Digitalität in der Instrumentenkunde | Deutsch-französische Beziehungen im Instrumentenbau

Die Fachgruppe Instrumentenkunde greift beide Themenschwerpunkte der Tagung auf und teilt ihr Symposium dementsprechend. So sollen deutsch-französische Beziehungen im Musikinstrumentenbau ebenso wie Einsatzbereiche der Informatik in den Blick genommen werden.

Die Verflechtung von Musikinstrumenten und Informatik kann auf mehreren Ebenen verstanden werden: Informatik im weitesten Sinne als Werkzeug und Hilfsmittel bei der Erforschung von Musikinstrumenten, zur Planung sowie hinsichtlich der Funktionalität im Instrumentenbau, aber auch bezüglich ihrer Verwendung in der Musikpraxis. Mögliche Themen sind hierbei die Nutzung von Algorithmen und die Programmierung von Musikinstrumenten, die Bereiche Simulation, Emulation und Modellierung, der Einsatz von Künstlicher Intelligenz bei der Erzeugung von Klängen (z. B. “MuseNet” von OpenAI) oder auch die Geschichte der informationstechnischen Verarbeitung bzw. Klangerzeugung bei Musikinstrumenten. Darüber hinaus können die vielfältigen Hilfsmittel und Potenziale digitaler Methoden für die Erforschung der Musikinstrumente erörtert werden.

Ein zweiter Themenkomplex des Symposiums widmet sich den Zusammenhängen zwischen deutschem und französischem Musikinstrumentenbau. Neben Fragen nach der Zusammenarbeit oder auch Konkurrenz zwischen den beiden Ländern sollen kulturelle Transferprozesse sowie deren Auswirkungen berücksichtigt werden. Auch auf der Ebene der Materialien kann der deutsche und französische Musikinstrumentenbau verglichen werden. Klangliche Unterschiede und Gemeinsamkeiten sind also ebenso von Interesse wie die beiderseitige Rezeption von Eigenarten des jeweiligen Musikinstrumentenbaus. Schließlich stellen sich Fragen nach der länderspezifischen Organisation des Berufsstandes des Musikinstrumentenmachers (Zünfte, Gewerbe).

 

Programm:

 

Begrüßung (10 min)
 

Refait par Pascal Taskin? Die Geschichte eines (französischen?) Cembalos und seiner Überarbeitungen (30 min)
Olaf Kirsch, Carola Klinzmann (Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg)

Das Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg besitzt ein zweimanualiges Cembalo, dessen Bau- und Überarbeitungsgeschichte verschiedene historische Schichten aufweist. Während eine Signatur das Instrument als flämisches Cembalo aus der Ruckers-Werkstatt ausgibt, ist es offensichtlich von Pascal Taskin 1787 in Paris als nur vermeintlich ravaliertes Ruckers-Cembalo mehr (oder weniger?) vollständig neu gebaut worden. Taskin selbst signiert das Instrument nur indirekt, indem er in den Stimmstock die Angabe „REFAIT PAR PASCAL TASKIN A PARIS 1787“ stanzt.
Tatsächlich umfangreich restauriert – bzw. modernisiert – wurde das Cembalo dann 1866 bis 1867 in der Pariser Werkstatt des Klavierbauers Henri Herz. Die Überarbeitung der aufwendigen Lackfassung des Korpus mit seinen Chinoiserien fand zum gleichen Zeitpunkt statt.
In den vergangenen fünf Jahren wurde das Instrument in einem umfangreichen Forschungs- und Restaurierungsprojekt grundlegend untersucht. Insbesondere der Konstruktion des Deckels und dessen verschiedenen Fassungsschichten war besondere Aufmerksamkeit gewidmet. Röntgenaufnahmen und Pigmentanalysen zeigen hier ein komplexes Überarbeitungsgeschehen.
Die Ergebnisse der technologischen Untersuchungen werden im Beitrag vorgestellt und der Versuch gemacht, diese vor dem Hintergrund des historischen Kontextes zu deuten.
 

Die singenden Flammen des Pyrophons. Materialgeschichten aus, über und mit Gas (30 min)
Dr. Christina Dörfling (Humboldt-Universität zu Berlin)

Am 10. Juli 1872 erhalten der Physiker Georges Frédéric Eugène Kastner und der Komponist und Musikwissenschaftler Alexandre Jean Albert Lavignac ein gemeinsames preußisches Patent für eine „Vorrichtung an Gasharmoniken (Pyrophone), um die Röhre beliebig zum Tönen zu bringen“. Erteilt wurde dieses von der Technischen Deputation in Berlin, in der zwischen 1815–1877 sämtliche Erfindungsgesuche für Preußen begutachtet wurden. Die Akten und Dokumente der Patentverfahren, – darunter auch einige hundert Anmeldungen für Musikinstrumente, die in insgesamt 92 Patenterteilungen mündeten,– befinden sich heute im Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbeisitz in Berlin. Ausgehend von diesem Quellenbestand, den überlieferten Patentanmeldungen, ‑begutachtungen und korrespondierenden Unterlagen sowie zeitgenössischen Berichten und Beschreibungen stellt der Vortrag in einem ersten Schritt das Pyrophon in seinen konzeptionellen und konstruktiven Details vor. An diese technische Dimension anschließend verfolgt der Vortrag in einem zweiten Schritt in einer weiter gefassten Perspektive die wissens- und klanggeschichtlichen Spuren tönender Gase von den Laboren der Neuzeit bis in Gaswerke der Gegenwart.


