschichtsschreibung versucht, den von Philipp Ther geprägten Begriff des ‚Zwischenraums‘ für die Historiografie über diese belgisch-deutsche Grenzregion im 19. und 20. Jahrhundert fruchtbar zu machen. Diese konzeptionellen Überlegungen fanden ihren Niederschlag zunächst in der Buchreihe „Grenzerfahrungen. Eine Geschichte der Deutschsprachigen Gemeinschaft Belgiens“ und dann vor allem in der am C²DH entwickelten virtuellen Ausstellung www.zeitschichten.be (2020). Der erste Teil des Vortrags besteht aus einer Meta-Führung durch die zum 100. Jahrestag der Zugehörigkeit der Region zu Belgien entwickelte Online-Expo. In einem zweiten Schritt sollen auf der Grundlage einiger der darin genutzten Quellen Überlegungen dazu angestellt werden, ob sich die Geschichte Ostbelgiens auch als die eines popkulturellen Zwischenraums deuten lässt. Dabei standen der faktischen Hybridität der regionalen, ländlich geprägten Kultur oftmals von der Sehnsucht nach nationaler Eindeutigkeit geprägte Selbstzuschreibungen entgegen, die die Suche nach dem Platz der Ostbelgier in Belgien, zwischen Belgien und Deutschland und zwischen zwei großen westeuropäischen Sprachräumen widerspiegeln.
Christoph Brüll hat Geschichte (M.A.) und International Relations (DEA) in Lüttich studiert und wurde 2008 mit einer Arbeit zu Belgien im Nachkriegsdeutschland zwischen 1944 und 1958 im Kontext von Besatzung, Annäherung und Ausgleich an der Friedrich-Schiller-Universität in Jena promoviert. Ab 2009 war er zunächst Chargé de recherches und dann (ab 2013) Chercheur qualifié des Fonds national de la recherche scientifique (FNRS) an der Universität Lüttich. Nun ist er seit 2017 Assistant Professor am C2DH der Universität Luxemburg, wo er sich mit der transnationalen Politik- und Sozialgeschichte Westeuropas – insbesondere auch mit der Geschichte Ostbelgiens – beschäftigt. Zuletzt erschienen von ihm ein Sammelband zu belgisch-deutschen Kontakträumen in Rheinland und Westfalen 1945-1995 (2020, herausgegeben mit Christian Henrich-Franke, Claudia Hiepel und Guido Thiemeyer) sowie zum 100. Jubiläum von Ostbelgien ein Band mit innovativen Radioessays (2020, mit Andreas Fickers).
Für den 11. Workshop der Forschungsgruppe “Popkult60”, der sich dem Spannungsfeld “Populärkulturelles – Kulturökonomisches” widmete, konnte der Historiker Klaus Nathaus (University Oslo) für einen Gastvortrag mit dem Titel “Erwartungen und Erwartungserwartungen. Das Verhältnis von Angebot und Nachfrage in der Populärkultur des 20. Jahrhunderts” gewonnen werden.
