Stimmen

Zeitzeugnis Johannes Kirchmeier

Eine zweisprachige und familiäre Universität

Nach dem Abitur am Lübecker Katharineum begann ich 1957 das Jura-Studium und entschied mich wie einige meiner Mitabiturienten für den Studienort Saarbrücken. Unsere Wahl fiel deshalb auf Saarbrücken, weil einerseits nach dem am 1. Januar 1957 vollzogenen politischen Beitritt des Saarlandes zur Bundesrepublik das Saarland ein deutsches Bundesland geworden war und wir andererseits gleichzeitig die Chance wahrnehmen wollten, an der bislang zweisprachigen Universität des Saarlandes unsere Französisch-Kenntnisse zu vertiefen und auch französische Lehrveranstaltungen zu besuchen.

Die Erinnerung an Prof. Wehrhahns Seminar zur französischen Verfassungsgeschichte, das mit Wehrhahns Frau, einem Assistenten Funk und einem Studenten besetzt war und die dem Seminar folgende Parisreise illustriert die angenehmen Studienbedingungen und -möglichkeiten … Die vergleichsweisen geringen Studentenzahlen und die Campus-Atmosphäre verliehen der Universität einen überschaubaren, familiären Charakter, der enge persönliche Kontakte zwischen Studenten und Professoren und auch zwischen den Repräsentanten der Studentenschaft und dem jeweiligen Rektor ermöglichte.

 
Probleme des Wechsels nach Deutschland

Mit dem als ‚Tag X‘ bekannten Datum der Währungsumstellung im Juli 1959 verbinde ich die Erinnerung, daß ich damals in Scheidt, wo ich meine Bude hatte, meinen zum Monatsanfang in französischen Francs ausbezahlten DM-Monatswechsel nicht in DM zurück tauschen konnte. Von bewaffneten Beamten wurde ich abgewiesen und mußte ins pfälzische Zweibrücken trampen, um so in den Besitz von DM zu gelangen, viel weniger übrigens, als mir meine Eltern zum Monatsanfang überwiesen hatten.

Auch wenn … in der Studentenschaft insgesamt ein vergleichsweise geringes Interesse an aktueller Hochschulpolitik spürbar schien, so verweise ich andererseits auf die Demonstration der Studentenschaft gegen die Fahrpreiserhöhungen infolge der wirtschaftlichen Rückgliederung der Saar Anfang Juli 1959. Der von Prof. Wegener mit einer Kuhglocke angeführte Protestzug startete an der Universität mit 20 bis 40 Teilnehmern, führte durch den Meerwiesertalweg zur ‚Wartburg‘ und erhielt unterwegs beträchtlichen Zulauf. …

Da angeblich bereits in den Nachrichten der Ostberliner Agentur ADN über den Saarbrücker Protest berichtet worden war, unterstellte Röder den Demonstranten, sie würden lediglich den Interessen der Kommunisten dienen. Diese Bewertung des Studentenprotestes belastete langfristig das Verhältnis zwischen der Studentenschaft und dem Ministerpräsidenten …

 
Politische Diskussionen

Während sich rund drei Viertel der überwiegend saarländischen Studenten durch die tägliche Heimfahrt aus dem Universitätsleben und den studentischen Debatten ausklinkte, engagierte sich vor allem die Minderheit der aus der übrigen Bundesrepublik kommenden Kommilitonen in der studentischen Selbstverwaltung …

Um zur Diskussion zwischen Studenten und Professoren beizutragen, führte ich als Hochschulreferent zahlreiche Veranstaltungen durch und lud zuerst ein zu ‚Professoren und Studenten diskutieren: Eichmann und die deutsche Geschichte‘. An der engagiert, teilweise hitzig geführten Debatte beteiligten sich unter anderem die Professoren Goriély, Maihofer und Wehrhahn. Obwohl der Prozeß noch nicht entschieden war und wir nur mit relativ wenigen Handzetteln eingeladen hatten, zeigten der außerordentliche Besuch und das Engagement das besondere Interesse der Studierenden an der Auseinandersetzung mit unseren Hochschullehrern über die jüngste deutsche Geschichte, die NS-Diktatur und deren Verarbeitung. Unser brennender Wunsch war, die Eltern- und Lehrergeneration zu fragen: ‚Was habt Ihr getan in der NS-Zeit? Wie seht Ihr es heute?‘ und mit ihr darüber ins Gespräch zu kommen.1

 

Anmerkungen

  1. Auszüge aus Kirchmeier, Hochschulreferent, ergänzt durch Zeitzeugeninterview Kirchmeier 17.11.2022.