Drama
Siedlungsarchäologische Forschungen in der Mikroregion von Drama (Ostbulgarien)
Das Forschungsprojekt wird seit 1983 im Rahmen des Partnerschaftsvertrages zwischen den Universitäten Sofia und Saarbrücken durchgeführt. Hauptanliegen ist die siedlungsarchäologische Erforschung einer Mikroregion hinsichtlich der Interaktionen zwischen Mensch und Natur vom Zeitpunkt der ersten Besiedlung bis ins Mittelalter. Dazu ist eine enge Zusammenarbeit mit verschiedenen naturwissenschaftlichen Disziplinen unerlässlich. Die Grundlagenforschungen in der Mikroregion ermöglichen es außerdem, exemplarisch methodische Fragen von grundsätzlicher Bedeutung für das gesamte Fach Vor- und Frühgeschichte zu untersuchen. Die Forschungen in Drama dienen auch der praktischen und theoretischen Ausbildung der Studierenden.
Projektleitung:
Prof. Dr. Alexander Fol (Lehrstuhl für Geschichte und Theorie der Kultur der Hl. Kliment Ochridski Universität Sofia und Thrakologisches Institut der Bulgarischen Akademie der Wissenschaften, Sofia).
Prof. Dr. Rolf Hachmann (1983-85), Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Jan Lichardus (1986-2004†), Prof. Dr. Rudolf Echt (seit 2004) (Institut für Vor- und Frühgeschichte der Universität des Saarlandes Saarbrücken).
Beteiligte Wissenschaftler:
- Vor- und Frühgeschichte: Prof. Dr. François Bertemes (ehem. Saarbrücken, jetzt Halle), Prof. Dr. Ivan Gacov (Sofia), Prof. Dr. Ljudmil Getov (Sofia), Dr. Maria Gjurova (Sofia), HD Dr. Ralf Gleser (Saarbrücken), Dipl.-hist. Ilja Iliev (Jambol), Prof. Dr. Rumen Katinčarov (Sofia), Dr. Hermann Sauter, Barbara Sauter M. A. (beide Saarbrücken, bis 1999), Dr. Isabelle Sidéra (Paris), Dr. Dieter Vollmann (Saarbrücken)
- Anthropologie: Prof. Dr. Jordan Jordanov (Sofia)
- Archäometrie: Prof. Dr. Hans Mommsen (Bonn)
- Biogeographie: Prof. Dr. Paul Müller (Saarbrücken), Prof. Dr. Peter Nagel (Saarbrücken)
- C14-Bestimmungen: Dr. Jochen Görsdorf (Berlin)
- Geophysik: Dr. Jan Tírpak (Nitra), Dipl. Ing. Iljan Katevski (Sofia), RNDr. Roman Křivánek (Prag)
- Paläobotanik: Prof. Dr. Hans Jörg Küster (ehem. München, jetzt Hannover)
- Vergleichende Indogermanische Sprachwissenschaft: Prof. Dr. Rüdiger Schmitt (Saarbrücken)
- Numismatik: Dimităr Draganov (Jambol)
- Physikalische Chemie: Prof. em. Dr. Hasso Moesta (Saarbrücken)
- Physische Geographie: Prof. Dr. Jochen Kubiniok (Saarbrücken)
- Werkstoffwissenschaften und Fertigungstechnik: Dr. Wolf-Rüdiger Thiele (Saarbrücken)
Technische Mitarbeiter: Georgi Iliev Ivanov (Jambol), Walter Ventzke (1983-1994†) (Saarbrücken), Bc. Milan Metlička (1995) (Plzeň), Frank Fecht (ab 1996), Constanze Schiene (1996-1999), Andrea Wolf (2000-2007) (alle Saarbrücken)
Fotografische Dokumentation: Monika Zorn (1983-2000), Jörg Pütz (ab 2001) (alle Saarbrücken).
Die Mikroregion von Drama ist durch eine 1 km breite und 5-6 km lange Talmulde der Kalnica geprägt, einem Nebenfluss der Tundža. Die Untersuchung der Mikroregion seit 1983 konzentriert sich auf:
- die vollständige Freilegung des Siedlungshügels Merdžumekja und die Bearbeitung des gesamten archäologisch und naturwissenschaftlich auswertbaren Materials. Ziel ist die Rekonstruktion der einzelnen Dorfanlagen innerhalb ihres natürlichen Lebensraumes und ihrer jeweiligen regionalen und überregionalen Verbindungen.
