Fokus
Eine Kaserne wird zur Universität
Als 1948 der Entschluss zur Gründung der Universität und ihrer Ansiedlung in Saarbrücken gefasst wurde, stellte sich angesichts der Wohnungsnot und der weithin noch in Trümmern liegenden Stadt die Frage der räumlichen Unterbringung – die allerdings schnell beantwortet war: Die Uni sollte in den leerstehenden Gebäuden der ehemaligen Below-Kaserne Platz finden. Der Gedanke, eine Hochschule in einer Truppenunterkunft anzusiedeln, war in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg zweifellos weniger ungewöhnlich, als er sich aus heutiger Sicht ausnimmt. Viele der Studenten waren Kriegsheimkehrer, trugen Kleider aus Uniformresten, und angesichts der täglichen Not war die Wiederverwertung und Umnutzung militärischer Ressourcen gängige Praxis.
Die Kaserne, die den Bombenkrieg mit verhältnismäßig geringen Schäden überstanden hatte, stand 1948 als eine vergleichsweise neue und moderne Anlage da. Benannt nach dem preußischen Infanteriegeneral Fritz von Below (1853–1918), der während des Ersten Weltkriegs ein in Saarbrücken stationiertes Armeekorps kommandiert hatte, war sie im Zuge der Aufrüstungspolitik des nationalsozialistischen Regimes 1937/38, also bald nach der Rückgliederung des Saargebiets ins Deutsche Reich, errichtet worden. Nach nur vierzehn Monaten waren die Bauarbeiten abgeschlossen, und die zeitgenössische Presse feierte nicht nur die Neuerrichtung einer deutschen Truppenunterkunft an der Saar nach langjähriger französischer Besetzung, sondern auch deren technische Errungenschaften: Zentralheizung, moderne Wasch- und Baderäume mit Warmwasserversorgung, hochleistungsfähige Dampf-Küchenkessel und Elektroherde ermöglichten den Soldaten bislang ungekannten Komfort. Mit feierlichem Gepränge wurde die neue Kaserne am „Tag der Wehrmacht“, dem 27. November 1938, durch das neu gegründete Maschinengewehr-Bataillon 14 bezogen.1
Anders als die bisherigen Saarbrücker Kasernen war die neue Soldatenunterkunft weit außerhalb, mitten im St. Johanner Stadtwald, angelegt worden – wie die zeitgenössischen Bilder zeigen, reichte der Wald damals bis dicht an die Kasernenmauer. Die Gebäude sind fast sämtlich noch erhalten; sie stehen inzwischen als Ensemble unter Denkmalschutz und bilden bis heute den unverwechselbaren architektonischen Kernbestand des Universitätscampus, weshalb sich eine nähere Betrachtung auch der baulichen Aspekte lohnt.2
Nur ein Jahr nach dem Bezug der Below-Kaserne entfesselte das nationalsozialistische Regime den Zweiten Weltkrieg, der bald mit dem Bombenkrieg und seit 1944/45 mit dem Vordringen der alliierten Truppen auf Deutschland und auch Saarbrücken zurückschlug. Bei Bauarbeiten auf dem Campus wurden beträchtliche Mengen an Waffen und Munition sowie Reste von Verteidigungsstellungen gefunden, die nahelegen, dass im Umfeld der Kaserne Vorbereitungen für Abwehrkämpfe gegen die vorrückenden alliierten Truppen getroffen worden waren. Auf den dreigeschossigen Mannschaftsgebäuden waren Flakstellungen in den Dachstühlen errichtet worden, aus denen auf anfliegende Bomber geschossen werden konnte. Bis heute ist bei allen auf dem Campus stattfindenden Erdarbeiten mit gefährlichen Funden von Blindgängern und Munitionsresten zu rechnen.3
