Guck-Hin-Studie

Was untersuchen wir?

Die gegenwärtige Generation Jugendlicher steht vor schwerwiegenden Herausforderungen: Ein zentrales Problem stellt die Bewältigung des Klimawandels dar, insbesondere, da sich das Zeitfenster für effektives Handelns allmählich schließt. Mit der Covid-19-Pandemie kam im Frühjahr 2020 eine gänzlich unerwartete Herausforderung hinzu, welche zu einer massiven Erschütterung des Kontrollerlebens führte und tiefgreifenden Veränderungen des Alltags mit sich brachte. Dadurch waren wichtige altersgerechte Entwicklungsschritte (z.B. soziale Integration, Abnabelung vom Elternhaus) beeinträchtigt. Der Beginn des Ukrainekrieges im Februar 2022 markiert ein weiteres schwerwiegendes Ereignis. Neben Entsetzen und Betroffenheit, ausgelöst durch mediale Bilder menschlichen Leidens, besteht seit Ende des Kalten Krieges erstmals Sorge vor einem Kriegsausbruch in Deutschland und vor einer globalen Bedrohung durch Atomwaffen. Die Bewältigung dieser Herausforderungen trifft die Jugendlichen in einer besonders vulnerablen Lebensphase für die Entwicklung psychischer Erkrankungen. Epidemiologische Studien zeigen, dass die Neuerkrankungsrate psychischer Störungen im Alter von 10 bis 14 Jahren gegenüber der restlichen Lebensspanne deutlich erhöht ist und mit 14.5 Jahren ihr absolutes Maximum erreicht (Solmi et al., 2021). Erklären lässt sich diese erhöhte Vulnerabilität durch das Zusammenspiel von der Transition ins Erwachsenenalter, die mit verschiedenen Entwicklungsaufgaben einhergeht, und dem Auftreten alterstypischer psychosozialer Stressoren wie z.B. Mobbing oder Schulwechsel (Stroud et al., 2009).

Auch auf gesamtgesellschaftlicher Ebene können sich die gegenwärtigen Herausforderungen und Belastungen manifestieren. So zeigte eine Studie, dass depressive Jugendliche weniger Interesse an Politik haben und Depression im Jugendalter die Wahlbeteiligung im jungen Erwachsenenalter negativ voraussagt (Ojeda, 2015). Entsprechend wäre es denkbar, dass die Belastung in Folge der gegenwärtigen Herausforderungen, über die Zunahme psychischer Störungen, zu einer reduzierten politischen und gesellschaftlichen Teilhabe der Jugendlichen führt. Gleichzeitig zeigt sich im Kontext der genannten Herausforderungen eine als reduziert wahrgenommene Berücksichtigung der Perspektive der jungen Generation. In Bezug auf die Priorisierung von Klimazielen empfinden Jugendliche und junge Menschen ihre Perspektive nicht ausreichend berücksichtigt (Andresen et al., 2020). Diese als reduziert wahrgenommene Berücksichtigung der Perspektive der Jugendlichen könnte in weiterer Folge zu einem Rückgang realer Teilhabe führen. Dies ist besonders problematisch, da eine geringe Teilhabe der jungen Generation die Bewältigung der genannten Herausforderung beeinträchtigen oder gänzlich verhindern könnte.

Neben der Untersuchung der dargestellten Zusammenhänge ist es äußerst relevant zu prüfen, wodurch diese zusätzlich beeinflusst werden. Die Untersuchung von Variablen, die den Zusammenhang zwischen den oben genannten Faktoren moderieren, erlaubt Rückschlüsse darauf, welche Faktoren beeinflusst werden müssen um die genannten Zusammenhänge zu reduzieren. Dadurch könnten Interventionen erarbeitet werden, die die politische und gesellschaftliche Teilhabe fördern. Vorbefunde zur Bewältigung von stressreichen und traumatischen Lebensereignissen legen nahe, dass insbesondere Selbstwirksamkeit und flexible Selbstregulation Faktoren sein könnten, die den Einfluss der gegenwärtigen Herausforderungen auf das Belastungsniveau und die psychische Symptomatik reduzieren können.

