Forschungsprojekt 2015 "Was machen die saarländischen Hauptschulabsolventinnen und -absolventen nach ihrem Abschluss"
Forschungsprojekt 2015 "Was machen die saarländischen Hauptschulabsolventinnen und -absolventen nach ihrem Abschluss"
Projektleitung und -durchführung:
Prof. Dr. Eike Emrich, Leiter des Arbeitsbereich Sportökonomie und Sportsoziologie an der Universität des Saarlandes, Dr. Freya Gassmann, M.Sc. Michael Koch, wissenschaftliche/r Mitarbeiter/in am Sportwissenschaftlichen Institut
Zielsetzung des Projektes:
Der Wunsch unter deutschen Hauptschulabsolventinnen und -absolventen nach einer dualen Ausbildung und einem erfolgreichen Abschluss ist hoch. Nach den Angaben des Bildungsreports 2013 planen generell 90% der deutschen Hauptschulabsolventinnen und -absolventen eine duale Ausbildung und rund 73% wollen direkt nach ihrem Abschluss eine solche beginnen. Tatsächlich jedoch fingen insgesamt nur etwa 45% der ehemaligen Schüler/innen eine duale Ausbildung an. Somit konnte etwas mehr als ein Viertel seine beruflichen Wünsche damit nicht realisieren. Dieses Ungleichgewicht zwischen dem Wunsch von Hauptschulabsolventinnen und -absolventen nach einer dualen Ausbildung und der tatsächlichen Realisierung ist bereits seit einigen Jahren zu beobachten.
Für das Saarland existieren bislang noch keine verlässlichen Daten über den Weg der Hauptschulabsolventinnen und -absolventen nach ihrem Abschluss – eine Lücke, die mit Hilfe der vorliegenden Untersuchung geschlossen werden soll.
Zentrale Forschungsfragen und Methodik:
1. Wie hoch ist der Anteil derer, die den Wunsch haben, eine duale Ausbildung direkt nach ihrem Abschluss anzuschließen (Motive)?
2. Wie hoch ist der Anteil der realisierten Übergänge in die duale Ausbildung (Transitionsprobleme)?
3. Wie sehen generell die realisierten Berufspfade von Hauptschulabsolventinnen und -absolventen im Saarland aus? Wie stellen diese sich im Vergleich zum Bund dar (Berufs- bzw. Karrierepfade in branchen- und arbeitgeberspezifischer Sicht)?
4. Wie hoch ist die Anzahl der Wechsler (Matchingproblematik)?
5. Wie hoch ist die Abbrecherquote in der dualen Ausbildung, was sind die Gründe für den Abbruch?
Standardisierte Befragung von Hauptschulabsolvent/innen in ausgewählten Schulen (Klumpenstichprobe, anvisiert: 15 Schulen, dort Vollerhebung, d.h. ca. 600 Jugendliche in der Gesamtstichprobe) mittels computergestützter Telefoninterviews (CATI); drei Befragungswellen (vor und nach dem Abschluss sowie erneute Befragung nach etwa einem weiteren Jahr). Je nach Maßgabe freier Kapazität werden zudem etwa zehn Hauptschulabsolvent/innen mit abgeschlossener Ausbildung im ersten Berufsjahr retrospektiv mittels eines leidfadengestützten Interviews befragt.
Forschungsergebnisse in Kurzversion:
Hauptschulen sollen für ihre SchülerInnen Grundlagen für eine (duale) Berufsausbildung schaffen, also insbesondere auch praktische Fähigkeiten auszubilden. Aktuell ist allerdings auf wirtschaftlicher Ebene eine Zunahme von Berufen im Dienstleitungssektor und solchen, in denen anspruchsvolle Techniken eingesetzt werden, zu verzeichnen, weshalb der formale Qualifikationsanspruch an Berufseinsteiger steigt. Im Ergebnis bleiben 60% aller Ausbildungsplätze den HauptschulabsolventenInnen versperrt, darunter vermehrt solche mit gestiegenen formalen Qualifikationsansprüchen. Gerade formale Qualifikationsansprüche gewinnen als Auswahlkriterium seit etlichen Jahren an Bedeutung, insbesondere auch im internationalen Kontext, in dessen Rahmen gewöhnlich die tertiäre Bildung überbetont und das deutsche duale System unzureichend gewürdigt werden. Es ist deshalb nicht verwunderlich, dass der Abschluss an der Hauptschule im Vergleich zu den übrigen Bildungsabschlüssen als niedrig etikettiert wird und den Zugang zum Arbeitsmarkt insgesamt, insbesondere aber zu Ausbildungsplätzen mit hohen formalen Qualifikationsansprüchen eher zu verstellen als zu ermöglichen scheint. Die Hauptschule erscheint so als „Auffangbecken für Rückläufer“ bzw. „Restschule“.