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Gastvortrag von Klaus Nathaus (University of Oslo)
Erwartungen und Erwartungserwartungen. Das Verhältnis von Angebot und Nachfrage in der Populärkultur des 20. Jahrhunderts
30. März 2022, 18 Uhr
Historische Forschungen beschreiben das Verhältnis von Angebot und Nachfrage auf den Märkten für Kulturgüter üblicherweise als Machtkampf. Demnach versuchten einerseits die AnbieterInnen, die Kundschaft mit standardisierten Produkten zu gängeln, während andererseits die RezipientInnen das Angebot entweder mittels ihrer Geldbeutel auf die Spur ihrer Bedürfnisse lenkten oder es eigenwillig zweckentfremdeten. Der Vortrag geht demgegenüber davon aus, dass ProduzentInnen von Kultur, die finanziell in Vorleistung gehen müssen, durch Unkenntnis zukünftiger Nachfrage von den KonsumentInnen getrennt sind. Um den Wandel des popkulturellen Angebots zu erklären, müssen HistorikerInnen deshalb zunächst einmal untersuchen, an welchen Erwartungen sich Kulturanbieter ausrichteten und wie diese Erwartungen gebildet wurden. Solche Untersuchungen haben die Kulturwirtschaft mit ihren Akteuren, Strukturen und Prozessen zum Gegenstand; sie ersetzen einfache Rückschlüsse von Repertoires auf Werte oder Wünsche. Das Primat der Produktionsanalyse bedeutet durchaus nicht, dass AnbieterInnen die Rezeption kontrolliert hätten. RezipientInnen machten sich ihren eigenen Reim auf das Gebotene, allerdings mit stetem Seitenblick darauf, dass relevante Andere zur gleichen Zeit mit dem selben Angebot das gleiche taten. Populäre, d.h. allseits als bekannt vorauszusetzende Kultur wirkte mithin nicht so sehr als Mittel der Kontrolle oder Medium von Emanzipation, sondern als Zumutung, die den Einzelnen zwang, Erwartungserwartungen auszubilden. Auf der Grundlage dieser konzeptuellen Überlegungen und mit dem Fokus auf Musik verweist der Vortrag auf zentrale Trends im Verhältnis von Angebot und Nachfrage in der Kulturwirtschaft des „langen“ 20. Jahrhunderts. Der weitere zeitliche Horizont wird auch deshalb gewählt, weil er neue Blicke auf den Pop der 1960er eröffnet.
Klaus Nathaus hat Geschichte, Literaturwissenschaft und Philosophie in Bochum und Berlin studiert und wurde mit einer vergleichenden Arbeit zu Vereinen in Deutschland und Großbritannien im 19. und 20. Jahrhundert 2008 an der Humboldt-Universität zu Berlin promoviert. Über die Universitäten Bielefeld und Edinburgh kam er 2014 nach Oslo, wo er zu Themen der Sozialgeschichte des 20. Jahrhunderts lehrt und forscht. Zuletzt erschienen von ihm das Handbuch Musicking in Twentieth-Century Europe (herausgegeben mit Martin Rempe) und die Anthologie Worlds of Social Dancing: Dance Floor Encounters and the Global Rise of Couple Dancing, c. 1910-40 (herausgegeben mit James Nott). Im Zusammenhang des Vortrags erwähnenswert ist vor allem der zweiteilige Literaturbericht „Why Pop Changed and How It Mattered“, der 2018 online auf H-Soz-Kult und Soziopolis veröffentlicht wurde.
Der zehnte Workshop diente zum einen als Bilanz der ersten Projektphase und zum anderen als Kick-off-Meeting für die zweite Phase des Projekts. Die Bearbeitenden stellten alle Ergebnisse der ersten sowie die neuen Projekte der zweiten Projektphase während der drei Workshoptage vor.
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Der neunte Workshop der Forschungsgruppe “Popkult60”, der sich dem Spannungsfeld “Dispositiv. Medienensemble. Medialität” widmete, fand aufgrund der weiterhin geltenden Versammlungsbeschränkungen (Corona-Krise) in kleinem Rahmen online statt.
