Projekt: Die Frühe Neuzeit der Moderne
Die Frühe Neuzeit der Moderne
Justus Nipperdey
Die Frühe Neuzeit ist eine junge Epoche. Als eigenständiges Forschungsgebiet entwickelte sie sich erst nach dem Zweiten Weltkrieg; zur Bezeichnung von Lehrstühlen, Zeitschriften oder Buchreihen setzte sich der Begriff erst seit den 1970er Jahren durch. In der Forschung galt bisher die Annahme, dass diese Chronologie allgemeingültig ist, wenn man von der andersartigen französisch-romanischen Periodisierung absieht.
Mein Projekt basiert auf einer gegenteiligen Erkenntnis: begriffshistorisch kann man zeigen, dass sich „early modern“ in den USA schon seit 1900 verbreitete und in der Zwischenkriegszeit zu einer eindeutigen Epochenbezeichnung wurde. In Großbritannien blieb der Begriff dagegen selten und unbestimmt. Ebenso wie in Deutschland setzte er sich tatsächlich erst nach dem Zweiten Weltkrieg durch.
Das Projekt erforscht diese unterschiedlichen Entwicklungen und fragt insbesondere nach ihren Ursachen. Ein entscheidender Faktor ist das Verhältnis von Früher Neuzeit und Moderne. Die Idee einer Frühen Neuzeit wurde immer in Abgrenzung zur Moderne konzipiert; selbst im Englischen, wo das modern prominent in der Bezeichnung verblieb, war mit early modern ursprünglich das nicht-moderne gemeint. Daher prägten die divergierenden Moderne-Vorstellungen in den jeweiligen Ländern und ihren geschichtswissenschaftlichen Traditionen den Zeitpunkt und die Einordnung der konstruierten Frühen Neuzeit. In den USA wurde Industrialisierung und Demokratie schon früh zu zentralen Merkmalen der Moderne erklärt, während in Deutschland die Staatsbildung und der Kapitalismus diese Position einnahmen. Daraus ergaben sich ganz unterschiedliche Vorstellungen davon, wann die Gegenwartsepoche eigentlich begann.
Daneben spielt auch die institutionelle Form von historischer Lehre und Forschung eine Rolle. Der im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts fest etablierte Container der Neuzeit prägte mehrere Generationen deutscher Historiker, zu deren Selbstverständnis es gehörte, die gesamte Epoche in der Lehre zu behandeln und in der Öffentlichkeit die Gegenwart aus der gesamten neuzeitlichen Geschichte heraus zu erklären. Die kleinteiligere Lehrorganisation in Großbritannien und den USA erlaubte eine frühere Spezialisierung, die in einem Folgeschritt inhaltlich gerechtfertigt werden musste.
Das Projekt verbindet somit neuere institutionelle und praxeologische Ansätze der Wissenschaftsforschung mit einer ideenhistorisch-hermeneutischen Herangehensweise. Es betont den Konstruktionscharakter der Epochenbildung, der aber zugleich nicht rein kontingent war, sondern in enger Verbindung zum Selbstverständnis der untersuchten Gesellschaften zwischen 1890 und 1960 stand. Die Herausbildung der Frühen Neuzeit im transnationalen Vergleich bildet eine Sonde zur vergleichenden Untersuchung von Geschichtskultur und Gegenwartsverständnis.
Ausgewählte Publikationen
Justus Nipperdey, Inventing “Early Modern” Europe: Fashioning a New Historical Period in American Historiography 1880–1945, in: Journal of Early Modern History 27 (2023), 199-223.
Justus Nipperdey, Der Frühen Neuzeit auf der Spur. Heterogene Blicke auf Gründungsgeschichte und Fachidentität, in: Frühneuzeit-Info 28 (2017), 8-24.