Wie untersuchen wir das?

Die Erhebung ist längsschnittlich angelegt, d.h. die erste Befragung fand zwischen Juni und Oktober 2022 statt. Die zweite Befragung fand zwischen Juni und Oktober 2023 statt und die dritte Befragung ist für den Zeitraum zwischen Juni und Oktober 2024 geplant. Im Sommer 2022 wurden die Schüler:innen der 7., 8. und 9. Klasse im Saarland u.a. hinsichtlich ihrer Belastung durch die oben genannten Herausforderungen (Covid-19, Ukrainekrieg, Klimawandel), ihrer psychischen Gesundheit, potenziellen Schutzfaktoren und ihrer politischen Teilhabe befragt. 2023 wurden dann die Klassenstufen 8 bis 10 befragt und 2024 sollen die Klassenstufen 9 bis 11 befragt werden. Die Beantwortung der Fragebögen findet in den Schulen während einer Schulstunde statt. Die Teilnahme ist selbstverständlich freiwillig, und alle personenbezogenen Daten werden vertraulich behandelt. Rückschlüsse auf einzelne Teilnehmende ist durch die Anonymisierung der Daten nicht möglich.

Vorläufige Ergebnisse

Im Sommer 2022 war es uns bereits möglich, etwa 4 000 saarländische Schüler:innen an 58 weiterführenden Schulen zu befragen. Die Ergebnisse bestätigten leider unsere Annahmen: Die saarländischen Jugendlichen sind deutlich belastet. 39.0 % berichteten von klinisch auffälligen Depressionssymptomen und 54.0 % zeigten klinisch auffällige generelle Angstsymptome. Die gesundheitsbezogene Lebensqualität war bei 29.9 % der 10- bis 14-Jährigen und sogar bei 42.3 % der 15- bis 18-Jährigen niedrig. Im Jahr 2023 nahmen etwa 3 500 Schüler:innen an 57 Schulen unser Befragungsangebot an (davon etwa 1 300 Schüler:innen im Längsschnitt). Im Vergleich zu 2022 nahm der Anteil der Schüler:innen, die klinisch auffällige Depressions- und Angstsymptome zeigten, um etwa 5 % zu, während die gesundheitsbezogene Lebensqualität unverändert (niedrig) blieb.

Außerdem konnte bereits 2022 gezeigt werden, dass neben den individuell belastenden Lebensereignissen auch die Belastungen durch die globalen Krisen einen Einfluss auf die psychische Gesundheit der Schüler.innen haben. Mit zunehmender Belastung durch den Klimawandel und die COVID-19-Pandemie stiegen auch die Depressions- und Angstsymptome, und die gesundheitsbezogene Lebensqualität der Schüler:innen sank. Eine stärker wahrgenommene Belastung durch den Ukrainekrieg führte zu mehr Angstsymptomen. Erfreulicherweise zeigte sich auch, dass die Selbstwirksamkeitsüberzeugungen der Jugendlichen einen Schutzfaktor darstellen. Schüler:innen mit hohen Selbstwirksamkeitsüberzeugungen berichteten von weniger Symptome. Diese Ergebnisse konnten auch 2023 im Längsschnitt bestätigt werden.

Bezüglich der politischen Partizipationsbereitschaft fanden wir, dass lediglich die Wut als emotionale Reaktion auf die Klimakrise und den Ukrainekrieg zu mehr politischer Partizipationsbereitschaft führte, jedoch nicht Traurigkeit oder Angst. Außerdem zeigten Mädchen und  Jugendlichen diversen Geschlechts grundsätzlich eine höhere Partizipationsbereitschaft als Jungen. Auch die Schulform machte einen Unterschied: Grundsätzlich zeigten Schüler:innen an Gymnasien die höchste politische Partizipationsbereitschaft. 

Informationen für Schüler:innen und Sorgeberechtigte

Artikel European Child & Adolescent Psychiatry

projekt-guckhin(at)uni-saarland.de