Gastvortrag von Andreas Hepp (ZeMKI, Universität Bremen)
Medienumgebung – Medienensemble – Medienrepertoire: Zur Prozesshaftigkeit und Relationalität digitaler Medien
29. Juni 2020, 18 Uhr
Lange Zeit war die Verbreitung von digitalen Medien und deren Infrastrukturen mit Vorstellungen der „Konvergenz“ verbunden: In der Wissenschaft, aber auch im Technikjournalismus dominierte das Narrativ, dass die verschiedenen Medien im Computer als einer Art „Supra-“ oder „Meta-Medium“ konvergieren würden. Die Entwicklung war dann aber eine andere: Anstatt einem „Supra-Medium“ sind wir heute mit einer Vielzahl sehr unterschiedlicher Medien konfrontiert, die gleichwohl alle auf Computertechnologie basieren und durch die Infrastrukturen digitaler Netzwerke in einer umfassenden Konnektivität stehen. In gewissem Sinne lässt sich die Etablierung dieser „media manifold“ als eines der eigentlichen Kennzeichnen der tiefgreifenden Mediatisierung begreifen. In meinem Vortrag möchte ich zuerst auf die Trends des Medienwandels eingehen, die zu der Etablierung dieser „media manifold“ geführt haben. Dies dient mir als Basis für das Argument, dass für die Betrachtung von Medien damit weniger das Einzelmedien entscheidend ist, sondern eine Analyse von Medien in ihrer Prozesshaftigkeit und Relationalität. Für eine solche Analyse – so mein Argument im dritten Teil des Vortrags – bietet es sich an, drei Blickwinkel zu unterscheiden: Den auf die Medienumgebung, den auf das Medienensemble und den auf das Medienrepertoire.
Andreas Hepp ist Professor für Kommunikations- und Medienwissenschaft sowie Leiter des ZeMKI, Zentrum für Medien-, Kommunikations- und Informationsforschung an der Universität Bremen. Er war Gastforscher und Gastprofessor an der London School of Economics and Political Science, dem Goldsmiths University of London, der Université Paris II Panthéon ASSAS und anderen führenden Forschungsinstitutionen. Er ist Autor von 12 Monographien, darunter „The Mediated Construction of Reality“ (mit Nick Couldry, 2017), „Transcultural Communication“ (2015) and „Cultures of Mediatization“ (2013). Sein jüngstes Buch heißt „Deep Mediatization“ (2020).
Der achte Workshop der Forschungsgruppe “Popkult60”, der sich dem Spannungsfeld “Orte. Räume. Lokalität” widmen sollte, musste aufgrund der Auswirkungen der Corona-Krise leider ausfallen.
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Gastvortrag von Rainter Winter (Alpen-Adria-Universität Klagenfurt)
Die Fabrikation des Populären. Kontexte, Räume und Praktiken der Aneignung
[entfallen]
Rainer Winter ist seit 2001 Professor für Medien- und Kulturtheorie und Leiter des Instituts für Medien und Kommunikation an der Alpen Adria-Universität Klagenfurt in Österreich. Er ist Vorsitzender der Abteilung "Soziologie der Medien und Kommunikation" der Deutschen Gesellschaft für Soziologie. Er hat seine Habilitationsschrift in Soziologie an der Technischen Universität Aachen abgeschlossen. Er hat einen Doktortitel in Soziologie, einen Master of Arts in Soziologie und Philosophie und ein Diplom in Psychologie von der Universität Trier. Im Jahr 2010 lehrte er als Gastprofessor an der Capital Normal University in Peking und an der Shanghai International Studies University. Seit 2012 ist er außerordentlicher Professor an der Charles Stuart University in Sydney.
Für den siebten Workshop der Forschungsgruppe “Popkult60”, der sich dieses Mal dem Spannungsfeld “Event. Serialität. Unterhaltung” widmete, kam am 16. Januar 2020 der Professor für Nordamerikanische Kultur und Einstein-Professor für nordamerikanische Kulturgeschichte Frank Kelleter (John-F.-Kennedy-Institut der Freien Universität Berlin) nach Saarbrücken. Dort sprach er in seinem Vortrag über “Pseudo-Ereignisse und Serienkunst: Nico zwischen La Dolce Vita und Andy Warhols Factory”.
Hier finden Sie den Flyer des Workshops.