Als die amerikanischen Truppen im März 1945 nach Saarbrücken einrückten, nahmen sie auch die Below-Kaserne in Besitz und ließen hier sehr bald durch die Nothilfe- und Wiederaufbauorganisation der Vereinten Nationen (UNRRA) ein Lager für sogenannte „displaced persons“ einrichten: Ehemalige Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene, von den Nationalsozialisten aus ganz Europa verschleppt, sollten hier gesammelt und möglichst bald in ihre Heimatländer zurückgeführt werden. Insgesamt wurden etwa 7.500 „DPs“, vorwiegend sowjetischer, polnischer und jugoslawischer Herkunft, in der Kaserne untergebracht. Bald brachen Fleckfieber und Typhus aus, die unter den ausgezehrten und lange Zeit unterernährten Menschen zahlreiche Todesopfer forderten. Ende Mai verließen dann die meisten der sowjetrussischen Zwangsarbeiter mit einem Sondertransport unter Bewachung der Roten Armee Saarbrücken Richtung Osten.4
Im Juli 1945 übernahm Frankreich von den Amerikanern die Kontrolle der Saarregion, und die Below-Kaserne kam zunächst in militärische Nutzung. Sie beherbergte nun französische Truppen und erhielt den Namen „Caserne Verdun“ – auch mit dieser Bezeichnung wurde also, ebenso wie mit der deutschen, der Rückbezug zur deutsch-französischen Konfrontation im Ersten Weltkrieg gesucht. Unter anderem waren Soldaten aus dem französischen Kolonialgebiet Marokko hier stationiert, wie aus dieser Zeit erhaltene Reste der Innenraumgestaltung belegen. Allerdings verlegten die Franzosen ihre Truppen bald in andere Quartiere, so dass danach die Gebäude leer standen und sich 1948, als für die zu gründende Universität nach einer Alternative zu Homburg gesucht wurde, als geeigneter Standort anboten.5
So bedurfte es nur der Beseitigung verbliebener Bombenschäden und einiger eher behelfsmäßiger Umbauten, um in den Kasernenbauten Platz zu bieten für die – zeittypisch bescheidenen – Ansprüche der ersten ▶ im November 1948 einziehenden Universitätsinstitute. Aus einem Ort der Waffen wurde damit ein Ort der Wissenschaften, übrigens ohne dass diese Umnutzung von den Zeitgenossen besonderer Erwähnung für wert befunden worden wäre. In den zahlreichen studentischen Erinnerungsberichten aus den Anfangsjahren der Universität finden sich dafür jedenfalls keine Anzeichen. Auch seitens der französischen Verantwortlichen wurde die Thematik nicht eigens hervorgehoben, dabei passte gerade die Verwendung einer militärischen Einrichtung für nunmehr friedliche, kulturelle Zwecke natürlich hervorragend in das französische Konzept der „Entpreußung“ des Saarlands, der „déprussianisation administrative et culturelle“.6
Bemerkenswert ist außerdem, wie sehr die geschlossene Struktur der Kasernenanlage auch in den folgenden Jahren und Jahrzehnten prägend blieb für die bauliche Entwicklung des Universitätsgeländes – ein Umstand, der in anderen Fällen akademischer Kasernennutzung, etwa in Mainz und in Lüneburg, in ähnlicher Weise zu beobachten ist. Der ehemalige Exerzierplatz, zunächst als Sportplatz genutzt, wandelte sich zur zentralen Campus-Wiese, die als Treffpunkt und Kommunikationsort bis heute eine Herzkammer der Universität darstellt, und die militärischen Mannschafts- und Wirtschaftsgebäude nahmen, gemeinsam mit den Erweiterungen der Folgejahre, den Charakter eines „academical village“ an. Seither prägt statt Kasernendrill und Kommandoton das lebendige Stimmengewirr akademischer Vielfältigkeit den Platz und die Gebäude – die aus der Not geborene Umnutzung wurde eine wahrlich wirkungsvolle „symbolische Umformulierung eines Ortes“.7
Thilo Offergeld
- Paquet, Ab ovo (Zitate S. 65 u. 75); Klein, Erinnerungen.
- SZ, 27.11.1938; Saarbrücker Landes-Zeitung, 26.11.1938; Müller, Erinnerungskultur, S. 235
- Ostermann, Denkmalensemble, S. 11.
- Dank für fachkundige Informationen an Dominikus Tiator, Dezernat Campusentwicklung und Baumanagement UdS.
- Lemmes, Zwangsarbeit, S. 271–275.
- Video: Von Homburg nach Europa, 10:06–10:46 Min.; Leerstand: Paquet, Ab ovo, S. 91.
- Thomas, Kaserne, S. 216f., Hudemann, Kulturpolitik, S. 19–24.