Projekt: Ein Land der Freiheit?
Ein Land der Freiheit? Kameralismus, Werbenetzwerke und die deutsche Migration ins Russländische Reich zwischen 1763 und 1825
Sarah Minor
Seit Peter I., insbesondere aber unter Katharina II. strebten die russländischen Herrschenden die Anwerbung europäischer Kolonisten zur Besiedlung der Steppe an, privilegierten sie aktiv gegenüber Nomaden sowie russischen Leibeigenen und nutzten die Ansiedlung für den Umbau des russländischen Staates nach kameralistischen Maßstäben.
Der russländische Handlungsraum erstreckte sich über dynastische, diplomatische und ökonomische Netzwerke ins Heilige Römische Reich deutscher Nation. Über jene Informationsknotenpunkte verbreiteten Gesandte und Werbeagenten das Einladungsmanifest, das Versprechungen von Privilegien und organisatorische Informationen enthielt. Die Dimension des Werbeapparates und die versprochenen Privilegien beeindruckten Auswanderungsinteressierte ebenso wie die europäische Öffentlichkeit. Die Werbung schuf Sehnsuchtsorte und Hoffnungen auf soziale Mobilität, befeuerte die Diskussion um die Rechte des Einzelnen, beförderte drastische Gegenmaßnahmen, regte aber auch europäische Nachahmer (z.B. Spanien) an. Zugleich löste die Werbung einen politischen Diskurs um die Handlungsfähigkeit des Heiligen Römischen Reichs aus, welches aufgrund seiner komplexen Rechts- und Herrschaftsstrukturen nicht geschlossen gegen das russländische Werben reagieren konnte.
Das Promotionsprojekt widmet sich den staatstheoretischen Grundlagen des russländischen Werbens, dessen Einflusssphären und Multiplikatoren im Reich, sowie der daraus resultierenden Eigendynamik und Wirkung in der Bevölkerung. Ziel hierbei ist es den Einfluss von Informationen und deren Verbreitung auf die Migration, sowie das dadurch generierte Russlandbild der Auswanderer zu rekonstruieren. Methodisch ermöglicht die historische Netzwerkforschung Wechselwirkungen zwischen Makro-, Meso- und Mikroebene und somit zwischen strukturellen Veränderungen und individuellem Handeln nachzuvollziehen.
(Betreuer: Wolfgang Behringer/Philip Hahn)