VirtuelleRealitäten
"Virtuelle Realitäten"
Ein individueller Eskapismus liegt wahrscheinlich fast jeder Rezeptionserfahrung inne — vom die 'Einbildungskraft' reizenden Eintauchen in Roman- und Filmwelten über das synästhetische Erleben des sich 'auflösenden' Raums in der manieristischen Architektur bis schließlich zur interaktiven Immersion in Video Games.
Und gerade durch Digitalisierung und Internet scheinen sich die Möglichkeiten virtueller Wirklichkeiten zu potenzieren: Mit der Erstellung von persönlichen Avataren auf Social Media-Plattformen oder in Multiplayer-Spielen können Stellvertreterfiguren erschaffen werden, und in der Kommunikation über Kontinente und Zeitzonen hinweg lässt sich (etwa mit "Second Life") in einem schier unendlichen Metaversum interagieren.
Der Themenschwerpunkt "Virtuelle Realitäten" widmet sich 2022/23 aus medienkulturwissenschaftlicher Perspektive und in Lehrveranstaltungen, Vorträgen und Workshops aktuellen Fragen von Künstlicher Intelligenz und Künstlerischer Kreativität und nimmt neue Verfahren des Schreibens oder der Krypto-Kunst in den Blick, beschäftigt sich in einer Vorlesung im WiSe 2022/23 mit Theorien und Methoden der 'Digitalen Kulturwissenschaften' und in einem interdisziplinären Praxisseminar im SoSe 2023 mit Computerspielen.
"Künstliche Schöpfung, Künstliche Intelligenz — Künstliche Kreativität?"
Der Traum vom 'künstlichen Menschen' ist wohl so alt wie die Kulturgeschichte selbst: Vom antiken Pygmalion-Mythos über mittelalterliche Figuren des "Golem" und "Homunkulus" bis hin zur legendären Maschinenfrau Maria in Thea von Harbous und Fritz Langs Metropolis (1927) lassen sich die unterschiedlichsten Phantasien in den europäischen Literaturen und Künsten finden — immer wieder aber auch tatsächliche (mechanisch-technische) Versuche der 'künstlichen Schöpfung'.
Nach der Robotik im 20. Jahrhundert sind es nun vor allem Fortschritte im Bereich der KI, mit denen die menschliche Intelligenz (speziell Wissens-, Lern- und Entscheidungsstrukturen) 'künstlich' durch Programmierungen und Algorithmen nachgebildet werden. Diese sich abzeichnenden, aber in ihren Konsequenzen auch bereits konkret spürbaren Entwicklungen befördern nicht nur ganz zwangsläufig neue ethische Fragen, sondern bringen auch kritische Reflektionen hervor, sei es durch die Cultural Studies oder das 'Wissen' der Künste und Literaturen. Umgekehrt versuchen Algorithmen zumindest anthropozentrische Vorstellungen von Ästhetik nachzuahmen, indem sie unfertige Symphonien 'vollenden', Bilder malen oder aus einem Textkorpus heraus Drehbücher und Gedichte schreiben.
Seminar im Wintersemester 2022/23
Das Seminar "Künstliche Schöpfung, Künstliche Intelligenz — Künstliche Kreativität?" nimmt sich diesem Spannungsverhältnis zwischen 'Mensch' und 'Maschine' an, spürt in medienkulturwissenschaftlicher Perspektive den künstlerischen, literarischen oder filmischen Entwürfen nach, reflektiert in einem praktischen Teil anhand der tatsächlichen Programmierung eines Algorithmus auf die Potentiale und Limitierungen von KI und blickt abschließend auf die Potentiale und Limitierungen einer 'künstlichen' Kreativität.
Dieser Kurs kann bereits in das neue Zertifikat "Mensch.Gesellschaft.KI.Digitalität" eingebracht werden, das ab dem Sommersemester 2023 an der Universität des Saarlandes belegt werden kann. Sollten Sie an dieser Option interessiert sein, tragen Sie einfach das Zertifikat auf dem Deckblatt ein, und der Kurs wird nachträglich anerkannt. Weitere Infos zum Zertifikat finden Sie unter: https://www.uni-saarland.de/studieren/optionalbereich/zertifikate/mensch-gesellschaft-ki.html
KI & Kreativität?
Auch wenn die bisher zumeist spielerisch anmutenden Experimente in Musik, Film oder Kunst noch vor allem dem Ausloten von technischen, ästhetischen wie rechtlichen Möglichkeiten dienen: Die scheinbar grenzenlosen Einsatzbereiche von Textbots wie ChatGPT oder der prompt-basierten Bilderstellung mittels KI (etwa durch Midjourney oder DALL-E) haben auch das Potential, das Verständnis von Autorschaft/Künstlerschaft radikal neu zu definieren.