Gastvortrag von Frank Kelleter (John F. Kennedy Institut, Freie Universität Berlin)
Pseudo-Ereignisse und Serienkunst: Nico zwischen La Dolce Vita und Andy Warhols Factory
16. Januar 2020, 18 Uhr
Mein Vortrag beschäftigt sich mit Christa Päffgen, besser bekannt als Nico, die sich in den 1960er Jahren vom ersten deutschen „Supermodel“ zu einer Avantgarde-Musikerin im Umfeld der New Yorker Kunst- und Rockszene entwickelte. Anhand von Nicos Karriere möchte ich eine kleine Geschichte europäisch-amerikanischer Deutungen der Begriffe „Event (Ereignis)“, „Serialität“ und „Unterhaltung“ in den 1960er Jahren skizzieren. Meine beiden Hauptbeispiele sind: (1) Federico Fellinis Film La Dolce Vita von 1960, dessen Unterhaltungs- und Medienkritik ich zu Jean-Paul Sartres zeitgleich entwickelter Vorstellung einer „praktisch-trägen“ („pratico-inerte“) Serialität in Critique de la raison dialectique (1960) und Daniel Boorstins ebenfalls kontemporärer Theorie des „Pseudo-Ereignisses“ („pseudo-event“) in The Image (1962) in Beziehung setzen möchte; (2) das von Andy Warhol produzierte Rockalbum The Velvet Underground & Nico von 1967, das ich im Kontext des im selben Jahr erschienenen Buches The Medium is the Massage von Marshall McLuhan und Quentin Fiore, aber auch vor dem Hintergrund von Warhols eigener serieller PopArt-Ästhetik diskutieren werde. Der Beitrag Nicos zu beiden Werken – La Dolce Vita und The Velvet Underground & Nico – scheint auf den ersten Blick gering, doch der dritte Teil meines Vortrages soll zeigen, dass Nicos transatlantische Biographie zentrale Fragen und Probleme (weiblicher) kreativer bzw. politischer Selbstverortung in westlichen Nachkriegsgesellschaften aufwirft, deren rapide kulturelle Liberalisierung nicht von ihrer marktwirtschaftlichen Globalisierung zu trennen ist.
Frank Kelleter ist Leiter der Abteilung für Kultur und Professor für Nordamerikastudien am John F. Kennedy Institut der Freien Universität Berlin. Er hat zahlreiche Forschungsprojekte, unter anderem "Populäre Serialität": Ästhetik und Praxis" geleitet. Seine Hauptinteressengebiete sind die amerikanische Kolonial- und Aufklärungszeit, Theorien der amerikanischen Moderne sowie die amerikanischen Medien und Populärkultur seit dem 19. Jahrhundert. Zu den jüngsten Veröffentlichungen gehören David Bowie (2016), Serial Agencies: The Wire and Its Readers (2014) und Populäre Serialität: Narration - Evolution - Distinktion (Hrsg., 2012).
Für den sechsten Workshop der Forschungsgruppe “Popkult60”, der sich dem Spannungsfeld “Generation–Generationalität” widmete, kam die französische Historikerin Ludivine Bantigny (Université de Rouen) am 7. Oktober 2019 ins Centre National de Littérature nach Mersch (Luxemburg). Dort hielt sie einen Vortrag zu Jugendkulturen und Generationskonflikten in Frankreich in den 1960er Jahren.
