Rektoren- und Präsidenten-Biogramme (in Bearbeitung)
Jean Barriol (1909–1989)
Im ersten Vorlesungsverzeichnis 1948/49 wies ihr Gründungsrektor der neuen Universität die später vielzitierte Aufgabe zu, sich zum „Werkzeug einer wahrhaft europäischen Gesinnung“ zu entwickeln. Den Naturwissenschaftler Jean Barriol hatte seine Laufbahn zunächst in den höheren Schuldienst und nach fünfjähriger deutscher Kriegsgefangenschaft an die Universität Nancy geführt, wo er im Herbst 1948 die zwischen Physik und Chemie angesiedelte Professur für „Chimie théorique“ übernahm.
Praktisch gleichzeitig wurde er als Rektor nach Saarbrücken berufen, nachdem zuvor die beiden Germanisten Robert Minder und Joseph-François Angelloz abgelehnt hatten. Persönlich keine ausgeprägte Führungsfigur, widmete sich Barriol dennoch engagiert und besonnen den vielfältigen Herausforderungen des Aufbaus – zwischen administrativem Chaos, quälenden Provisorien und einem von sehr verschiedenen Traditionen geprägten Lehrkörper. Bei seiner Verabschiedung 1950 registrierte er dankbar die gemeinsam erreichten Fortschritte, darunter die Verabschiedung des Universitätsstatuts, und kehrte nach Nancy zurück.
Dort baute er seinen Lehrstuhl zu einem Zentrum der Physikalischen Chemie aus und setzte seine Forschungen zur Quantenmechanik und zu den dielektrischen Eigenschaften von Flüssigkeiten fort. Den Ritter der Ehrenlegion ernannte die Saar-Uni 1953 zu ihrem „Recteur Honoraire“, und das „Institut de chimie et physique moléculaires et biomoléculaires de Lorraine“ in Nancy trägt seinen Namen.
(Autor: Wolfgang Müller)
Joseph-François Angelloz (1893–1978)
Joseph-François Angelloz war zweifellos die prägende Figur der frühen Jahre für die Universität des Saarlandes. Als renommierter Rilke- und Goethe-Forscher und als Fürsprecher eines positiven, gewinnenden Deutschlandbildes in Frankreich hervorgetreten, wurde er 1950 zum zweiten Rektor ernannt und erwies sich rasch als eine Art Idealbesetzung im Sinne der Gründungsidee. Mit einer charakteristischen Mischung aus Sendungsbewusstsein, Führungsstärke und persönlichem Engagement formte der pragmatische Visionär die junge Universität, die unter seiner Führung ihr Profil als europäisch orientierte, wissenschaftlich ambitionierte und sozial besonders offene Hochschule gewann, nicht zuletzt durch die Gründung des von ihm geleiteten Europa- Instituts.
Dabei war sein Auftreten und Wirken von hohem, katholisch-abendländisch geprägtem Bildungspathos und markantem Selbstbewusstsein gekennzeichnet. Im Umfeld der Volksabstimmung von 1955 wurde er von der prodeutsch orientierten Presse als machtbewusster Repräsentant des französischen Universitätssystems attackiert und verließ Ende September 1956 ohne Abschiedsfeier enttäuscht die Universität, die ihm gleichwohl viel zu verdanken hatte und ihm später die Würden eines Ehrendoktors (1961) und Ehrensenators (1973) verlieh. Er wirkte anschließend als Rektor der Akademien Montpellier und Straßburg sowie noch im Ruhestand als Bürgermeister seines Wohnorts Thônes in der Heimatregion Haute-Savoie.
(Autoren: Thilo Offergeld / Wolfgang Müller)
Hermann Krings (1913–2004)
Der achte Rektor der Saar-Uni, herausragender Vertreter einer modernen Transzendentalphilosophie und als „Philosoph der Freiheit“ gewürdigt, hat in Reminiszenzen an seine Saarbrücker Jahre den reizvollen Campus-Charakter der Universität ebenso beschrieben wie ihre besondere Atmosphäre angesichts des Fehlens einer akademischen Tradition im Saarland.
