MedienDesignAktivismus
"Medien—Design—Aktivismus"
So wie Medien als Kommunikationsmittel in der Lage sind, Botschaften zu übermitteln, dabei viele Menschen zu erreichen und zu vernetzen, ist jeder Aktivismus auf eine wirksame Nutzung inhalts- und zielgruppenspezifischer Medien angewiesen: Thesen- und traktathafte Manifeste oder prägnante Slogans, großformatige Poster oder populäre Memes, aber auch das ganz alltägliche Produktdesign wirken auf Gesellschaften ein und können diese verändern.
Der Themenschwerpunkt „Medien—Design—Aktivismus“ widmet sich 2024/25 aus medienkulturwissenschaftlicher Perspektive genau diesen Phänomenen in Lehrveranstaltungen sowie einem Ausstellungsprojekt, das in der Bereichsbibliothek der Fakultät P jenen Einsatz von Design in unterschiedlichen Medien am Beispiel des feministischen und postfeministischen Aktivismus aufzeigt: Die an der Kleidung getragenen Anstecker der Suffragetten-Bewegung, die kritischen Auseinandersetzungen mit den Werbestrategien von „femvertising“ und „femwashing“ oder künstlerische Interventionen über Plakate und Postkarten eröffnen ein subversives Spiel mit Zeichen und Codes und wirken interdiskursiv in die Gesellschaft zurück.
In zwei Projektseminaren werden zunächst im Wintersemester 2024/25 — im Austausch mit Künstler:innen und Handwerker:innen sowie in Exkursionen und Workshops — die medialen Möglichkeiten der Wandgestaltung reflektiert, der wohl ältesten und einer bis heute effektiv genutzten Form öffentlicher Kommunikation. Im Sommersemester 2025 schließt daran eine Übung zur intermedialen Ästhetik des Plakats an: Von politischen Flugblättern der Frühen Neuzeit bis zu den massenhaft ausgehängten Werbe- oder Propagandaplakaten des 20. Jahrhunderts können so in Text-Bild-Kombination gezielt Botschaften in konzentrierter, pointierter Form präsentiert und große Flächen im öffentlichen Raum besetzt werden.
Kabinettausstellung "Medien—Design—Aktivismus"
Bereichsbibliothek der Philosophischen Fakultät, ab Dezember 2024

Vitrine 1: Kleidung
Kleidung als (wortwörtlich) nach außen getragene, in der Öffentlichkeit sichtbare Bedeckung des Körpers mag mal eher individuell, mal stark standardisiert und gar uniform erscheinen — und ist dabei doch immer ein Kommunikationsmedium, ein ›Statement‹: Der übergroße Hoodie, die löchrige Jeans oder die Sneakers mit auffälligem Markenaufdruck denotieren nicht nur eine gewisse Ästhetik, sondern können (von der Sporthose mit den drei Streifen bis zur Designertasche mit dem FF-Verschluss) gleichfalls den sozialen Status konnotieren.
Wenig überraschend ist daher auch Mode(design) aktivistisch: Die weit geschnittenen Kleider von Jean Patou (1887–1936) oder Elsa Schiaparelli (1890–1973) symbolisieren in den 1920er Jahren die ›Befreiung‹ des weiblichen Körpers von der ›Einschnürung‹ im Korsett als patriarchaler Normierung. Aber auch bereits zuvor wurde die Ablehnung von Rock und Kleid einer stattdessen Hosen-tragenden Frau als zutiefst emanzipatorische und damit politische Geste verstanden, und bis heute drücken bestimmte Farbkombinationen oder Anstecker eine dezidierte Gruppenzugehörigkeit und/oder Sympathie der (Zeichen-)Träger:innen aus.
Aus medienkulturwissenschaftlicher Perspektive lohnt ein genauerer Blick auf das semantische Verhältnis von vestimentalen Codes und Formen des Aktivismus — in unserem spezifischen Beispiel also dem europäischen (und hier auch eurozentrischen, bürgerlichen) Feminismus. Die ausgestellten Objekte reichen von der britischen Suffragetten-Bewegung des frühen 20. Jahrhunderts bis zur prêt-à-porter-Konfektion des Jahres 2017, überspannen somit einen Zeitraum von etwas mehr als einem Jahrhundert, und erzählen (trotz aller Unterschiede) von doch stets ähnlichen Konflikten und Protestformen.
