20.10.2021

Nachruf Prof. Dr. Martin Kay

Bild Martin Kay

Mit großer Trauer erfuhren wir vom Tod eines Pioniers und intellektuellen Wegbereiters der Computerlinguistik, der eine enge Bindung zur Universität des Saarlandes und zum Saarbrücker Standort des DFKI hatte. Über mehrere Jahrzehnte hatte Prof. Martin Kay die Entwicklung der Computerlinguistik prägend mitgestaltet, einer Interdisziplin, die in großen Teilen zur Künstlichen Intelligenz gehört in anderen Teilen aber auch zur modernen Linguistik. Er war selbst zeitlebens ein Wissenschaftler, der mit seinen Forschungsergebnissen sowohl in der Informatik als auch in der Linguistik große Anerkennung genoss.

Martin Kay hatte in Cambridge alte Sprachen und Linguistik studiert, wo er aber auch in der Informatik frühe Versuche kennenlernte, den Computer für Sprachanalyse und automatische Übersetzung einzusetzen. In der Cambridge Language Research Unit arbeitete er bereits als Student und dann nach Abschluss seines Studiums an maschineller Sprachverarbeitung. Seine nächste Station war die RAND Corporation, einer der großen Think Tanks der US-Forschung. 1972 wurde er Hochschulprofessor und Vorsitzender des Fachbereichs Informatik der University of California at Irvine. 1974 wurde er als Research Fellow an das renommierte Palo Alto Research Center (PARC) der XEROX Corporation berufen. Seit 1985 wurde er zu 50% von seiner Arbeit bei PARC freigestellt um zugleich als Professor für Linguistik an der Stanford University zu lehren.

Neben seiner Stanford-Professur wirkte Martin Kay auch zwölf Jahre lang (2002-2014) als Honorarprofessor an der Universität des Saarlandes. Jedes Jahr hielt er ein bis zwei Lehrveranstaltungen in Saarbrücken, die sich bei unseren Studierenden großer Beliebtheit erfreuten. Bei seinen Aufenthalten beriet er uns auch in der Forschung und beteiligte sich durch Vorträge und in Diskussionsveranstaltungen bei der Integration von Linguistik Computerlinguistik und Übersetzungswissenschaft.
 
Martin Kay erfand das Konzept des Chartparsing, einer Klasse von Algorithmen zur effizienten syntaktischen Analyse. Mit der Funktionalen Unifikationsgrammatik entwickelte er das erste Grammatikmodell der Familie der Unifikationsgrammatiken, die in den 80er und 90er Jahren sehr populär waren und in der Linguistik immer noch eine Rolle spielen. Er ist einer der Schöpfer der Finite State Morphology, welche die Sprachverarbeitung aber auch die Morphologie in der theoretischen Linguistik beeinflusste. In seinem Artikel  "The Proper Place of Men and Machines in Language Translation”, der schon lange in der Forschung kursierte, bevor er erst 1997 in der Zeitschrift Machine Translation erschien, entwarf er die Grundideen für die Integration von automatischer Übersetzung in den menschlichen Übersetzungsprozess.

Martin Kay ist ehemaliger Präsident der Association of Computational Linguistics (ACL) und des International Committee for Computational Linguistics (ICCL). 2005 wurde er mit dem Lifetime Achievement Award der ACL geehrt. 1982 erhielt er die Ehrendoktorwürde von der Universität Göteborg und 2008 von der Universität Genf.

Kay beriet Forschungorganisationen und -projekte in mehreren Ländern. Er war Fachberater des BMBF und Gutachter der beiden größten Europäischen Projekte in der automatischen Übersetzung EUROTRA und VERBMOBIL und geschätzter Ratgeber unserer DFKI Projekte.

Sein stilles und bescheidenes Auftreten stand nur in scheinbarem Kontrast zu seinen anerkannten Fähigkeiten als intellektuelle Führungspersönlichkeit. Sein immenses Fachwissen aus mehreren Disziplinen und seine vielseitigen intellektuellen Interessen machten ihn zu einem wunderbaren Gesprächspartner für die Kollegen und Freunde, die das Glück hatten, Zeit mit ihm verbringen zu können.  Allen Studenten und Kollegen ist er aber als begnadeter Redner in Erinnerung, der mit exzellenter Didaktik, rhetorischer Schärfe und einem ganz eigenen Humor seine Zuhörer fesseln und überzeugen konnte.

Wir haben Martin Kay bereits seit mehreren Jahren vermisst, seit er sich zurückgezogen hatte, um seine Zeit voll seiner kranken Ehefrau zu widmen, die bereits Ende letzten Jahres starb. Nun, nach seinem Tod am 8. August 2021 kommt zu diesem schmerzlichen Verlust die Trauer der Unwiederbringlichkeit.

Prof. Dr. Hans Uszkoreit