Krings, der in seiner Münchener Studienzeit zum weiteren Kreis der Geschwister Scholl gehört hatte und mit dem Saarbrücker Widerstandskämpfer Willi Graf befreundet gewesen war, lehrte und forschte von 1960 bis 1968 am Saarbrücker Philosophischen Institut, agierte 1963/64 als Dekan und in der Nachfolge des Experimentalphysikers Conrad von Fragstein von 1965 bis 1967 als Rektor. In seiner Amtszeit, die im Zeichen von Studienreform und universitärer Ausbauplanung stand, wurden unter anderem die großen Neubauten der Chemischen und Physikalischen Institute fertiggestellt und der Rohbau des „Studentenhauses“, der Neuen Mensa, errichtet.
Der Mitherausgeber der historisch-kritischen Schelling-Ausgabe, Träger höchster Auszeichnungen und Tübinger Ehrendoktor entfaltete außerdem eine umfassende bildungs- und forschungspolitische Wirksamkeit. Seit 1966 Mitglied und nach seiner Rückkehr an die Münchner Universität von 1970 bis 1975 Vorsitzender der Bildungskommission des Deutschen Bildungsrates, hat er die deutsche Bildungspolitik in den bewegten Zeiten um „1968“ maßgeblich mitgeprägt.
(Autor: Wolfgang Müller)
Werner Maihofer (1918–2009)
Mit Werner Maihofer stand in der Hochphase der studentischen Protestbewegung um „1968“ eine außergewöhnlich profilierte Führungsfigur an der Spitze der Universität. Der liberale Jurist war seit 1955 Professor an der Saar-Uni; er amtierte 1956/57 als Dekan, gründete 1960 das Institut für Rechts- und Sozialphilosophie und war mit seinem Konzept einer „qualitativen Mitbestimmung“ der nicht-professoralen Uni-Mitglieder ein inhaltlicher Wegbereiter der Universitätsreform.
Während seines Rektorats (1967–1969) bemühte sich Maihofer, die studentischen Proteste und den hochschulpolitischen Umbruch in rationalen, gewaltfreien Bahnen zu halten, und verstand sich dabei als „Brückenbauer zwischen den Generationen“. 1970 wechselte er, der von 1968 bis 1971 auch Vizepräsident der Westdeutschen Rektorenkonferenz war, an die neu gegründete Universität Bielefeld.
Von Walter Scheel für die FDP rekrutiert, wirkte der Protagonist des sozialliberalen Bündnisses an der Erarbeitung des wegweisenden Freiburger Parteiprogramms mit. Seit Dezember 1972 amtierte er als Bundesminister für besondere Aufgaben unter Willy Brandt und war von Mai 1974 bis Juni 1978, während der Hochphase des RAF-Terrors, Innenminister unter Helmut Schmidt. Nicht zuletzt Fahndungspannen bei der Entführung Hanns Martin Schleyers führten zu seinem Rücktritt. Anschließend kehrte Maihofer zunächst nach Bielefeld zurück und leitete dann von 1982 bis 1988 als Präsident das Europäische Hochschulinstitut in Florenz.
(Autor: Wolfgang Müller)
Hellmuth Sitte (1928–2018)
Hellmuth Sitte wuchs als Sohn eines Archäologie-Professors in Innsbruck auf. Mit sechzehn Jahren kurz vor Kriegsende noch zur Wehrmacht eingezogen, wurde er so schwer verwundet, dass ihm ein Bein amputiert werden musste. In seinem Studium der Naturwissenschaften wandte er sich früh der Elektronenmikroskopie und der Entwicklung von Ultramikrotomen zu, mit denen sich extrem dünne Schnittpräparate herstellen lassen, und trug gemeinsam mit seinem Bruder maßgeblich zur Etablierung der Ultrastrukturforschung in Europa bei. Nach der Heidelberger Habilitation und nach Ablehnung eines frühen Rufs nach Harvard leitete er seit 1963 die Elektronenmikroskopische Abteilung der Medizinischen Fakultät in Homburg und übernahm 1966 das Ordinariat für Cytologie und Elektronenmikroskopie, später umbenannt in „Allgemeine Biologie für Mediziner“.