Vitrine 3: Medienkultur
Unsere dritte Vitrine stellt sich abschließend die Frage, wie die künstlerische Praxis — also die mediale Produktion von Texten, Bildern und Artefakten — selbst aktivistisch sein und interdiskursiv in die Gesellschaft (ein-)wirken kann. Zeigten bereits die Aufnäher der britischen Suffragetten (→ Vitrine 1) oder das »Tampon Book« (→ Vitrine 2) beispielhaft das Potenzial von Design auf, etwa den Slogan einer Protestbewegung sichtbar in die Öffentlichkeit zu tragen oder eine »Steuerdiskriminierung« subversiv zu unterlaufen und damit zur kritischen Auseinandersetzung mit einer gesellschaftlichen Ungleichheit beizutragen, zeichnet sich eine solche art engagé vor allem durch Interventionen aus dem ›eigenen‹ künstlerischen Diskurs (Institutionskritik) und ver-mittels dessen genuinen Mitteln und spezifischen Ästhetiken aus.
So eignen sich Künstler:innen mal über Postkarten und Sticker die kanonisierten Bilder einer männlich dominierten Kunstgeschichte an oder — wie das feministische Kollektiv der »Guerrilla Girls« — evaluieren die Sammlungs- und Ausstellungspraxis von Museen durch kunstvoll gestaltete Plakate und Bücher. Einen spannungsreichen Zwischenstatus nehmen die Werbekampagnen der »Kodak Girls« ein: Ab dem frühen 20. Jahrhundert werden die handlicheren Photokameras spezifisch für Frauen beworben — kein »Gender Marketing« im eigentlichen Sinne (da sich die Modelle nicht spezifisch unterscheiden) als zumindest implizit die emanzipative Aufforderung zur weiblichen Partizipation an einem noch recht neuen Breitenmedium.
Vitrine 2: Alltagsobjekte
Mag wohl für die meisten Gegenstände des (all)täglichen Gebrauchs auf den ersten Blick das Prinzip form follows function gelten, scheint der Herstellungsaufwand für ein nur in der oberflächlichen Farbgestaltung ›anders‹ designtes Produkt so gravierend, dass etwa Einwegrasierer in Pink einen deutlich teuren Preis aufweisen.
Vielleicht aber handelt es sich dabei auch nur um »Gender-Marketing«, wo gerade bei Pflegeprodukten, die unnötigerweise gegendert werden — die es also trotz gleicher Inhaltsstoffe oder identischer Form in einer ›männlichen‹ und/oder ›neutralen‹ sowie einer ›weiblichen‹ Ausführung gibt —, nicht selten der Artikel für die Frau mehr kostet. So hat zuletzt beispielsweise das Medikament Buscopan Plus Pink des Pharmaherstellers »Sanofi« den Negativpreis »Goldener Zaunpfahl 2024« gewonnen: Für eine Tablette des krampflösenden Schmerzmittels muss — bei gleicher Wirkstoffzusammensetzung! — in der pinken Umverpackung umgerechnet 12 Cent und damit 17 Prozent mehr als in der ›normalen‹ (grünen) Schachtel bezahlt werden.
Die ausgewählten Objekte in unserer zweiten Vitrine erzählen aber ebenso von der subversiven Auflehnung durch innovative Designprojekte, indem das »Tampon Book« erst gegen die überhöhte Besteuerung von Monatshygieneprodukten protestierte und mit der Initiative zugleich eine Reform im Bundestag auslöste.
Und schließlich werfen Gegenstände, die sich dezidiert an geschlechtsspezifische Bedürfnisse richten, die Frage auf, inwiefern sie strukturelle Probleme sichtbar machen oder eher stereotype Rollenbilder verfestigen und so Ungleichheiten normieren. Denn selbst Kosmetik-, Menstruations- oder Sicherheitsprodukte befinden sich (etwa in der Farbwahl, den impliziten Rollenbildern etc.) an der Schnittstelle zwischen »Gender-Marketing« einerseits und einer Diversifizierung der Warenwelt andererseits.
Diese Vitrine zeigt somit eine Vielfalt an Objekten, die mit Rollen und Erwartungen verbunden sind, und lädt dazu ein, alltägliche Gegenstände kritisch zu hinterfragen.
Weiterlesen: Links & Bücher
- »Visual Impact of Feminist Protest« (www.feministprotest.net): Webarchiv
- HfG Archiv und Museum Ulm (Hrsg.): Nicht mein Ding: Gender im Design. Not My Thing: Gender in Design. Stuttgart 2020.
- Uta Brandes et al.: »Die Gender-Macht der Objekte.« In: Dies. (Hrsg.): Gender Design. Streifzüge zwischen Theorie und Empirie. Berlin 2017, S. 257–315.
- Claire Pajaczkowska: »Issues in Feminist Design.« In: Fiona Carson und Dies. (Hrsg.): Feminist Visual Culture. New York 2001, S. 123–128.
- Helena Reckitt (Hrsg.): The Art of Feminism. Images that Shaped the Fight for Equality. London 2018.
- Linsey Young (Hrsg.): Women in Revolt! Art and Activism in the UK, 1970–90. London 2023.