Harfen in der Sammlung des Nationalmuseums in Prag. Präsentation der neuen Veröffentlichung aus dem Jahr 2022 (20 min)
Dr. Daniela Kotašová (Tschechisches Museum für Musik, Nationalmuseum Prag)

Die Sammlung von 58 Harfen des Nationalmuseums – Tschechisches Museums für Musik in Prag – zeugt von der Tradition der Harfe in der böhmischen Musikkultur, und zwar sowohl aus der Sicht des Musikinstrumentenbaus als auch aus der Sicht des Interpreten. In dem Vortrag werden unter anderem die Gründe für den Import von Pedalharfen aus dem Ausland dargelegt. Es wird gezeigt, dass viele der Instrumente ihre ursprünglichen Besitzer/-innen bei ihrer gesellschaftlichen und vor allem pädagogischen Tätigkeit auf Konzertreisen sowohl im In- als auch im Ausland begleiteten.

In ihrem Beitrag stellt die Autorin eine neue Monographie über die Harfen in der Sammlung des Prager Nationalmuseums vor, die einen umfassenden Katalog mit Bilddokumentation und biographischen Daten der Harfenbauern enthält. Der Vortrag konzentriert sich auf die allgemeine Geschichte der Harfe in den böhmischen Ländern, die Entstehung der Harfensammlung auf dem Gelände des heutigen Nationalmuseums in Prag, die Methodik der Bearbeitung der Harfensammlung und weitere Vorarbeiten für die Veröffentlichung des Buches über die Instrumentensammlung.


Interaktive und interoperable virtuelle Repräsentationen von historischen Musikinstrumenten (30 min)
Dominik Ukolov (Universität Leipzig)

In vielen Fällen bleibt der Besuch eines Musikinstrumentenmuseums weitgehend stumm, da die Objekte aus konservatorischen Gründen nicht für die Besuchenden zugänglich sind und voraufgezeichnete Clips nur einen spärlichen Wahrnehmungsbezug zum Objekt zulassen. Das von der Forschungsstelle DIGITAL ORGANOLOGY des Musikinstrumentenmuseums der Universität Leipzig durchgeführte Digitalisierungsprojekt TASTEN bemühte sich deshalb darum, innovative Ansätze zur Digitalisierung von Musikinstrumenten zu schaffen, die derzeit in den Projekten DISKOS und MODAVIS erweitert werden. Zur Sicherung der Methodik und des Datenmanagements wurden ein Standard mit konsistenten Strukturen und ein Framework entwickelt, das die Erzeugung von Virtuellen Akustischen Objekten (VAOs) ermöglicht, einschließlich verschiedener Toolkits für eine geführte Erfassung, Verarbeitung, Annotation und Kodierung von instrumentalen Daten. Diese VAOs bestehen aus multimodalen Datensätzen mit Audioaufnahmen, 3D-Modellen, Objektinformationen und zugehörigen Daten, auf die zu Forschungszwecken individuell zugegriffen oder die als virtuelle Instrumente erkundet und gespielt werden können. Die umfangreiche Verarbeitung interner Datenrelationen und externer Identifier ermöglicht es nicht nur, die einzelnen Daten einer Klasse mit denen einer anderen in Beziehung zu setzen, sondern auch externe Informationen zu erhalten, zum Beispiel über den musiXplora, das Objekteigenschaften und weitere Informationen wie Instrumentenbauer-Netzwerke oder spatiotemporale Aktivitäten liefert. In dieser Studie werden die zugrundeliegenden Prozesse der multimodalen Virtualisierung von akustischen Objekten bis hin zur Entwicklung interaktiver mobiler Anwendungen am Beispiel eines mechanischen Plattenspielers und seiner Medien demonstriert. Darüber hinaus wird die Wiederverwendbarkeit dieses Ansatzes für andere Objektklassen evaluiert, sowie die Potentiale multimodaler vernetzter Daten für virtuelle Instrumentendarstellungen. Das Dissertationsprojekt MODAVIS zielt nicht nur darauf ab, Strukturen und Methoden für kommende Technologien in diesem Bereich vorzubereiten, sondern auch akustische Objekterfahrungen in Museen, Fernforschung und virtuelle Zugänglichkeitskonzepte zu verbessern und neue Verbindungen zwischen Museen, kreativen Anwendungen und einem globalen Publikum herzustellen.


Saving the code. 50 Jahre Notenrollendigitalisierung (30 min)
Dr. Judith Kemp (Deutsches Museum, München)

Um 1900 begannen selbstspielende Klaviere das häusliche Musizieren zu revolutionieren. In einer Zeit vor Schallplatte und Radio waren sie das erste Medium, das Klaviermusik aller Kategorien in Privathäuser und öffentliche Einrichtungen brachte. Als Speichermedium für die von diesen Instrumenten gespielten Stücke hatten sich Papierrollen etabliert, auf denen die Musik in Form von Lochungen eingeschrieben wurde. Hunderttausende solcher Notenrollen entstanden in den ersten Dezennien des 20. Jahrhundert, die eine wertvolle musikgeschichtliche Quelle darstellen und viel über Musikgeschmack und -interpretation jener Zeit verraten. Sie vor dem Verfall zu bewahren, ist daher eine dringende Notwendigkeit, die von immer mehr Stellen als solche erkannt wird.
Zunächst waren es allerdings Privatleute, die sich vor genau 50 Jahren der Frage zuwendeten, wie die auf den Rollen gespeicherten Codes elektronisch umgewandelt und auf Computer übertragen werden könnten. Erst seit Beginn der 2000er und vermehrt in den letzten zehn Jahren wuchs auch bei verschiedenen Institutionen weltweit das Interesse an den Notenrollen und den Möglichkeiten ihrer Konservierung durch Digitalisierungsverfahren.
„Saving the code“ liefert einen Überblick über die wichtigsten Protagonisten und Ansätze der Notenrollendigitalisierung der letzten Jahrzehnte und über den Stand der heutigen Technik.
 

Abschlussdiskussion (30 min)