Von 1969 bis 1973 letzter Rektor der Saar-Universität (vor Einführung der Präsidialverfassung), bemühte er sich während des hochschulpolitischen Umbruchs um Konsens bei den schwierigen Beratungen der Universitätsgesetze und der Universitätsverfassung, die schließlich, für die damalige Zeit einzigartig, mit breiter Zustimmung verabschiedet wurde.
Sitte wurde 1993 zum Ehrenmitglied der Royal Microscopical Society in Oxford ernannt. Zu seinem Werk gehören auch über 200 Patente aus dem Bereich der Ultramikrotomie und der Tieftemperaturtechnik sowie seine 2016 erschienenen persönlichen Impressionen „Was wirklich zählt – Gedanken eines unverbesserlichen Optimisten“.
(Autor: Wolfgang Müller)
Paul Müller (1940–2010)
Paul Müller, der zweite Präsident der Universität, war gebürtiger Saarländer und seiner Alma Mater seit der Studienzeit verbunden. Er begründete 1971 den Lehrstuhl für Biogeographie und leitete seit 1989 das Zentrum für Umweltforschung. Durch seine Forschungen zur Biogeographie Europas und Südamerikas und seine Beiträge zur Diskussion um die Artenvielfalt erwarb er hohe internationale Anerkennung. So trägt unter anderem eine südamerikanische Buntbarsch-Art seinen Namen.
Müller übernahm 1979 nach vorausgegangenem dramatischem Wahlkonflikt die Führung der Universität. In seiner Amtszeit wurde die Integration der Pädagogischen Hochschule in die Universität abgeschlossen und der zweite Universitätsentwicklungsplan verabschiedet, der Weichen zur Schwerpunktbildung und zum Ausbau der Ingenieurwissenschaften stellte. Auch der mit Müllers Namen eng verbundene Umweltschwerpunkt trat in den Vordergrund.
1982 wurde Müller zum Vizepräsidenten der Westdeutschen Rektorenkonferenz gewählt. Er engagierte sich auch politisch in der FDP – 1986 lehnte er eine Berufung als Umweltsenator nach Berlin ab – und nicht zuletzt als Vizelandesjägermeister des Saarlandes. Sein Wechsel an die Universität Trier 1999, in Folge der Verlagerung seines Fachs auf Empfehlung der umstrittenen Simon-Kommission, bedeutete den Anfang vom Ende des Saarbrücker Umweltschwerpunkts. In Trier wirkte der mehrfache Ehrendoktor weiter erfolgreich unter anderem als Sprecher des Sonderforschungsbereichs „Umwelt und Region“.
(Autor: Wolfgang Müller)
Richard Johannes Meiser (1931–1995)
Als „Europäer auf dem Saarbrücker Präsidenten-Stuhl“ ist Richard Johannes Meiser in den Annalen verzeichnet. In Cottbus geboren, kam er über Paris und Heidelberg 1968 auf den Homburger Campus, wo er sich 1969 für Innere Medizin habilitierte und unter schwierigen Bedingungen eine hämatologische Arbeitsgruppe aufbaute. Im Februar 1982 zum Ersten Vizepräsidenten gewählt, folgte er im Juli 1983 Paul Müller im Amt des Universitätspräsidenten, für das er zweimal wiedergewählt wurde und das er aus gesundheitlichen Gründen 1992 aufgeben musste.
Im Zentrum seiner langen Amtszeit, die auch sein Wirken als Vizepräsident für internationale Angelegenheiten der Westdeutschen Rektorenkonferenz 1987 bis 1991 umfasste, standen die von ihm initiierte Hochschulkooperation in der „Charte Saar-Lor-Lux-Westpfalz“ sowie die Entwicklung internationaler Studiengänge und des europäischen Studierendenaustauschs ERASMUS. Eine Errungenschaft war zudem die erste deutsch-deutsche Universitätspartnerschaft, abgeschlossen 1987 mit der Karl-Marx-Universität Leipzig. Unter seiner Ägide erfolgte die wirtschaftsorientierte Neuausrichtung der Universität, einschließlich der Gründung einer Technischen Fakultät.