Doch kann eine selbstlernende, niemals müde werdende KI wirklich 'kreativ' sein, oder setzt der Algorithmus dabei (ohne realweltliche Erfahrungen oder ein Bewusstsein für existentielle Ängste) lediglich Versatzstücke reproduzierend neu zusammen?
- Jonas Nesselhauf: "Künstliche Kreativität!? Wenn Maschinen schreiben, malen, komponieren", Vortrag in den Europäischen Kulturstudien (23. Januar 2023)
- Jonas Nesselhauf im Gespräch mit Redakteurin Julia Kiem Reck zu KI-generierten Webserien (8. März 2023) und KI-Deep Fakes (28. März 2023) auf WDR Cosmo.
Workshop "und das ist jetzt unsere Wirklichkeit" (04./05. Oktober 2022)
Literatur-, kultur- und medienwissenschaftliche Perspektiven auf Juan S. Guses "Miami Punk" (2019)
Juan S. Guses 2019 erschienener Roman Miami Punk — eine postmoderne (oder besser: popmoderne) Dystopie, die über den Mikrokosmos Miami hinaus einen enzyklopädischen Verweiskosmos eröffnet — fordert zu unterschiedlichen Deutungsansätzen heraus, und soll daher in einem interdisziplinären Workshop unter verschiedenen theoretisch-methodischen Zugängen diskutiert werden: Mit Blick auf Postkapitalismus und Anthropozän, Sprache und Gender, sowie durch Narratologie und Diskursanalyse, Game Studies und Medienwissenschaft.
Organisation: Jonas Nesselhauf (Universität des Saarlandes) & Steffen Röhrs (Leibniz Universität Hannover)
4. Oktober 2022
10:00 Uhr | Begrüßung und Einführung |
10:30 Uhr–13:00 Uhr | Panel 1: "Alles ist voller Zeichen" (Narrative und semiotische Strategien/Verfahren) Input-Vorträge von Stephanie Blum (Saarbrücken), Philipp Ohnesorge (Greifswald), Steffen Röhrs (Hannover) |
14:30–17:00 Uhr | Panel 2: "Wir werden nicht hier leben müssen" (Themen und Diskurse) Input-Vorträge von Nicole Mattern (Koblenz), Dustin Matthes (Greifswald), Jonas Nesselhauf (Saarbrücken) |
20:00 Uhr | Lesung im Saarländischen Künstlerhaus |
5. Oktober 2022
10:00–12:30 Uhr | Panel 3: "Die Welt auf dem Server" (Game-Ästhetiken) Input-Vorträge von Nils Gelker (Hannover), Jasmin Pfeiffer (Würzburg), Felix Schniz (Klagenfurt) |
Der Workshop findet auf dem Campus der Universität des Saarlandes in Hybrid statt.
Bitte melden Sie sich für eine Online- oder Präsenz-Teilnahme per E-Mail an: jonas.nesselhauf[at]uni-saarland.de
Juan S. Guse: "Miami Punk"
Lesung im Saarländischen Künstlerhaus
Miami im US-Bundesstaat Florida in einer nicht allzufernen Zukunft: Über Nacht zieht sich plötzlich der Atlantik zurück, die Region leidet unter einer unerklärlichen Alligatorenplage, es kursieren Gerüchte über Todesschwadronen, und Videospielfiguren führen ein unerwartetes Eigenleben: Mit seinem von den Feuilletons vielbeachteten zweiten Roman Miami Punk (2019) erschafft der Schriftsteller Juan S. Guse eine faszinierende und gleichsam irritierende Fiktion der USA im 21. Jahrhundert zwischen Klimawandel, Fake News und Postkapitalismus, Migration und virtuellen Welten.
Denn auch der Roman selbst ist äußerst rätselhaft: Mit seiner enzyklopädischen Komplexität, der teils rhizomatischen Struktur sowie einer Reihe von 'flankierenden' Texten und Medien scheint sich die gesellschaftliche Fragmentierung von Gewissheiten auch in der Erzählweise zu spiegeln.
Miami Punk wurde vom Feuilleton als "multiperspektivisches Literatur-Großprojekt" (Süddeutsche Zeitung) und "eines der ungewöhnlichsten Bücher zurzeit" (Deutschlandfunk) gelobt — und dürfte an Aktualität wohl kaum zu überbieten sein. Im Herbst 2022 wurde das Roman-Universum um ein neunteiliges "Hörspiel-Spiel" des NDR erweitert.
