Im Mittelpunkt des Vortrags und des Abends stand mit der Kundenzufriedenheit somit ein Thema, dass seit Jahrzehnten eine zentrale Zielgröße im Handelsmanagement darstellt, da in Wissenschaft und Praxis umfassend signifikante Einflüsse auf das Wiederkaufverhalten und das Weiterempfehlungsverhalten der Kunden festgestellt wurden. Prof. Popp zeigte jedoch auf, dass in den letzten Jahren, insbesondere durch das Omni-Channel-Retailing, neue Herausforderungen aufgekommen sind, die diese uneingeschränkte Vorherrschaft der Zufriedenheit als Determinante einer nachhaltigen Beziehung zwischen Kunde und Unternehmen sowie des Unternehmenserfolgs in Frage stellen.
Basierend auf der sich an der Service-Profit Chain orientierten zentralen Erfolgskette des Handels, zeigte Prof. Popp neue Herausforderungen und Chancen im Omni-Channel-Retailing auf. Eine zentrale Rolle hierbei spielen z. B. steigende Kundenerwartungen, die es Handelsunternehmen schwerer machen, Kunden zufriedenzustellen oder gar zu begeistern. Die steigenden Erwartungen gehen einerseits durch allgemein hohe Zufriedenheitswerte und hohen Wettbewerb zurück. Andererseits führt das Omni-Channel-Retailing dazu, dass Kunden bei ihrem Zufriedenheitsurteil mit stationären Händlern auch die Leistungen von Online-Shops heranziehen, sodass z. B. die Erwartungen hinsichtlich des Sortiments, der Produktverfügbarkeit oder auch der Öffnungszeiten vom E-Commerce geprägt sind.
Auch die Rolle des Variety-Seeking Behaviour, d. h. des Strebens nach Abwechslung der Konsumenten, wurde thematisiert, da das Motiv dazu führt, dass eine Bindung der Kunden durch hohe Kundenzufriedenheit nicht möglich ist. Hier seien beispielsweise wechselnde Angebote oder Kooperationen der Händler gefragt.
Händlern wurde zudem weiter eine beziehungsorientierte Perspektive angeraten und auf die Identifikation der Konsumenten mit dem Händler (oder dessen Mitarbeitern oder Kunden) zu setzen. Wenn es Händlern gelingt, einen Lebensstil oder ein bestimmtes Image zu verkörpern, seien sie in der Lage eine nachhaltige Beziehung zum Kunden und unter Umständen auch eine Markengemeinschaft aus ihren Kunden aufzubauen.
Eine große Chance, aber auch neue Herausforderungen, sieht Prof. Popp in der Tatsache, dass durch das Omni-Channel-Retailing neue Leistungsmerkmale (z. B. Produktverfügbarkeitsprüfung, Lieferung) für stationäre Händler hinzukommen würden. Diese müssen von stationären Händlern, die ein Online-Geschäft aufbauen wollen, genutzt werden, um die Zufriedenheit zu steigern. Zugleich empfiehlt er stationären Händlern auf Mehrwerte, die das Internet nicht bieten kann und eigene Stärken (z. B. Erlebnis, Atmosphäre, soziale Interaktion, Beratung, Marke, Service, Haptik oder Produkterlebnis) zu setzen.
Zuletzt gab Prof. Popp einen Ausblick auf die Konsequenzen von Plattform-Ökonomien für die Rolle der Kundenzufriedenheit als Loyalitätsgarant für stationäre Handelsunternehmen. Demnach stellen digitale Plattformen bzw. Ökosysteme, wie sie von Unternehmen wie Google, Amazon, Facebook oder Apple unterhalten werden, ein signifikantes Gerüst für Interaktionen, Transaktionen und (Online-)Handel dar, die die Customer Journey verändern und einen disruptiven Charakter aufweisen. Damit verbundene Technologien wie z. B. Smart Speaker könnten den Plattform-Betreibern helfen, Wechselbarrieren aufzubauen und die zentrale Rolle der Zufriedenheit könne (für einzelne Marktsegmente) in Zukunft durch die Bindung der Kunden an ein proprietäres Ökosystem eines Technologieunternehmens ersetzt werden.
Das Fazit von Prof. Popp zur Frage, ob Kundenzufriedenheit wichtiger denn je sei, fiel dementsprechend ambivalent aus: Einerseits ist Kundenzufriedenheit wichtiger denn je, denn ohne diese sei in Anbetracht des hohen Wettbewerbsdrucks das Scheitern vorprogrammiert. Andererseits reiche Kundenzufriedenheit alleine vor dem Hintergrund hoher Markenidentifikation, neuer Leistungsmerkmale des Omni-Channel-Retailing und technologischer Innovationen oft nicht mehr aus, um erfolgreich zu sein. Erlebnisse, Mehrwerte, Services und Begeisterungsfaktoren sollten daher als Basis für nachhaltige Differenzierung genutzt werden. Handelsunternehmen sei angeraten hierfür eine individuelle Strategie unter Berücksichtigung der Branche und der Kundenerwartungen zu identifizieren.