Meiser galt als ein ausnehmend zugänglicher und Studierenden wie Beschäftigten zugewandter Präsident. Hochschulpolitisch trat der Träger des Erasmus-Preises der EU verbindlich, aber beharrlich für die Wahrung der Autonomie und der universitätsinternen Handlungsmöglichkeiten ein.
(Autor: Wolfgang Müller)
Günther Hönn (geboren 1939)
Nach seiner Frankfurter Promotion leitete Günther Hönn zunächst als Wirtschaftsjurist die Rechtsabteilung von Lever-Sunlicht in Hamburg. 1980 in Mainz habilitiert, folgte er 1982 einem Ruf der FU Berlin, bevor er zwei Jahre später als Professor für Bürgerliches Recht, Handels-, Wirtschafts- und Arbeitsrecht nach Saarbrücken kam. 1991/92 amtierte Hönn als Vizepräsident für Lehre und Studium und wurde nach dem krankheitsbedingten Rücktritt von Richard Meiser 1992 zu dessen Nachfolger als Universitätspräsident gewählt.
Seine bis zum Jahr 2000 dauernde Amtszeit, in der er drei Kultusminister erlebte, war geprägt durch Struktur- und Spardebatten im Spannungsfeld zwischen universitärer Autonomie und Finanzknappheit. Unter diesen Vorzeichen fand auch am 11. Juli 1996 die größte Demonstration der Universitätsgeschichte gegen die Sparpolitik der Landesregierung statt, bei der Hönn und seine Präsidiumskollegen in der ersten Reihe marschierten. Die Aktion erbrachte eine breite Solidarisierung mit der Universität und eine Reduzierung der zuvor diskutierten, von Hönn als „abenteuerlich“ bezeichneten Sparlasten.
Hönns Führungsstil war durch seine umsichtige, ausgleichende Art und durch akribisch erarbeitete Sachkenntnis geprägt. Nach der Amtsübergabe an Margret Wintermantel widmete er sich wieder seinem Fachgebiet; auch nach dem Eintritt in den Ruhestand war er noch viele Jahre in der Forschung und in der Lehre zumal im Rahmen des Master-Fernstudiums „Wirtschaftsrecht für die Unternehmenspraxis“ aktiv.
(Autor: Wolfgang Müller)
Margret Wintermantel (geboren 1947)
Margret Wintermantel, gebürtig aus dem Westerwalddorf Bruchertseifen, studierte Psychologie und Publizistik in Mainz und habilitierte sich 1986 an der Universität Heidelberg. Nach erfolgreicher Tätigkeit im Heidelberger Sonderforschungsbereich „Sprache und Situation“ übernahm sie 1992 die Saarbrücker Professur für Sozialpsychologie. Bereits zwei Jahre später war sie als Vizepräsidentin für Lehre und Studium (1994–1997) das erste weibliche Präsidiumsmitglied der Saar-Universität, im Jahr 2000 dann ihre erste Präsidentin.
Wintermantel setzte nach ihrem Amtsantritt Signale des Selbstbewusstseins durch die bauliche Modernisierung des Präsidialamts und verbreitete nach trüben Jahren der Spardiskussionen Aufbruchsstimmung durch ihren Kommunikationsstil und ihre Persönlichkeit: „Zur Kompetenz gesellt sich der Charme“, formulierte die Saarbrücker Zeitung. Inhaltlich argumentierte Wintermantel leidenschaftlich für eine umfassende Universitäts-Autonomie, die sich in leistungsbasierter Schwerpunktsetzung zu beweisen habe.
2006 verließ Wintermantel Saarbrücken, um als Präsidentin die deutsche Hochschulrektorenkonferenz in schwierigen, von Bologna-Kontroversen geprägten Zeiten zu leiten. Von 2012 bis 2019 war sie Präsidentin des Deutschen Akademischen Austauschdienstes. Die Verbindung der vielfach geehrten, in hochrangigen Gremien gefragten Wissenschaftsmanagerin zur Saar-Universität blieb dennoch bestehen und wurde 2017 nochmals intensiviert, als sie den Vorsitz des Hochschulrats übernahm.
(Autor: Thilo Offergeld)