Zwischen Sinn und Präsenz

Evidentialisierung und juristische Vertextungsmuster in frühneuhochdeutschen Prosaromanen

Dr. Stephanie Mühlenfeld

Wie wird in frühneuhochdeutschen Prosaromanen von Recht und Gerechtigkeit erzählt? Lassen sich innerhalb der fiktionalen Erzähltexte spezifisch juristische Vertextungsmuster erkennen, auf die durch Evidentialisierungen – also durch Detaillierung und Verlebendigung – implizit aufmerksam gemacht wird? Und inwiefern tragen diese Evidentialisierungen dazu bei, dass die Romane zu einem narrativen Experimentierfeld für die Anwendung und Ausgestaltung von Gesetzen sowie für die Ausübung des Ermessens (im juristischen Sinn) avancieren? Diesen Fragen wird innerhalb des Habilitationsprojekts anhand des Prosa-Lancelot-Gral-Zyklus sowie verschiedener Textzeugen der Melusine Thürings von Ringoltingen und des Fortunatus nachgegangen. Die Methode, die dabei zur Anwendung gelangt, stellt eine Kombination aus Erzähltheorie im Genette’schen Sinn und den jüngeren medienwissenschaftlichen Theorien Ludwig Jägers dar. Prämisse ist die Annahme einer poetischen Gerechtigkeit, die als zeitgenössischer Wertehorizont zu begreifen ist, welcher „die histoire-Phänomene im Sinne des Gerechtigkeitsempfindens seiner Zeit steuert“ (Bloh 2011:48). Diese Steuerung findet auf der Ebene des discours statt. Mit der narratologischen Analyse der Momente von epistemischer und diskursiver Evidenz (Jäger 2006:45f.) ist daher die Hoffnung verbunden, einen essentiellen Beitrag zur Beschreibbarkeit der poetischen Gerechtigkeit innerhalb der Romane zu leisten. Das narratologische Erkenntnisinteresse ist gepaart mit einem kulturwissenschaftlichen, denn stets wird mitreflektiert, welche Rechtsnormen in der Erzählung gerade überschritten bzw. restituiert werden und wie dies sowohl (performativ)-sprachlich als auch bildhaft zum Ausdruck kommt. Die Untersuchung verspricht mithin einen Erkenntnisgewinn in Bezug auf die Frage, wie sich Kultur in den Prosawerken selbst inszeniert. 

Literatur:

Bloh, Ute von: Keine Konzessionen? Recht und Gerechtigkeit im Epos Loher und Maller. In: Zeitschrift für Literaturwissenschaft und Linguistik, Heft 163: Recht und Literatur (2011), S. 42–65.

Jäger, Ludwig: Schauplätze der Evidenz: Evidenzverfahren und kulturelle Semantik. Eine Skizze. In: Die Listen der Evidenz. Hrsg. von Michael Cuntz. Barbara Nitsche, Isabell Otto und Marc Spaniol. Köln 2006 (= Mediologie Bd. 15), S. 37–52.