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Gastvortrag von Ludivine Bantigny (Université Rouen-Normandie)
Une culture engagée ? Jeunes, cultures et conflictualités en France dans les années 1960
7. Oktober 2019, 18 Uhr
Die "Jugend" bildete in den 1960er Jahren eine mächtige soziale wie politische Kraft. Bei ihr handelte es sich um neues Phänomen auf der internationalen Ebene und um ein historisch wichtiger Gegenstand. Gewiss ist es unmöglich, von den "Jugendlichen" als homogenes Gebilde zu sprechen. Diese Generation ist selbst durch Konflikt-, durch soziale, berufliche, politische und kulturelle Bruchlinien durchzogen. Es scheint, als habe der Generationenkonflikt nicht das gleiche Gewicht wie die Diskrepanz zwischen den Klassen gehabt. Trotzdem ist es erstaunlich, dass die Jugend einen Vorposten der Protestkultur und des für die "68er" typischen kritischen Geistes darstellten. Die Massenkultur wurde durch die Gegenkulturen, deren Attacken ebenfalls eindeutig politisch waren, natürlich durcheinandergewirbelt. Wenn sich dieser Vortrag mit dem französischen Fall beschäftigt, so ist es unmöglich, diesen ohne die ihn charakterisierenden transnationalen Verflechtungen zu betrachten: Die Jugendkultur war in der Tat eine globale Kultur, die aus Reisen, Aufenthalten in fremden Ländern und Transfers bestand. Die Jugend begehrte von diesem Zeitpunkt an auf, sie begeisterte genauso wie sie beunruhigte. Es geht hier darum, dieser Generation wieder ihre Konsistenz zurückzugeben, weit über den Mythos hinaus, den sie in der Folge hervorgerufen hat.
Ludivine Bantigny ist Historikerin und maitresse de conférences an der Université de Rouen. Sie arbeitet über die Geschichte der soziale Bewegungen und des politischen Engagements. Sie interessiert sich ebenfalls für die möglichen Verbindungen zwischen Geschichte, Literatur und Psychoanalyse sowie für die Geschichte des Zeitempfindens. Unter ihren Publikationen finden sich 1968, de grands soirs en petits matins (2018), La France à l'heure du monde. De 1981 à nos jours (2019), Révolution (2019) und L’Œuvre du temps. Mémoire, histoire, engagement (2019).
Für den fünften Workshop der Forschungsgruppe “Popkult60”, der sich dem Spannungsfeld “Soziale Diversität – Transversalität” widmete, kam die Kulturhistorikerin Maja Figge (Universität der Künste Berlin) am 20. Juni 2019 nach Saarbrücken. Dort hielt sie einen Vortrag zu “Figurationen von Deutschsein im bundesdeutschen Kino der fünfziger Jahre”.
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Gastvortrag von Maja Figge (Universität der Künste Berlin)
Erlösendes Weißsein. Figurationen von Deutschsein im bundesdeutschen Kino der fünfziger Jahre
20. Juni 2019, 18 Uhr
Im Februar 2017 kritisierte eine Arbeitsgruppe des UN-Menschenrechtsrats Deutschland für seinen Anti-Schwarzen Rassismus; neben institutioneller Diskriminierung und der Praxis des Racial Profiling wurde vor allem Deutschlands Ablehnung von Reparationszahlungen für den Genozid an den Herero und Nama im heutigen Namibia kritisiert.
In meinem Vortrag bildet diese gegenwärtige Konjunktur des Rassismus (Demirović/ Bojadžijev 2002) den Ausgangspunkt, von dem aus ich zeigen möchte, dass der Diskurs über Rassismus schon in den fünfziger Jahren, also in dem Jahrzehnt, in dem der Mythos der Abwesenheit des Rassismus (Bielefeld 1992) in der Bundesrepublik etabliert wurde, nur zu analysieren ist, wenn die postfaschistische und die postkoloniale Situation berücksichtigt wird. Hierfür betrachte ich Artikulationen von 'Rasse' und Rassismus in fiktionalen Filmen der fünfziger Jahre, die unmittelbar Anteil an der Produktion dieses Mythos hatten. Indem der Fokus auf die Figurationen weißer Männlichkeit gelegt wird, lässt sich zeigen, inwiefern diese ein 'neues', demokratisiertes und daher 'nicht-(mehr-)rassistisches' Selbstbild entwarfen, eine Vorstellung, die dabei half, im und durch das Kino die NS-Vergangenheit zu 'bewältigen'. Als Mittel gegen die in den Filmen implizit verhandelten Schuldgefühle, wird Schwarzsein absorbiert, während zugleich Farbenblindheit behauptet wird. In der Analyse soll gezeigt werden, dass Deutschsein durch erinnerungspolitisch relevante filmische Bewegungen, deren Wirkmacht bis in die Gegenwart reicht, nämlich selektive Erinnerung (Moeller 2001) an die NS-Vergangenheit sowie die Leugnung von anti-Schwarzem Rassismus und der deutschen Kolonialgeschichte, als weiß und damit als erlöst und unschuldig refiguriert wurde.
