Projekt: Jungfrau, Witwe, Cortigiana

Jungfrau, Witwe, Cortigiana: Die Konstruktion alleinstehender Frauen im frühneuzeitlichen Venedig

Anne Sauder, M.A.

Die Konstruktion des Weiblichen verlief in der Frühen Neuzeit über eine Bezugnahme zum Männlichen: Das Weibliche war, wie bereits Simone de Beauvoir feststellte, das Andere zu einem Absoluten. Auch die Ansprüche an Wesen und Verhalten einer jeden Frau richteten sich, neben ihrem angeborenen Stand, vor allem nach ihrer potenziellen, gegenwärtigen oder vergangenen Zugehörigkeit zu einer männlichen Bezugsperson – Vater, Ehemann oder Gott. In normativen Texten wurde nicht die Frau als geschlechtliche Einheit, sondern die „Jungfrau“, „Ehefrau“ oder „Witwe“ als normierende Kategorie konstruiert und in Verwaltungsdokumenten wurden Frauen als Töchter oder (ehemalige) Ehefrauen verortet. Vor allem im städtisch-republikanischen Kontext Venedigs, dessen politische Strukturen sich in einem patriarchalen Familiensystem wiederspiegeln und von ihm gestärkt werden sollten, konnten Frauen nicht ohne ein männliches Oberhaupt gedacht werden. Dennoch ließ sich auch in dieser Gesellschaft nicht jede Frau in eine Ehe oder ein Klosterleben einfügen; finanzielle, materielle oder familienpolitische Gründe konnten dem im Wege stehen.

Alleinstehende Frauen stellten die Konstruktion der Geschlechter vor eine Herausforderung, weil sie sich außerhalb der klassisch-patriarchalen Bezugssysteme bewegten und dort das Potenzial hatten, die tradierte Ordnung durch ihre reine Existenz in Frage zu stellen. Gerade um solche Frauen entspann sich ein Ringen um eine Geschlechterdefinition, das Möglichkeiten für die aktive Mitgestaltung der Konstruktion des Weiblichen durch Frauen offenließ.

Das Projekt untersucht diese (Neu)gestaltung des Weiblichen anhand dreier Kategorien alleinstehender Frauen: Der Jungfrau außerhalb des Klosters, der Witwe, die sich nicht mehr verheiraten wollte und der Edelprostituierten – alle drei Gruppen konnten auf ihre Art sowohl als Symbol für weibliche Potenz und Freiheit, als auch für die Schwäche und Korruptheit des weiblichen Geschlechts dargestellt werden. Ihre Anlagen, Potenziale und idealen Verhaltensweisen wurden von Autoren und Autorinnen auf unterschiedliche Weise konstruiert und von der Gesellschaft auf verschiedene Arten aufgefasst. In den ersten beiden Kapiteln stellt das Projekt die Konstruktion alleinstehender Weiblichkeit durch männliche und weibliche Autor:innen im Vergleich dar, in einem dritten Kapitel werden die ermittelten Konstruktionen mit den Erzählungen abgeglichen, die im Alltagskontext – in Notariats- und Gerichtsakten, in Verträgen und Gesetzen – entstanden.