„Vor 140 Jahren, im November 1884, wurde in Berlin die so genannte Kongo-Konferenz eröffnet, auf der die europäischen Imperialmächte die Aufteilung des afrikanischen Kontinents vorbereitet haben. Mit dem ‚Museum of Memorability‘ reflektieren wir daher eine Beziehungsgeschichte, die kolonial und rassistisch geprägt ist. Wir befassen uns dabei mit Vorstellungen, die der kulturellen Bedeutung des heterogenen Gesellschafts- und Kulturraums des afrikanischen Kontinents bis in unsere Gegenwart nicht gerecht geworden sind. Die Kunst afrikanischer Gegenwart, die die Völklinger Hütte weiträumig bespielt, spricht dann für sich“, sagt Markus Messling, Professor für Romanische und Allgemeine Literatur- und Kulturwissenschaft. Er leitet gemeinsam mit Christiane Solte-Gresser, Professorin für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft, das Käte Hamburger Kolleg CURE an der Universität des Saarlandes.
Beide haben mit ihrem Team und den Gastwissenschaftlern, die bereits während der Aufbauphase des Kollegs im Saarland forschen konnten, an der Konzeption der Ausstellung mitgewirkt. Gemeinsam mit Dr. Ralf Beil, dem Generaldirektor des UNESCO-Weltkulturerbes Völklinger Hütte, geben Markus Messling und Christiane Solte-Gresser auch den reich bebilderten Ausstellungskatalog heraus, der gegen Jahresende erhältlich sein wird (siehe hierzu auch die Pressemitteilung der Völklinger Hütte). Zum Katalog haben zahlreiche Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des KHK-Netzwerks beigetragen, etwa Elara Bertho, Forscherin des Instituts „Les Afriques dans le Monde“ in Bordeaux und eine der ersten Fellows am Saarbrücker Käte Hamburger Kolleg, sowie Souleymane Bachir Diagne, Professor an der Columbia University in New York und Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats. Diagne, einer der großen afrikanischen Denker unserer Zeit, wird zudem die Eröffnungsrede am 8. November in der Völklinger Hütte halten.
Die in London lebende Franko-Algerierin Zineb Sedira hat auf der 59. Kunstbiennale in Venedig den Französischen Pavillon in den Giardini bespielt. Géraldine Tobe Mutamande aus Kinshasa hatte unlängst eine Ausstellung im belgischen Africa Museum Tervuren. Wie die in Berlin lebende Namibierin Memory Biwa zeigen sie ihre Installationen und Gemälde, etwa „Ozerandu“, „Vue de l’au-delà“ und „Standing Here Wondering Which Way to Go“, die sie auf Einladung des Käte Hamburger Kollegs im Rahmen eines Aufenthaltes als „Artists in Residence“ in der Hütte erarbeiten oder neu gestalten konnten. „Wir wollen damit die vielfältige Kultur Afrikas sichtbar machen, deren Wahrnehmung nach wie vor durch die koloniale Vergangenheit Europas und ihre immer noch nachwirkenden Denkmuster geprägt ist. Selten wurde afrikanische Gegenwartskunst wohl so umfassend gewürdigt und einer breiten Öffentlichkeit präsentiert“, sagt Christiane Solte-Gresser. Auch andere Künstlerinnen und Künstler wie der in Berlin lebende nigerianische Künstler Emeka Ogboh, die Kongo Astronauts oder Kaloki Niamay aus Nairobi wurden auf Empfehlung des Käte Hamburger Kollegs in die Ausstellung eingeladen.
Die Gastwissenschaftlerinnen und -wissenschaftler der Aufbauphase des Käte Hamburger Kollegs CURE haben sich unter anderem mit Reparationsfragen in Ländern wie Namibia, der Demokratischen Republik Kongo, Guinea und Hongkong sowie mit Problemen der Restitution von Büchern als Kriegsbeute in Europa beschäftigt. Die zwölf Fellows, die seit Anfang Oktober für ein Jahr am Kolleg tätig sind, stammen unter anderem aus dem Iran und dem Libanon, aus Uganda und Haiti, Mexiko und den USA, Bosnien und Deutschland. „Ihre Projekte befassen sich mit vielfältigen Themen wie Riten der Befriedung in Uganda, der Darstellung verletzter Rechtsgefühle in der Literatur oder der Neugestaltung von Lebensformen im ökologisch durch die Golfkriege verwüsteten Grenzraum zwischen Iran und Irak. Darüber hinaus werden Fragen danach aufgeworfen, wie sich die kulturellen Kriegsschäden in der Ukraine greifen lassen oder wie ein Leben in Ruanda nach dem Völkermord möglich ist, dessen Hintergründe noch immer gerichtlich geklärt werden“, erklärt Markus Messling.
Ausgangspunkt der Forschung von Fellows und Team ist der Blick auf die vielen Verletzungen und Beschädigungen in der Welt, die nicht mehr rückgängig gemacht werden können, etwa die Zerstörung von Kulturgütern in kolonisierten Gebieten, Kriegstraumata oder die Folgen des Klimawandels. „Aus der Unwiderruflichkeit der Verletzungen entsteht die Frage, ob und wie aus der Erfahrung einer von Gewalt, Unrecht und Zerstörung geprägten Vergangenheit eine gemeinsame Zukunft geschaffen werden kann und welche Rolle die Kultur dabei spielt“, sagt Christiane Solte-Gresser. Die Gestaltung dieser Zukunft sei auf kulturelle Praktiken der Reparation angewiesen. „Gemeint sind damit kulturelle Auseinandersetzungen mit Beschädigungen, die nicht vergessen, dass Reparation Verletzungen nicht vollständig heilen kann, sondern dass Spuren der Zerstörung bleiben“, ergänzt die Literaturwissenschaftlerin. Dazu gehörten mündliches und schriftliches Erzählen, (Sprach-)Rituale, aber auch die Musik, bildende Kunst und Lyrik sowie Geschichtsschreibung, Filme, Theater oder Ausstellungen.
Hintergrund: Käte Hamburger Kolleg CURE
Das Käte Hamburger Kolleg für kulturelle Praktiken der Reparation (CURE) ist ein geisteswissenschaftliches Leuchtturmprojekt der Universität des Saarlandes. Kern des Kollegs ist die kulturwissenschaftliche Spitzenforschung zur Reparationsproblematik. Die Forscherinnen und Forscher widmen sich den kulturellen Praktiken der Reparation und fragen, wie kulturelle Reparationsprozesse Weltwahrnehmung, Selbstentwürfe und Lebensformen für die Zukunft verändern. Kunst und Kultur spielen hierbei die zentrale Rolle, die das Kolleg über „Artists in Residence“ auch in die Forschung einbindet. Das Kolleg wurde von Markus Messling und Christiane Solte-Gresser eingeworben und wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung für zunächst vier Jahre mit rund neun Millionen Euro gefördert. Eine Verlängerung auf bis zu zwölf Jahre ist möglich, womit rund 25 Millionen Euro Fördergelder ins Saarland fließen würden. Jedes Jahr erhalten zwölf Gastwissenschaftlerinnen und Gastwissenschaftler, sogenannte Fellows, sowie eine Künstlerin oder ein Künstler die Gelegenheit, in Saarbrücken zu forschen und zu leben.
Weitere Informationen:
Webseite der Ausstellung “The True Size of Africa”: https://voelklinger-huette.org/de/ausstellungen/-/the-true-size-of-africa/586
Webseite des Käte Hamburger Kollegs CURE mit öffentlichen Vorträgen der Fellows („Käte Hamburger Lectures“): www.cure.uni-saarland.de