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Zeitzeugnis Sigrid Albert (geb. 1952)
Ich bin 1986 nach Saarbrücken gekommen, weil es hier eine hochinteressante und außergewöhnliche Einrichtung gab, nämlich die Arbeitsstelle Neulatein. Sie verfolgte den Ansatz, das Lateinische als lebendige Sprache zu begreifen, es für die Gegenwart zugänglich zu machen und zum Zweck der internationalen Verständigung zu nutzen – das fand ich damals und finde es bis heute ungeheuer spannend und jede Mühe lohnend.
Die Arbeitsstelle war der Professur für Vergleichende Kultur- und Gesellschaftswissenschaft Europas in der Soziologie zugeordnet; deren Inhaber war Christian Helfer: promovierter Jurist, habilitierter Soziologe, leidenschaftlicher Latinist und Historiker. Interdisziplinarität war für ihn und uns kein Schlagwort, sondern gelebte Überzeugung.
Die Saarbrücker Soziologie war damals noch ein ansehnliches Fach mit fünf Lehrstühlen. In der Folgezeit wurde ich dann Zeugin ihres Niedergangs bis zur völligen Abschaffung. Wir haben viel versucht, um uns zu wehren, haben neue Konzepte entwickelt, etwa für einen gemeinsamen Studiengang mit der Informationswissenschaft. Aber die Universitätsleitungen zeigten kein Interesse.
An der Nachfrage der Studierenden hat es nicht gelegen, die war immer hoch. Dass die Soziologie heute an der Saar-Uni wieder eingeführt wird, sogar mit einem europäischen Schwerpunkt, ähnlich wie ihn damals der Lehrstuhl Helfer hatte, ist erfreulich, kann einen aber auch zu ironischen Kommentaren animieren.
1993 wurde erstmals die Stelle einer Frauenbeauftragten – bald umbenannt in Gleichstellungsbeauftragte – an der Uni des Saarlandes eingerichtet. Die Vorarbeiten dazu hatten engagierte Akteurinnen der Uni schon seit Mitte der 80er Jahre geleistet, darunter Margitta Wendling, Marianne Schneider-Düker, Ilse Spangenberg und Eva D. Becker.
Viele von ihnen arbeiteten im Frauenbeirat mit, der als Beratungs- und Kommunikationsgremium fungierte. Die Stelle wurde ausgeschrieben, und nachdem mich Margret Wintermantel, die ja als Sozialpsychologin zunächst auch in der Soziologie beheimatet war, angesprochen hatte („Das können Sie!“), habe ich mich beworben und wurde vom Beirat gewählt.
Auch wenn das Amt der Frauenbeauftragten ein Novum darstellte, wurde ich in den zahlreichen Gremien positiv aufgenommen. Es kam mir wohl zugute, dass ich mich nicht als dogmatische Feministin verstand. Meine Aufgabe habe ich vor allem darin gesehen, die Belange der Frauen stärker ins Bewusstsein zu rücken, Frauen zu fördern und darauf zu achten, dass sie nicht ungerecht behandelt werden. Ohnehin konnte ich ja als Einzelne nicht in die ganze Breite der Uni wirken.
Unser Ziel war deshalb damals schon, Frauenbeauftragte für die jeweiligen Fakultäten oder Fachbereiche zu ernennen. Später ist das ja auch, wenigstens teilweise, gelungen. Ohne eine solche Unterstützung bedeutete das Amt für mich auf Dauer eine enorme Überlastung, zumal ich meine wissenschaftliche Arbeit weder aufgeben konnte noch wollte. Deshalb musste ich während meiner zweiten Amtszeit gesundheitsbedingt den Posten niederlegen.
Einen Etat hatten wir anfangs nicht, doch fand ich beim ‚Finanzminister‘ der Uni, Franz-Josef Heisel, immer ein offenes Ohr. Später wurde die Zuweisung eines eigenen Budgets erkämpft, das jedoch knapp bemessen war, so dass mir scheint, die Heiselsche Lösung sei zu diesem Zeitpunkt die bessere gewesen. Im Mittelpunkt meiner Amtszeit stand die Aufbauarbeit. Was meine Nachfolgerinnen von Susanne Kleinert bis Sybille Jung aus dem Amt gemacht haben und welche Präsenz die Gleichstellung der Frau heute an der Uni hat, ist in meinen Augen sehr beachtlich und anerkennenswert.
Anmerkungen
Der Text basiert auf einem Erinnerungs-Interview, das im Dezember 2022 geführt wurde.