Persiflage auf Pygmalion-Mythos und Hommage an Rameau in Adolphe Adams "La Poupée de Nuremberg

Dr. Alexander Jakobidze-Gitman (Universität Witten/Herdecke, WittenLab. Zukunftslabor Studium fundamentale)

Die Librettisten Adolphe de Leuven und Arthur de Beauplan haben keinen Hinweis gegeben, dass ihrem Libretto für die einaktige opéra-comique "La poupée de Nuremberg" (1852) die Novelle "Der Sandmann" von E.T.A. Hoffmann (1816) zugrunde lag. Doch die Namenähnlichkeit des Spielwarenhändlers Cornelius mit Hoffmanns bösen Advokat Coppelius und vor allen Dingen die menschenähnliche Puppe im Zentrum der dramatischen Handlung lässt wenig Zweifel, dass dies der Fall war. Des weiteren erwähnen die Forscherinnen (Julie Wosk, Kara Reilly u.a.) sowohl "La poupée..." als auch "Der Sandmann" im Zusammenhang mit dem Pygmalion-Mythos. Dieser Vergleich scheint oberflächlich, denn anders als beim Pygmalion-Mythos in all seinen bekannten Fassungen von der Antike sowie vom 18. Jahrhundert geht es in den Erzählungen des 19. Jahrhunderts nicht um die Verliebtheit eines Schöpfers in seine Schöpfung, sondern um die Konfrontation zwischen dem Erschaffer einer künstlichen Frau und ihrem leidenschaftlichen Verehrer. Und doch scheint sich "La poupée" auf Pygmalion-Mythos stark bezogen zu sein, und zwar weniger auf der Ebene der Handlung als vielmehr auf der Ebene der Musik: Gemäß der These meines Vortrages parodiert Adolphe Adam in der Szene, in der die Puppe zum Leben erwacht, eine ähnliche Szene aus der Oper „Pygmalion“ von Jean-Philippe Rameau (1748). Dass Adam von Rameau fasziniert war, bezeugen die vielen Seiten, die er ihm als Musikkritiker widmete. Ich werde zeigen, wie ähnliche Ausdrucksmittel in zwei Opern ganz unterschiedliche Eindrücke hervorrufen – bei Rameau den eines fesselnden Zauberaktes und bei Adam den eines Streiches. Die Vortäuschung der belebten Statue, die die Hauptheldin Bertha vollzieht, sowie die Verkleidung ihres Verlobten Miller als Mephistopheles sind charakteristische Produkte der Parodie-Kultur des französischen Musiktheaters der Jahrhundertmitte, und Rameau als Inspirationsquelle für Persiflage steht für Adam auf gleicher Stufe wie Goethe.

 

Alexander Jakobidze-Gitman ist Programmanager im Bereich Ressource Künste an der Universität Witten/Herdecke. Im Jahr 2017 war er Research Fellow an der University of Sheffield. Er hat in Filmwissenschaft promoviert und 2015 das Buch "Rising Phantasms: The Stalinist Era in Post-Soviet Film" veröffentlicht. Seitdem liegt sein Forschungsschwerpunkt auf der Geschichte des musikalischen Denkens in der Frühen Neuzeit. Seine Artikel wurden in den peer-reviewed Zeitschriften wie History of Education, Configurations, Journal of the British Society for Phenomenology und Journal of Interdisciplinary Music Studies veröffentlicht. Derzeit arbeitet er an der Monographie über theoretische Spätschriften des Jean-Philippe Rameau. Ausgebildet als Konzertpianist an der Royal Academy of Music (London) und am Moskauer Tschaikowsky-Konservatorium, gibt er auch öffentliche Gesprächskonzerte, in denen er Klavierspiel mit kulturgeschichtlichen Kommentaren verbindet.