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Zeitzeugnis Rainer Hudemann (geb. 1948)

Der beste Ort

Als ich 1985 als an die Universität des Saarlandes kam, war das für mich als Historiker mit westeuropäischem Profil der beste Ort überhaupt in Deutschland. Saarbrücken war nach meinem Eindruck damals die internationalste unter den deutschen Unis. Diese Prägung stammte sicher noch aus dem französischen Erbe, das die Uni weiter gepflegt hatte. Interessanterweise funktionierte die Frankreich-Orientierung auch als Katalysator für die interdisziplinäre Zusammenarbeit. So war beispielsweise der erste Kollege, mit dem mich der Dekan auf dem Campus bekannt machte, Christian Autexier, der französische Jurist,  und durch unser gemeinsames Interesse an Frankreich ergab sich wie von selbst der Anfang einer fakultätsübergreifenden Kooperation.

Ein Frankreichzentrum existierte seinerzeit noch nicht – weil wir keines brauchten. Denn es war einfach klar, dass die an Frankreich-Themen Interessierten sich kannten und miteinander arbeiteten. Erst als diese Selbstverständlichkeit nachließ, weil neue Kollegen diese Kontakte nicht rasch fanden, ist das Frankreichzentrum gegründet worden und hat sich dann erfolgreich entwickelt. Es lebt natürlich weiterhin von der aktiven Beteiligung. Das wurde mir besonders deutlich, als ich durch zwei auswärtige Rufe (nach Berlin und nach Genf) mit der attraktiven Aufgabe konfrontiert wurde, die dortigen Frankreich- bzw. Europa-Zentren neu aufzubauen. In beiden Fällen habe ich rasch gesehen, dass der Rückhalt für das Frankreich-Thema nicht annähernd so breit verankert war wie in Saarbrücken. Für mich ein wesentlicher Grund, diese Rufe abzulehnen.

 
Mentalitätsunterschiede

Die deutsch-französische Zusammenarbeit muss immer wieder ausgeprägte Kultur- und Mentalitätsunterschiede überwinden. Bei unserer gemeinsamen Doktorandenausbildung mit Metz, Nancy und Luxemburg sowie etwas später mit der Sorbonne habe ich mir beispielsweise stets Mühe gegeben, elegant zu formulieren und nicht trocken und nüchtern wie ein „typischer“ deutscher Wissenschaftler zu wirken. Ergebnis: Einem Kollegen an der Sorbonne entfuhr nach Jahren einmal der Stoßseufzer: „Rainer, tu es très allemand…!“

Auch bürokratische Probleme erschweren oft die Kooperation. Als ich den Ruf an die Sorbonne erhielt, wurde mir vom Hochschulverband abgeraten: ich würde auf große Schwierigkeiten stoßen und Beamtenstatus und Pension verlieren. Die saarländische Hochschulverwaltung aber hat dann mit Paris doch einen beamtenrechtlichen Weg gefunden, wie ich anfangs sowohl an der Saar-Uni als auch an der Sorbonne als Professor tätig sein konnte – solchen Einsatz für die deutsch-französische Sache findet man oft nur im Saarland.

 
Forschung zur französisch geprägten Zeit

Zum 40-jährigen Jubiläum der Saar-Verfassung wurde ich eingeladen, einen Festvortrag im Landtag zu halten. Ich sagte gerne zu, erhielt dann aber die Nachricht, das Landtagspräsidium habe dem Plan nicht zugestimmt, weil ‚dies ein Saarländer übernehmen müsse‘. Als eine Art Entschuldigung wurde ich zum Mittagessen mit den Initiatoren gebeten, woraus sich eine Finanzierungsmöglichkeit für ein deutsch-französisches Forschungsprojekt entwickelte. In der Folge konnten wir die – für unmöglich gehaltene – Erlaubnis des Pariser Außenministeriums zur Verfilmung der französischen Akten zu den Nachkriegsjahren im Saarland erwirken. Dieser Bestand ermöglichte uns Arbeiten, die das Bild der französischen Saar-Politik fundamental verändert haben.

Zum 50jährigen Jubiläum 1997 wurde ich zu dem Festvortrag eingeladen. Die Internationalität der Saar-Universität bietet den Studierenden exzellente Chancen zu Vernetzung und Austausch und zum Zurechtfinden in ungewohnten Umgebungen – eine wesentliche Stärke, gerade vor dem Hintergrund der industriellen Prägung der saarländischen Bevölkerung. Denn das sind die Fähigkeiten, die heute auf dem Arbeitsmarkt gefragt sind.

 

Anmerkungen

Grundlage dieses Beitrags ist ein Erinnerungs-Interview mit Rainer Hudemann aus dem Januar 2023.