- die Rekonstruktion der mehrtausendjährigen Besiedlungsgeschichte und Umweltveränderungen in einem geographisch geschlossenen Raum.
Dazu wurden folgende archäologische Untersuchungen durchgeführt:
- Grabungen auf mehreren Fundstellen:
- "Merdžumekja": Siedlungshügel (mehr als 13.000 m²).
- "Gerena": Flachsiedlung (über 300 m²).
- "Kajrjaka": Anhöhe (ca. 1.000 m²).
- "Dolen Geren": Grubenkomplex in Hanglage (mehr als 240 m²).
- Systematische Geländebegehungen in der Mikroregion und an der unteren Tundža.
In der Mikroregion von Drama sind durch unsere seit 1983 betriebenen Forschungen heute über 100 Fundstellen vom Neolithikum bis ins Mittelalter bekannt. Die frühesten neolithischen Überreste verweisen in die Stufen Karanovo III-IV (Flachsiedlung "Gerena", Anhöhe "Kajrjaka", Siedlungshügel "Merdžumekja").
Die Ausgrabungen auf "Merdžumekja" erbrachten eine Karanovo V-Siedlung mit etwa 65 Hausgrundrissen, die in mehrere Bauschichten zu gliedern sind. Zeit ihres Bestehens war die Siedlung durch einen Graben begrenzt. Die Keramik aus den Häusern gehört zur "klassischen" Entwicklungsstufe der Marica Kultur.
Darüber wurde eine Siedlung der frühen Karanovo VI-Zeit vollständig ausgegraben. Insgesamt 25 Hausgrundrisse gehören zu mehreren Bauschichten. Stratigraphisch jünger ist eine Karanovo VI-zeitliche Kultanlage mit Bauten, Installationen und Deponierungen. Das archäologische Material aus der Siedlung datiert an den Anfang des Kodžadermen-Gumelnita-Karanovo VI-Verbandes (Karanovo VIa).
Am Südostfuß des Siedlungshügels "Merdžumekja" fand sich eine Karanovo VI-zeitliche Flachsiedlung, die stratigraphisch den zugeschütteten Graben der Siedlung auf dem Hügel überlagert. Ihre Keramik ist mit der Stufe Gumelnita A2-B1 gleichzusetzen (Karanovo VIb).
Stratigraphisch über der Karanovo VI-Flachsiedlung wurden Siedlungsreste der Frühbronzezeit ausgegraben (Cernavoda III). Frühbronzezeitliche Keramik der Stufen Ezero A und B fand sich in sekundärer Lage auf der Anhöhe "Kajrjaka" und vereinzelt auf "Merdžumekja".
Die Mittelbronzezeit hat auf dem Siedlungshügel "Merdžumekja" einen mehrphasigen Kreisgraben hinterlassen. Darin fanden sich zahlreiche Deponierungen, die mit dem Schutt eines verbrannten Gebäudes zugedeckt waren. Zu dieser als Kultplatz interpretierten Anlage gehörten der Kreisgraben, das außerhalb gelegene Gebäude und einige Gruben inner- und außerhalb der Kreisfläche. Die Funde datieren in die zweite Stufe der Nova-Zagora-Kultur.
In die späte mittlere Bronzezeit datiert das auf der Anhöhe "Kajrjaka" ausgegrabene Grab 27 - eine Körperbestattung in linker Hockerlage, dabei ein Krug mit askoider Mündung, zu dem es in Bulgarien kaum direkte typologische Vergleiche gibt.
Die Spätbronzezeit ist in der Mikroregion durch verschiedene Keramikfragmente der Asenovec-Kultur und vom Čerkovna-Typus vertreten. Keramik des Sabatinovka-Noua-Coslogeni-Komplexes und das Fragment eines Steinzepters von der Anhöhe "Kajrjaka" belegen nordpontische Verbindungen.
Auf ägäische Verbindungen während der Spätbronzezeit weist ein mykenisches Rapier vom Typ A aus einem zerstörten Grab unweit der Dorfquelle hin. Kontakte mit der Ostägäis sind durch Fragmente spätmykenischer und grau-minyscher Keramik und durch eine Tonspule mit Linear A-Inschrift belegt.
