Kunst

Justitia und Hermes

Die beiden Bronzeplastiken „Justitia“ und „Hermes“ des saarländischen Künstlers Max Mertz wurden 1963 für den Neubau der Rechts- und Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät (seinerzeit Gebäude 16, heute B4 1) geschaffen. In paralleler Aufstellung sind sie im inneren Lichthof des Riesenbaus platziert, beidseits des darin eingeschobenen Auditorium Maximum: auf der rechten Seite, vom Eingangsfoyer her gesehen, der „Hermes“, links die „Justitia“. Die Namen, auf kleinen Etiketten zu lesen, geben Hinweise auf die sinnbildliche Bedeutung der Plastiken: Justitia, die Gerechtigkeit, steht naheliegenderweise für die Rechtswissenschaft, Hermes, lateinisch Mercurius, der antike Schutzgott der Kaufleute, für die Wirtschaftswissenschaft. Damit sind die beiden Abteilungen, die über Jahrzehnte (von 1950 bis 2016) in zeitweise fruchtbarer Zusammenarbeit, zeitweise aber auch strikter Abgrenzung gemeinsam die Rechts- und Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät bildeten, in den Skulpturen dargestellt, und zwar in einer künstlerischen Weise, in der sowohl Verbundenheit als auch Trennung zum Ausdruck kommen.1

Beide Plastiken sind in derselben, abstrakten Formensprache gehalten, gewissermaßen als „Variationen ihrer selbst“, mit geschwungenen Bögen, die wirkungsvoll mit der Gradlinigkeit der umgebenden Architektur kontrastieren. Jeweils etwa drei mal vier Meter groß, werden beide durch bronzene Bänder gebildet, die sich um eine mittig aus dem Boden ragende Achse schleifenartig herumwinden. Die Bronzen wirken raumgreifend und werden durch die dahinterliegenden Betonreliefs von Helmut Kreutzer auf den Wänden des Audimax noch akzentuiert.2

 

Wer die Titel der Kunstwerke kennt, kann in assoziativer Betrachtung ihren Formen einen gewissen konkreten Sinn abgewinnen. So kann in dem horizontalen, leicht geneigten Querband mit den außen angedeuteten Kreisformen eine Waage mit zwei Waagschalen gesehen werden, das traditionelle Attribut der abwägenden Justitia. Und in ähnlicher Weise lässt sich, freilich unter Voraussetzung einer gewissen kunsthistorischen Vorbildung, in den verschlungenen Bändern der zweiten Figur eine Andeutung der beiden Schlangen erkennen, die in der klassischen Ikonographie den Stab des Hermes umwinden und damit den „Caduceus“, das Erkennungszeichen des Götterboten darstellen. Beide Plastiken verzichten aber demonstrativ darauf, die Personen darzustellen, deren Namen sie als Titel tragen.

Der Hermes der Mythologie ist, im Unterschied zur inhaltlich recht eindeutig definierten Göttin der Gerechtigkeit, eine schillernde Gestalt. Neben seinem Patronat für die Kaufleute gilt er auch als Gott der Reisenden, der Hirten und nicht zuletzt der Diebe – was ein spezielles Licht auf sein Verhältnis zu der die Justiz verkörpernden Schwesterfigur wirft.

Darüber hinaus ist Hermes vor allem der Überbringer göttlicher Nachrichten und, da diese inhaltlich gedeutet und verstanden werden müssen, Namensgeber für die grundlegende wissenschaftliche Methode des Verstehens, Auslegens, Vermittelns von Texten, der Hermeneutik, der nicht zuletzt in der Rechtswissenschaft eine entscheidende Rolle zukommt. In den beiden formal so ähnlichen, doch kontrastiv voneinander getrennten Plastiken scheint so ein Spannungsfeld auf, das zur Reflexion über die Beziehung zwischen Recht und Wirtschaft und zwischen den ihnen gewidmeten Wissenschaftsdisziplinen anregen kann.

Ute E. Flieger / Thilo Offergeld

 

Anmerkungen

  1. Keazor, Justitia; Wagner, Wissenschaft, S. 25.
  2. SZ, 7.9.2022.