Maja Figge, Dr. phil. ist derzeit Postdoktorandin am Graduiertenkolleg „Das Wissen der Künste“ an der Universität der Künste Berlin. Im Studienjahr 2017/18 war sie Gastprofessorin für Medientheorien an der Kunstuniversität Linz. Ihre Forschungsschwerpunkte umfassen Gender, Race und Medien, Film und Geschichte, Postkoloniale Medientheorie, Critical Whiteness Studies, deutsches / transnationales Kino, politische Gefühle. Sie ist Ko-Kuratorin der Ausstellung MOV!NG ON. Handlungen an Grenzen – Strategien für antirassistisches Handeln (Neue Gesellschaft für bildende Kunst, Berlin 2005), Mitherausgeberin von Scham und Schuld. Geschlechter(sub)texte der Shoah (mit Konstanze Hanitzsch und Nadine Teuber, Bielefeld 2010) und Autorin von Deutschsein (wieder-)herstellen. Weißsein und Männlichkeit im bundesdeutschen Kino der fünfziger Jahre (Bielefeld 2015). Derzeit arbeitet sie an einer Studie mit dem Arbeitstitel “Entangled Modernisms. Transnational Film Relations between Western Europe and India and the Emergence of Modern Cinema (1947–1975)”. Zuletzt erschienen ist der gemeinsam mit Felix Axster verfasste Aufsatz: “Zwischen Rassismuskritik und Positionierungszwang. Überlegungen zur
Auseinandersetzung über Critical Whiteness”, in: BDG Network (Hg.): Black Diaspora and Germany, Münster: Edition Assemblage 2018.
Für den vierten Workshop der Forschungsgruppe “Popkult60”, der sich dem Spannungsfeld “Mainstream – Avant-Garde” widmete, kam der österreichischer Romanist Jörg Türschmann (Universität Wien) am 2. Mai 2019 an die Université du Luxembourg. Dort hielt er einen Vortrag über “Kunstgeplänkel und Kommerzverbrämung: wie Film und Fernsehen der 1960er sich zwischen Mainstream und Avantgarde neu orientieren”.
Hier finden Sie den Flyer des Workshops.
Gastvortrag von Jörg Türschmann (Universität Wien)
Kunstgeplänkel und Kommerzverbrämung: wie Film und Fernsehen der 1960er sich zwischen Mainstream und Avantgarde neu orientieren
2. Mai 2019, 18 Uhr
Mainstream und Avantgarde gehen in den audiovisuellen Medien der 1960er Jahre scheinbar unterschiedliche Wege. Denn Kunst und Kommerz teilen Film und Fernsehen unter sich auf, indem das Fernsehen aus dem Kinobesuch die Ausnahme macht und sich dem kinematografischen Kunstwollen dadurch ein neuer Raum erschließt. Art House, Autorenfilm und Filmschulen stehen deshalb Fernsehserien auf den ersten Blick unversöhnlich gegenüber. So wird es jedenfalls immer wieder und beständig berichtet. Ein genauerer Blick auf die Produktionen seinerzeit offenbart aber verblüffende Überschneidungen: Während das Fernsehen mitunter die nationale Hochkultur des Theaters und Montageexperimente der Zwanzigerjahre bemüht, greift der Autorenfilm als Grundlage seines Stilwillens auf publikumsträchtige Genreformeln zurück. – In dem Vortrag möchte ich mich mit einigen Fernsehproduktionen aus Spanien und Deutschland sowie mit Beispielen des Neuen Deutschen Films, des Free Cinema und der Nouvelle Vague beschäftigen, um das Zusammenspiel von Mainstream und Avantgarde zu erläutern.
