13.12.2024

Forscherteam entwickelt genetische Methode zur Produktion neuer Wirkstoffe in Bakterien

Petrischalen  mit "Flecken" von Pilzkulturen
© HIPS/FuKulturen unterschiedlicher Streptomyces-Stämme

Mikroorganismen können Naturstoffe produzieren, die als Wirkstoffe zur Behandlung von Krankheiten genutzt werden können. Die Baupläne für diese Moleküle finden sich in den Genen der Mikroben, doch unter Laborbedingungen bleiben sie häufig inaktiv. Ein Team des Helmholtz-Institutes für Pharmazeutische Forschung Saarland (HIPS) hat nun eine Methode entwickelt, die auf einem natürlichen bakteriellen Mechanismus zur Übertragung von Genmaterial basiert und die Produktion neuer Wirkstoffe ermöglicht.

Ihre Ergebnisse veröffentlichten die Forscherinnen und Forscher in der Fachzeitschrift „Science“.

Im Gegensatz zu Menschen verfügen Bakterien über die Fähigkeit, genetisches Material untereinander auszutauschen. Ein bekanntes Beispiel mit weitreichenden Folgen ist die Übertragung von Antibiotika-Resistenzgenen zwischen bakteriellen Krankheitserregern. Diese Weitergabe von Genen erlaubt es ihnen, sich schnell an unterschiedliche Umweltbedingungen anzupassen, und ist ein maßgeblicher Treiber der Ausbreitung von Antibiotikaresistenzen.

Forscherinnen und Forscher des HIPS und des Deutschen Zentrums für Infektionsforschung (DZIF) haben sich dieses natürliche Prinzip nun zunutze gemacht, um genetische Baupläne für neue bioaktive Naturstoffe aus Bakterien, sogenannte Biosynthese-Gencluster, zu vervielfältigen und zu isolieren. Die entwickelte Methode mit dem Namen „ACTIMOT“ ermöglicht es, die in den Genclustern codierten Naturstoffe entweder direkt im Wirtsbakterium zu produzieren, oder sie in besser geeignete mikrobielle Produktionsstämme zu übertragen, um dort die neuen Moleküle herzustellen.

ACTIMOT – kurz für „Advanced Cas9-mediaTed In vivo Mobilization and multiplication of BGCs“ – basiert auf der als „Genschere“ bekannt gewordenen CRISPR-Cas9-Technologie und erlaubt dementsprechend präzise Eingriffe in das Genmaterial von Bakterien. Da Biosynthese-Gencluster unter Laborbedingungen häufig nur wenig aktiv sind, werden sie mittels ACTIMOT aus dem Genom herausgelöst und in genetische Einheiten eingebracht, die vom Bakterium anschließend selbst vervielfacht werden. Alle diese Schritte werden durch denselben Mechanismus durchgeführt, der es Bakterien auch ermöglicht, Resistenzgene untereinander auszutauschen. Die Vervielfältigung der Gencluster auf sogenannten Plasmiden führt in vielen Fällen bereits dazu, dass die codierten Naturstoffe gebildet werden. Gelingt dies nicht, so können die gebildeten Plasmide für die Herstellung der Naturstoffe relativ einfach in einen besser geeigneten Produktionsstamm übertragen werden. Für beide Ansätze zeigen die Autoren in der vorliegenden Studie erfolgreiche Beispiele.

„Viele Biosynthesegencluster sind unter Laborbedingungen aus unterschiedlichen Gründen kaum aktiv. Dazu kommt, dass sich mit gängigen Methoden nur ein kleiner Teil der im Bakteriengenom codierten Naturstoffe adressieren lässt“, sagt Chengzhang Fu, Nachwuchsgruppenleiter am HIPS und Letztautor der Studie. „Unser Ansatz macht sich den natürlichen Gentransfer von Bakterien zunutze, um komplette Gencluster aus dem Genom zu lösen und in den Bakterien selbst zu vervielfältigen. So können wir das bislang versteckte Naturstoffpotenzial von Bakterien deutlich schneller und einfacher zugänglich machen als mit konventionellen Methoden.“

Dass ACTIMOT tatsächlich zu neuen Entdeckungen führen kann, konnte das Team bereits beweisen: Im Rahmen der Studie entdeckten die Forscher 39 neue Naturstoffe aus vier bislang unbekannten Naturstoffklassen. Diese Entdeckungen stimmen das Team zuversichtlich, dass sich durch ACTIMOT die Entdeckung neuer Wirkstoffkandidaten deutlich beschleunigen lässt. „Mikroorganismen bieten uns ein unglaubliches Potenzial für die Produktion neuer chemischer Strukturen, die wir unter anderem für die Entwicklung dringend benötigter Medikamente einsetzen können“, sagt Rolf Müller, Abteilungsleiter und Wissenschaftlicher Direktor des HIPS und Koordinator des Forschungsbereichs „Neue Antibiotika“ im DZIF, der ebenfalls in leitender Funktion an der Studie beteiligt ist. „Bislang bleiben uns große Teile dieses mikrobiellen Schatzes noch verborgen. ACTIMOT wird uns dabei helfen, das biosynthetische Potenzial von Bakterien weiter zu erschließen und damit die Entwicklung neuer Wirkstoffe deutlich vorantreiben.“

In der vorliegenden Studie wurde ACTIMOT an Bakterien der Gattung Streptomyces eingesetzt. Für nachfolgende Studien planen die Autoren der Studie allerdings bereits eine Ausweitung auf weitere bakterielle Spezies mit hohem Potenzial für die Produktion unbekannter Naturstoffe. Zusätzlich bietet ACTIMOT Anwendungsmöglichkeiten in vielen weiteren Bereichen wie der großtechnischen Produktion hochwertiger Naturstoffe, der Erforschung unbekannter Biosynthesewege und der Identifizierung von Ansatzpunkten für die Optimierung von Naturstoffen.

Originalpublikation:
Feng Xie†, Haowen Zhao†, Jiaqi Liu, Xiaoli Yang, Markus Neuber, Amay Ajaykumar Agrawal, Amninder Kaur, Jennifer Herrmann, Olga V. Kalinina, Xiaoyi Wei, Rolf Müller*, Chengzhang Fu*, Science 386, eabq7333 (2024). DOI: 10.1126/science.abq7333

Helmholtz-Institut für Pharmazeutische Forschung Saarland: www.helmholtz-hips.de
Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung: www.helmholtz-hzi.de