Die frühe Eisenzeit ist auf dem Siedlungshügel "Merdžumekja" durch zahlreiche Siedlungs- und Pfostengruben der Pšeničevo-Kultur vertreten. In diese Zeit datieren auch zwei Körperbestattungen in Hockerlage, eine davon in einer Siedlungsgrube.
Auf der Anhöhe "Kajrjaka" wurden als weitere Überreste der Pšeničevo-Kultur einzelne Opfergruben ausgegraben, eine davon mit einer Hundebestattung.
Die Deponierung eines absichtlich zerschlagenen und zerschmolzenen Bleigefäßes mit einem erhaltenen Gewicht von 10,5 kg gehört wegen seiner figuralen Verzierung schon in die Post-Pšeničevo-Zeit.
Ebenfalls auf "Kajrjaka" wurde eine thrakische Kultstätte der mittleren und späten Eisenzeit vollständig ausgegraben. Diese besteht aus einem geschlossenen Steinkreis (Anlage B), einem darunter liegenden Ringgraben und aus einem Steinpflaster (Anlage C) außerhalb des Steinkranzes. In direktem Zusammenhang damit stehen mehrere Körperbestattungen mit Sonderbehandlung und zahlreiche Gruben mit z.T. mehrphasigen Deponierungen.
Neben Keramik einheimischer Produktion kommen Fragmente griechischer Keramik, auch aus geometrischer Zeit, vor. Zahlreicher sind Fragmente von Schwarzfirnis-Keramik sowie deren lokale Nachahmungen aus dem 6.-4. Jahrhundert v. Chr. Auch handgemachte und scheibengedrehte späteisenzeitliche Keramik wurde auf "Kajrjaka" in Mengen gefunden. Jüngster eisenzeitlicher Befund innerhalb des Steinkreises ist die Deponierung eines grauen Drehscheibengefäßes mit einer handgemachten "dakischen" Tasse.
In das 3.-2. Jahrhundert v. Chr. verweisen die Grabungsergebnisse in der Flur "Dolen Geren", wo 32 Gruben unterschiedlicher Größe und Form ausgegraben wurden. Sie dienten wahrscheinlich der Vorratshaltung und weisen auf ein bewohntes Areal in der Umgebung hin.
Die römische Epoche ist in der Mikroregion von Drama durch Funde bei Geländebegehungen, durch Architektur- und Kanalisationsreste sowie die Fundamente eines Badegebäudes belegt. Von der Flur "Jurenja" stammt das Bruchstück einer Marmorplatte mit der Darstellung des Jupiter Dolichenus. Funde und Befunde sprechen für die Existenz eines römischen vicus in der Mikroregion.
Mehr als 50 Körper- und Brandbestattungen auf der Anhöhe "Kajrjaka" zeigen die Vielfalt des römischen Totenrituals. Besonders herauszuheben sind Busta mit und ohne Waffenbeigabe. Die Beigaben datieren die Bestattungen in den Zeitraum vom Ende des 1. bis zum 5. Jh. Vor allem die Busta sprechen dafür, dass Drama keine einfache ländliche Siedlung war.
Die Besiedlung der Mikroregion von Drama in spätantiker und byzantinischer Zeit stellt sich als wesentlich bedeutender dar, als bislang angenommen wurde. Schriftliche Quellen erwähnen einen Ort Dramica am Tonzos (Tundža), der aufgrund von sprachlichen und historischen Untersuchungen mit dem heutigen Drama identifiziert wird. Zur Zeit Papst Leos V. (886-912) wird Dramica als Bischofssitz erwähnt wird.
Die Besiedlung des Mittelalters ist durch Münzfunde und durch byzantinische, bis ins 12. Jahrhundert reichende Keramik belegt. Der Verlauf der türkischen Besiedlung ist dagegen unklar. Drama ist das einzige Dorf an der unteren Tundža, das keinen türkischen Namen trägt. Türkische Keramik ist jedoch oberhalb des Dorfes Drama, sowie im östlichen Bereich der Mikroregion vorhanden. Spuren türkischer Anwesenheit sind auch ein Gräberfeld mit Grabsteinen in Richtung "Jeniköj" und Bronzemünzen des 15. Jahrhunderts.