Die Welt der Stoffe und Moleküle folgt in der Natur festen Regeln. So besagt die sogenannte Oktett-Regel, dass Kohlenstoffmoleküle mit jeweils acht Elektronen pro Atomhülle stabil sind. In jüngster Zeit gelang es der Chemie jedoch, diese Regeln bis zu einem gewissen Grad zu brechen, um Moleküle zu erschaffen, die ganz neuartige und in der modernen Welt gefragte Eigenschaften haben. Dies gelang vor drei Jahrzehnten mit den Carbenen, welche nur noch sechs Valenzelektronen aufweisen.
Anfangs wusste man noch nicht so recht, wozu die neuartigen Verbindungen nützlich sein könnten. „Sehr schnell stellte sich dann heraus, dass Carbene eine überragende Rolle in der organischen Photovoltaik und Mikroelektronik, etwa bei der Entwicklung so genannter organischer LED-Bildschirme, kurz OLEDs, spielen werden“, führt Dominik Munz als Beispiel an. Carbene seien inzwischen auch in der chemisch- pharmazeutischen Industrie als Katalysatoren von chemischen Prozessen nicht mehr wegzudenken, so Munz weiter.
Dem Professor für Koordinationschemie an der Universität des Saarlandes ist es nun gemeinsam mit Kollegen der Universität San Diego gelungen, von diesem Molekül noch zwei weitere Elektronen zu entfernen, so dass eine ganz neue Stoffklasse entstehen kann. Ihre Erkenntnisse sind so bedeutsam, dass sie es nun ins Fachmagazin Nature geschafft haben.
„Die internationale Zusammenarbeit beruht auf meiner Postdoc-Phase in den USA, die ich in der Arbeitsgruppe von Guy Bertrand an der Universität von San Diego verbracht habe“, erklärt der Wissenschaftler. „In dieser Zeit sowie in den letzten Jahren haben wir solche Moleküle quantenchemisch vorhergesagt und uns auch überlegt, wie man diese im Labor herstellen könnte.“ Durch eine elegante Synthesemethode ist es nun Ying Kai Loh, Postdoktorand bei Professor Bertrand an der Universität San Diego, gelungen, solch ein Molekül tatsächlich im Labor zu erschaffen.
Ob damit ebenfalls derart umwälzende Anwendungen wie mit den Carbenen möglich sind, steht in den Sternen. Vor 30 Jahren jedenfalls standen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die die Oktett-Regel damals brechen konnten, ebenfalls vor der Frage: „Und nun?“
Der Rest ist Geschichte.
Originalpublikation:
Loh, Y.K., Melaimi, M., Gembicky, M. et al. A crystalline doubly oxidized carbene. Nature (2023). https://doi.org/10.1038/s41586-023-06539-x
Weitere Informationen:
Prof. Dr. Dominik Munz
Tel.: (0681) 3022970
E-Mail: dominik.munz(at)uni-saarland.de