Für den dritten Workshop der Forschungsgruppe “Popkult60”, der sich dem Spannungsfeld “Populärkulturelles – Politisches” widmete, kam die französische Historikerin Florence Tamagne (Université de Lille) am 21. März 2019 nach Saarbrücken. Dort hielt sie einen Vortrag über Festivals in Deutschland, Frankreich und Großbritannien in den langen 1960er Jahren.
Hier finden Sie den Flyer des Workshops.
Gastvortrag von Florence Tamagne (Université de Lille)
Rock et politique en Europe. L’exemple des festivals « pop » et « rock » en France, Grande-Bretagne et Allemagne (années 1960-années 1970) - Rock und Politik in Europa. Das Beispiel der "Pop" und "Rock" Festivals in Frankreich, Großbritannien und Deutschland (1960er-1970er Jahre)
21. März 2019, 18 Uhr
Ab Ende der 1960er Jahre, insbesondere in der Folge des Woodstock Festivals in den USA, vermehrten sich die "Pop" und "Rock" Festivals in Europa. Auch wenn die Festivalerfahrung – geprägt von der Teilnahme großer Namen der pop music – im kollektiven Gedächtnis weit verklärt wurde, verursachten die Festivals heftige Debatten unter der Bevölkerung, während die Festivalbesucher sich um die Frage der "kostenlosen" Festivals spalteten.
Ausgehend von Beispielen aus Frankreich, Großbritannien und Deutschland (BRD und DDR) werden drei Aspekte behandelt: die Festivalerfahrung – zwischen Hippie Idealismus und Konsumvereinnahmung; die verschiedenen Zuschauergruppen der "Pop" Festivals und ihre Darstellung in der öffentlichen Meinung; lokale und nationale politische Fragen, die die Wahrnehmung dieser Veranstaltungen erschwerten und in manchen Fällen dazu führten, sie zu verbieten.
Allgemein wird die Frage gestellt, wie Rockmusik – über die Frage der Festivals hinaus – ein politisches Feld bildete, das sich zwischen Prostest, Instrumentalisierung und Vereinnahmung bewegte.
Florence Tamagne ist maîtresse de conférences in Geschichte an der Université de Lille (seit 2000) und Mitglied des Institut de recherches historiques du Septentrion (IRHiS). Aktuell bereitet sie ihre Habilitation zum Thema „Rock, jeunesse et politique en Allemagne, France et Grande-Bretagne (1956-1976)“ vor. Seit 2013 ist sie Mit-Verantwortliche des BA-Studiengangs „Sociologie parcours Histoire“ an der Université de Lille. Nach ihrer agrégation in Geschichte 1994 promovierte sie 1998 bei Prof. Dr. Jean-Pierre Azéma zum Thema „Recherches sur l'homosexualité dans la France, l'Angleterre et l'Allemagne du début des années vingt à la fin des années trente“. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich der Geschlechter- und Sexualgeschichte sowie in der Untersuchung von Sub- und Gegenkulturen – stets in transnationaler Perspektive.
Veröffentlichungen: Histoire de l’homosexualité en Europe, Berlin, Londres, Paris, 1919-1930, Paris, Seuil, 2000; Mauvais genre ? Une histoire des représentations de l’homosexualité, Paris, La Martinière, 2001; Le crime du Palace. Enquête sur l’une des plus grandes enquêtes criminelles des années 1930, Paris, Payot, 2017.
Dieser zweite Workshop widmete sich dem Spannungsfeld “Amerikanisches - Europäisches” und wurde mit einem Vortrag von Bodo Mrozek am 29. Oktober 2018 an der Université du Luxembourg eröffnet.
Hier finden Sie den Flyer des Workshops.