Weitere Informationen zur Lesung auf der Website des "Saarländischen Künstlerhaus"
Link zur Radio-Aufzeichnung in der Sendung "Literatur im Gespräch" (SR2)
Sensing Stories: Approaches on Multisensory Narration in Arts and Media
International and transdisciplinary online lecture series (Nov ‘23 – Jan ‘24)
How could stories be told immersively? Is storytelling beyond text, language and image even possible? What narrative potential do kinaesthetics, proprioception, olfaction, haptics or gustation hold in this regard?
The international and transdisciplinary online lecture series "Sensing Stories: Approaches on Multisensory Narration in Arts and Media" will explore these questions from 7 November 2023 to 30 January 2024. Thematically, the lectures will address historical antecedents and current analogous examples of multisensory narration as well as the promises of patents, prototypes and utopias of multisensory media and arts.
The declared aim of the lecture series is no more and no less than to break open the existing paradigm of linguistic and audiovisual narration and to reflect on multisensory narration against the background of past and current developments, visions and imaginaries.
More information on program and registration can be found online: www.uni-saarland.de/lehrstuhl/nesselhauf/forschung/sensing-stories
The lecture series is a cooperation between Patrick Rupert-Kruse (University of Applied Sciences Kiel) and Nora Benterbusch (Saarland University, Saarbrücken).
"Me, Myself, and I: Self-Representations from the Narcissus Myth to the Selfie"
Online Seminar, Interdisciplinary "EurIdentity Certificate"
When painters from the European Renaissance onward self-consciously signed their own works and even depicted themselves on canvas, this occurred as a result of a changed understanding of artisthood, authorship—and identity. Hence, the artistic self-portrait became a central genre of European painting since the 15th century, and thus in a sense forms the precursor of the omni-present ‘selfies’ in early 21st century social media.
Starting with the ancient myth of Narcissus, this online seminar will focus on a media cultural history of self-portrayals, both retracing historical lines of tradition as well as asking about the relevance of selfies in today’s pop culture against the background of gender, diversity and a ‘culture-industrial’ pseudo-individualism.
The "EurIdentity Certificate" is a cooperation between the TU Kaiserslautern, the Université de Lorraine, the Université du Luxembourg, the Universität des Saarlandes, the Universität Trier, the Université de Liège and the htw saar within the "Universität der Großregion"/"Université de Grande Région" network.
More information can be found online: www.uni-saarland.de/einrichtung/ceus/europastudium/eurid.html
Das EurIdentity Certificate ist an der Universität des Saarlandes eine Vertiefung innerhalb des Zertifikats Europaicum. Eine Einschreibung für das EurIdentity Certificate erfolgt an der Universität des Saarlandes über das SIM-Portal mit der Immatrikulation für das Zertifikat Europaicum.
Weitere Informationen zu Studierbarkeit und Zugang finden sich online: https://www.uni-saarland.de/einrichtung/ceus/europaicum/eurid.html
Praxisseminar "Medien und... Gaming" im Sommersemester 2023
Egal ob an Konsole, PC oder Smartphone, zum bloßen Zeitvertreib oder als Hobby — etwa 54 Prozent der Deutschen spielen im Jahr 2022 zumindest gelegentlich Computer- oder Videospiele, und so gehört die Gaming-Industrie längst zu den größten Wachstumsmärkten in Populärkultur und Unterhaltungsbereich, und ist in den kulturwissenschaftlichen "Game Studies" auch bereits als interdisziplinäres Forschungsfeld institutionalisiert.
Ohnehin ergeben sich gerade in Bereichen wie Bildästhetik oder Storytelling fruchtbare Schnittpunkte zwischen Informatik und Kulturwissenschaften/Cultural Studies, sei es in der Analyse der visuellen und narrativen Gestaltung oder umgekehrt in der Entwicklung immersiver und transmedialer Erzählwelten in Games.
Die Veranstaltung "Medien und… Gaming" findet im Sommersemester 2023 in Kooperation mit der Medieninformatik der UdS, der Hochschule der Bildenden Künste Saar (HBK) sowie der Hochschule für Technik und Wirtschaft des Saarlandes (HTW) statt: In gemischten Gruppen soll hierbei über das gesamte Semester hinweg ein Spielkonzept entwickelt und verschiedene Facetten eines Spiels (hier: Programmierung, Storytelling, Audiovisuelle Darstellung) realisiert werden. Ein Vorwissen in Programmierung oder Gaming ist nicht erforderlich — lediglich ein Interesse und die Bereitschaft an interdisziplinärer Zusammenarbeit in einer Gruppe.
Weitere Informationen zur Veranstaltung finden sich online: https://umtl.cs.uni-saarland.de/teaching/summer-2023/seminar-rapid-game-development-erstellung-eines-computerspiels-in-einem-interdisziplinären-team.html
Blog der HTW Saar: https://htwsaar-blog.de/blog/2023/04/25/rapid-game-development