DFG-ANR-Projekt DesinEE
"Deindustrialisierung in Frankreich und Deutschland. Erfahrungen und Emotionen von den 1960er Jahren bis heute. The Unmaking of the Working Class?"
Die Deindustrialisierung stellt einen der grundlegendsten globalen Wandlungsprozesse unserer zeitgenössischen Gesellschaften dar. In Westeuropa mussten seit den 1960er Jahren „alte“ Industrien wie Kohlezechen, Stahlwerke, Textilfabriken oder Schiffswerften schließen. Mit dem damit zusammenhängenden Rückgang des industriellen Sektors war ein „sozialer Wandel von revolutionärer Qualität“ (Lutz Raphael) verbunden. Dieser war gekennzeichnet von Massenarbeitslosigkeit, der Zunahme sozialer Ungleichheiten sowie der Prekarität von Lebens- und Arbeitsverhältnissen. Entpolitisierung und der Aufstieg des Rechtsextremismus prägen seither viele von Deindustrialisierung betroffene Regionen.
Das internationale Verbundprojekt DesinEE unter der Leitung von Prof. Dr. Stefan Berger (Bochum), Prof. Dr. Emmanuel Droit (Strasbourg) und Prof. Dr. Fabian Lemmes (Saarbrücken), geht in fünf aufeinander abgestimmten Teilstudien in transnationaler Perspektive der Frage nach, wie sich die Deindustrialisierung in unterschiedlichen industriellen Räumen in Frankreich, West- und Ostdeutschland sowie Luxemburg auf die communautés ouvrières auswirkte. Dabei wird Deindustrialisierung als Ensemble lokalisierter ökonomischer, soziopolitischer und kultureller Erfahrungen untersucht, die sich in emotionalen Gemeinschaften von Arbeiter:innen von den frühen 1960er Jahren bis in die Gegenwart artikulieren. Während Mediendiskurse häufig von Niedergangsnarrativen, Nostalgie und mitunter Stigmatisierung geprägt sind, geht es uns darum, die Prozesse der Rekonfiguration sozialer und politischer Bindungen in ihrer ganzen Komplexität zu ergründen.
Drei übergreifende Leitfragen strukturieren das Projekt und dienen als Vergleichsdimensionen:
- Wie rekonfiguriert die Deindustrialisierung die Erfahrungen der betroffenen Arbeiter:innen und welche Emotionen erzeugt sie?
- Wie wirken sich die erzeugten Erfahrungen und Emotionen auf das Verhältnis der Arbeiter:innen zum Politischen – d.h. auf ihre Vorstellungen von der Welt, ideologische Präferenzen, politische Praktiken und Aktivismus – aus?
- Inwiefern haben die Erfahrungen der Deindustrialisierung und die mit ihr verbundenen Emotionen die sozialen Bindungen und Netzwerke der Soziabilität, die zuvor durch die Arbeitswelten strukturiert waren, rekonfiguriert oder gar zerstört?
Auf der Basis von Oral History sowie der Auswertung von schriftlichen und audiovisuellen Quellen werden diese Fragen mit der Methodik einer vergleichenden Mikrogeschichte bearbeitet. Wir untersuchen die sozialen, emotionalen und politischen Auswirkungen der Deindustrialisierung in insgesamt neun Kommunen in Deutschland, Frankreich und Luxemburg.
Um die Vielfalt der Deindustrialisierungserfahrungen zu erfassen, unterscheiden wir unterschiedliche sozialräumliche und industrielle Formationen:
(1) Typ des industriellen Raums
(2) Betroffene Branchen
(3) Geschlechterstruktur der betroffenen Belegschaften
Aktuelle Informationen finden Sie im carnet de recherche des laufenden Projekts.
Teilstudien
- La désindustrialisation en Alsace et dans la Lausitz ou le désamour politique – Raphaël Pernoud, Université de Strasbourg
- Lunéville et Zeitz ou la fin de la ville industrielle moyenne – Emmanuel Droit, Université de Strasbourg
- Erfahrungen der Deindustrialisierung in einer transnationalen Grenzregion: eine histoire croisée des Saar-Lor-Lux-Raums – Birgit Metzger, Universität des Saarlandes
- Das Ende der Solidarität? Eine vergleichende Lokalstudie zwischen Lens und Gelsenkirchen – Julia Wambach, Ruhr-Universität Bochum
- Begriffsgeschichtliche Grundlagen eines deutsch-französischen Vergleichs von Deindustrialisierungserfahrungen und den damit verbundenen Emotionen – Stefan Berger, Ruhr-Universität Bochum/Marion Fontaine, Sciences Po Paris
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