Im Saarland besteht seit einigen Jahren ein zweigliedriges Schulsystem mit Gymnasium und Gemeinschaftsschule. An der Gemeinschaftsschule kann neben dem Hauptschulabschluss die mittlere Reife sowie das Abitur erworben werden. Darin liegt der Versuch, durch Vermeidung anregungsarmer Lernmilieus schwächere SchülerInnen zu fördern und zu höheren Qualifikationen zu führen. Als wahrscheinlich nicht intendierter Effekt dieser Entwicklung und Struktur kann angenommen werden, dass sich dadurch der Selektionsdruck, statt abzunehmen, eher verstärkt und zwar eher zu Lasten der SchülerInnen, die tendenziell über geringere soziale und personale Ressourcen verfügen, also vermehrt HauptschülerInnen.
Der saarländische Ausbildungsmarkt bot im Jahr 2016 7.704 Ausbildungsplätze, von denen 7,4 % unbesetzt blieben. Auf der Nachfrageseite gab es nach traditioneller Definition 7.239 Ausbildungsinteressierte, sodass ein Besetzungsproblem auf Angebotsseite vorliegt. Bei erweiterter Definition gab es 8.109 Ausbildungsinteressierte (die erweiterte Definition berücksichtigt zusätzlich die bis zum 30.09. eines Jahres noch suchenden Ausbildungsplatzinteressierten, die dann in andere Verbleibmöglichkeiten wechseln), sodass von einem Versorgungsproblem auf der Nachfrageseite ausgegangen werden kann. Für 2017 zeigt sich eine Verstärkung dieses Versorgungsproblems und damit der Konkurrenzsituation der AbsolventInnen untereinander. Zwar ist die Ausbildungsplatzsituation im Saarland für HauptschülerInnen noch vergleichsweise günstig, dennoch ist die Auswahl für sie stark eingeschränkt. Fündig werden sie insbesondere im Handwerk (50 % HauptschülerInnen), weniger im Industriesektor (22 %), der traditionell höhere formale Qualifikationen verlangt.
Um aus erster Hand mehr über die Gruppe der HauptschülerInnen zu erfahren, denn zuvor gab es nach Wissensstand der Autoren bisher keine empirische Studie, was eine Erkenntnis an sich darstellt, wurden mittels schriftlicher Befragung Daten von 375 SchülerInnen (51 % weiblich), von denen 25% den Hauptschulabschluss bzw. 46% den mittleren Bildungsabschluss anstrebten (andere Abschlüsse 29 %). Viele SchülerInnen der mittleren Reife hegen den Wunsch, die Schule fortzusetzen und ggf. zu studieren. HauptschülerInnen auf Ausbildungsplatzsuche schreiben im Durchschnitt mehr Bewerbungen als Absolventen höherer formaler Abschlüsse und erhalten auch mehr Absagen. Im Sinne einer Anpassungsreaktion suchen viele HauptschülerInnen nach Ausbildungen im Handwerk oder in Pflegeberufen, erst dann folgen Berufe in Industrie und Sozialbereich. Dabei streben Schüler eher in Richtung Handwerk und Industrie, während Schülerinnen in der Tendenz Berufe im Pflege- und Sozialbereich wählen.
Im Rahmen der Berufswahl ist es für die HauptschülerInnen eher wichtig, einen Ausbildungsplatz sowie eine sichere Arbeitsstelle zu finden, sie berücksichtigen hingegen weniger Arbeitsbedingungen bzgl. Arbeitssicherheit und Gesundheit oder die Familienfreundlichkeit eines Berufs, alles Merkmale, die für SchülerInnen, die einen mittleren Bildungsabschluss anstreben, eine wichtigere Rolle spielen.
Die Ergebnisse dieser Studie werden auch als Publikation aus der Schriftenreihe der KoWA der Öffentlichkeit zugänglich gemacht.