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»Medien—Design—Aktivismus« ist ein Ausstellungsprojekt im Rahmen des HoK-Kernfachs »Medienkulturwissenschaft«
Konzept und Texte: Georgia Hanna Löw, Nadja Nesarajah, Jonas Nesselhauf
Gesprächsrunde zur Eröffnung der Kabinettausstellung
Montag, 3. Februar 2025 ab 18:00 Uhr
Zur Eröffnung der Kabinettausstellung »Medien—Design—Aktivismus« thematisiert eine Gesprächsrunde die gesellschaftliche Bedeutung von Design als Mittel des kulturellen und politischen Ausdrucks.
Interessierte sind herzlich eingeladen für Kurzvorträge, Diskussionen und Umtrunk mit
- Luka Ahrens, Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle an der Saale und Initiatorin des Projekts »Visual Impact of Feminist Protest«
- Petra Stein, FrauenGenderBibliothek Saar
- Dr.in Sybille Jung, Gleichstellungsbeauftragte der Universität des Saarlandes
Isa Hitzelberger, Referat für Frauen & Gleichstellung des AStA der Universität des Saarlandes
Moderation: Georgia Hanna Löw & Nadja Nesarajah
Projektseminar "Medien der Wandgestaltung"
Wintersemester 2024/25
Wände bestimmen unseren Alltag. Doch selten machen wir uns Gedanken, wie und warum sie so ausgeführt wurden wie sie sind — sei es die architektonische Gestaltung der Kirchenfassade, die Leuchtreklame im Stadtraum oder der Kunst am Bau auf unserem Campus. Doch worin liegen die besonderen Vorzüge unterschiedlicher Medien künstlerischer Wandgestaltungen? Welche Faktoren werden einbezogen, möchte man eine Werbung an einer Hauswand anbringen? Für welche Botschaften eignet sich welches Verfahren?
Diese Übung widmet sich im Wintersemester 2024/25 unterschiedlichen Motivationen, Techniken und Praktiken der Wandgestaltung und stellt dabei ihre potenzielle Funktion als Kommunikationsmedien in den Fokus stellen. Neben der Klärung theoretischer Grundlagen, werden wir dabei durch verschiedene Ausstellungs-, Atelier- und Werkstattbesuche die praktischen Bedingungen von Wandgestaltungen besser kennenlernen.
So etwa auch in einem Graffiti-Workshop am 16. November 2024: An der Saarbrücker Ostspange zeigten uns Ivo und Eugen von DripDropArt (https://drip-drop-art.de) nicht nur die grundlegenden Techniken, sondern boten uns auch kreativen Freiraum zum Ausprobieren. Und beim anschließenden gemeinsamen Gang zu den Werken in der Innenstadt hatte sich unser analytischer Blick schon deutlich gewandelt: Wie von selbst kommen Fragen der Produktion und Technik in den Sinn, ist man einmal praktisch damit in Berührung gekommen.
- Dozentin: Nora Benterbusch M.A.
- B3.2, Raum 1.07
- Mittwochs, 16–18 Uhr

Hauptseminar "Avantgarden und Manifeste"
Sommersemester 2024, BA "Historisch orientierte Kulturwissenschaft"
Mit dem (aus dem militärischen Diskurs stammenden) Begriff der »Avantgarde« — als ›Vorhut‹ und ›Pioniertrupp‹ — werden Vorreiter:innen und deren Entwicklung neuer, innovativer Ästhetiken und experimenteller Schreibverfahren gefasst: Bezogen vor allem auf einige ›Ismen‹ des späten 19. Jahrhunderts, auf die Historischen Avantgarden von Futurismus, Dada und Surrealismus sowie auf Post- und Neo-Avantgarden nach 1945, ergeben sich dort nicht selten spannende Verbindungen von Theorie und Praxis als auch von historischem Bewusstsein, gegenwartskritischer Gesellschaftsanalyse und systemverändernder Zukunftsorientierung. Das angestrebte Ideal einer Vermischung von Stilen und Gattungen, Medien und Materialien, generell auch ›Kunst‹ und ›Leben‹ wird dabei häufig über die paradigmatische Textsorte des Manifests proklamiert, um dann in den mehr oder weniger stark institutionalisierten Strömungen umgesetzt zu werden.
Entsprechend interessiert sich dieses Hauptseminar für jene beiden Aspekte, möchte zunächst Vorläuferphänomene des ›Manifestismus‹ ausmachen (etwa: »Hessischer Landbote«, 1834; »Manifest der Kommunistischen Partei«, 1848) und nach der gegenwärtigen Aktualität als gesellschaftliche wie bildkünstlerische/filmische/literarische/musikalische (bspw. »Dogma 95«, 1995; »Puzzy Power Manifesto«, 1998; »Comic Manifest«, 2013) Programmatik fragen und in einem zweiten Teil den davon ausgehenden ›Avantgardismus‹ medienvergleichend betrachten.