Gastvortrag von Bodo Mrozek (Zentrum für Zeithistorische Forschung, Potsdam)
Amerikanisierung, Westernisierung, Europäisierung? Popgeschichte und die historiographischen Raumdebatten
29. Oktober 2019, 18:30 Uhr
American Rock’n‘Roll, British Invasion, la chanson française : Die Popgeschichte kennt zahlreiche Topologien, die teils etablierten Raumparadigmen folgen, aber auch eigene Räume herausgebildet haben. Handelt es sich bei der Verbreitung von Pop-Tänzen, den Ätherradien des Rundfunks und den Zirkulationen von Jugendzeitschriften und Comicheften um internationale Transfers? Oder entstehen vielmehr transnationale Räume, die sich nicht mehr an Staatsgrenzen orientieren?
Ist Popkultur Resultat und Mittel einer Globalisierung von Kultur – oder vielmehr das Ergebnis einer von den USA ausgehenden Amerikanisierung bzw. einer europäischen Westernisierung? Der Vortrag geht anhand konkreter Beispiele wie dem Twist, internationalen Fanclubs und den Distributionswegen popkultureller Produkte wie Schallplatten und textiler Moden der Frage nach dem Raumparadigma innerhalb der transnationalen Popgeschichte nach.
Bodo Mrozek ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentrum für Zeithistorische Forschung in Potsdam. Er promovierte über Delinquenz und Normalisierung an der Freien Universität Berlin und war visting scholar an der Columbia University, der University of London (Queen Mary), der Universität Versailles sowie Stipendiat der Deutschen Historischen Institute in Washington, London und Paris. Mrozek forscht zur Kultur- und Sinnesgeschichte und ist Mitherausgeber einer zweibändigen Popgeschichte (Transcript 2014) sowie der Schriftenreihe Interdisciplinary Studies on Sensory History (Pennsylvania State University Press) und Redakteur des multilingualen Blogs PopHistory auf der akademischen Blogging-Plattform hypotheses.org. Demnächst erscheint: Jugend – Pop – Kultur. Eine transnationale Geschichte (Suhrkamp Verlag).
Eröffnungvortrag von Detlef Siegfried: "Popgeschichte als Gesellschaftsgeschichte"
17. Mai 2018, 18 Uhr
Im Eröffnungsvortrag der neugegründeten deutsch-luxemburgischen DFG-Forschungsgruppe “Populärkultur transnational - Europa in den langen 1960er Jahren” setzte sich Detlef Siegfried (University of Copenhagen) mit der Historiographie von Populärkultur auseinander und skizzierte mögliche Forschungsperspektiven. Nach vielen Jahren von Desinteresse an Populärkultur in der Wissenschaft rückt dieses Forschungsfeld seit Anfang der 2000er näher in den Blick der Kultur-, Medien- und Geschichtswissenschaftler.
In jüngster Zeit geschah dies vor allem durch die Untersuchung von Amerikanisierungsprozessen in den europäischen Gesellschaften der Nachkriegszeit. Ein wichtiger Aspekt und möglicher fruchtbarer Ansatz sind aber auch die Untersuchungen von Europäisierungsprozessen und dem Wechselspiel zwischen europäischen und transatlantischen flows in Europa. Denn laut Detlef Siegfried sei es jetzt Zeit, die Theorie um empirische Untersuchungen zu ergänzen. Als Beispiel kann die Rolle von Populärkultur gesehen werden, die sie in den 1960er Jahren spielte, als sich die gesellschaftliche Machtbalance in vielen west- aber auch osteuropäischen Ländern verschob. Hier differenzierte sie neue Artikulationsräume und schuf neue kulturelle Formen, die sich die Gesellschaft - und vor allem die Jugend - aneignen konnte. Neben ästhetisch-künstlerischen Aspekten, die nicht zu vernachlässigen sind, soll Populärkultur im Blick auf gesellschaftliche und politische Wandlungsprozesse (Demokratisierungsprozesse, Jugendkultur) aber auch im Blick auf wirtschaftliche Entwicklungen (Konsumgeschichte) untersucht werden.